Alles neu und alles jung
Michael Petrowitsch | 2. Mai 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 182, Kunst und Kultur
Mit dem Anfangdreißiger Tom Engels in der Funktion als künstlerischem Leiter setzt der Grazer Kunstverein einen starken Impuls in Richtung noch präsenterer Internationalisierung.
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Zudem findet sich noch ein weiterer mutiger Schritt in Sachen Verjüngungskur und Generationswechsel in großen und mittleren Häusern der steirischen Landeshauptstadt. Gern erinnern wir uns zurück: Von Peter Pakesch und Helmut Strobl Mitte der Neunzehnachtziger gegründet, zeichneten im Verein im Laufe der Jahrzehnte immer junge Leiter und Leiterinnen ihre markanten Handschriften in künstlerischen Belangen. Damals noch charmant in einer Altbauwohnung und mittlerweile bzw. bereits seit geraumer Zeit in den neuen ebenerdigen Räumlichkeiten angesiedelt, führten immer junge Menschen, die knapp vor dem endgültigen Absprung standen, um anschließend in der nächsten Klasse zu reüssieren.
Sören Grammel und Krist Gruijthuijsen etwa sind, nachdem sie die Stadt verlassen haben, weiter die Karriereleiter hinaufgestiegen, nachdem sie in ihrer Grazer Ära Profilschärfung betrieben haben. Setzte man in der Anfangszeit eher noch auf Eigenbau, wie bei Elisabeth Prinschitz, die zuvor noch im Forum Stadtpark als Referentin tätig war, ist das Recruiting weltoffener geworden und die Bewerbungen zudem qualitativ und quantitativ höchstklassig. Auf Augenhöhe, nicht was die Förderstruktur anbelangt (auch selbstverständlich), aber im Ansatz mit Kunsthaus und ähnlichen, gleichwertigen Strukturen in Graz hat der Kunstverein einen radikalen Vorteil: In der Struktur klein und flink wie die freie Szene, in der inhaltlichen Ausrichtung streng dem bürgerlichen Graz verpflichtet. »Jugend« spielt natürlich eine Rolle und von einem Mann wie Engels, der mit seinen wenigen Jährchen bereits eine Bio aufzuweisen hat wie viele Sechzigjährige aus dem gleichen Business, lässt sich noch Spannendes erwarten.
Radikal zeitgenössisch
Sein Ansatz ist, so fand es die Auswahljury »radikal zeitgenössisch, ohne die Geschichte des Kunstvereins auszublenden« und »im positiven Sinne unkonventionell und gleichermaßen auf das Lokale wie Internationale fokussiert.« Angesprochener zappelt nicht lange und legt auch gleich Gewaltiges und vor allem Kluges vor. Dies Unterfangen gelingt formidabel mit Tanja Gurke an bewährter geschäftsführender Seite. Sie selbst ist ja als Kuratorin und Multikulturfachfrau in vielen kunsthistorischen und architektonischen Funktionen auch in anderen Institutionen der Stadt tätig und aus dem Grazer Kulturalltag gleichsam selbst als Institution nicht wegzudenken. Dazu an anderer Stelle mehr.
Zur eben eröffneten Schau
Bis 29. Mai läuft noch Tom Engels Erstlings- und Einstiegswerk. Ich formuliere es einfach: Eine wunderbare Ausstellung mit dem etwas längeren Titel »we sat rigid except for the parts of our bodies that were needed for production«. Er reagiert geschickt und weise auf, in und mit den neu- und umgestalteten Räumlichkeiten in der Burggasse mit zwei intensiven Persönlichkeiten, die er lässig kontextualisiert. Die Britin Sandra Lahire war nicht nur legendäre Aktivistin, sie ist in ihrer Rolle im Kunstverein Filmemacherin, die sich in den Neunzehnachtzigern harter Themen und harter Schnitte im Experimentalen bediente. In der Schau sind sechs Filme zu sehen, die sich vordergründig den Themen weiblicher Körperlichkeit, Umweltverschmutzung, indigener Bevölkerung et al. beschäftigen. Vordergründig. Denn Lahires Aktivismus klagt nicht an, sondern schafft eine eigene Ästhetik, eine eigene Sprache, in der sich zurecht zu finden mindestens zwei weitere Besuche der Ausstellung vonnöten macht. Celestina Burlina wiederum, vom Fach auch gelernte Ingenieurin, arbeitet mit Eisenträgern (angeliefert aus dem schönen Wiener Neustadt) und riesigen Ankerketten, die den räumlich neu gestalteten Kunstverein im wahrsten Sinne des Wortes einschneidend en passant massiv, aber lässig prägen. Dazu erfindet sich der Verein auch publikationstechnisch neu, indem er mit einer kleinen Katalogreihe beginnt, die in Zukunft die Ausstellungen begleiten werden. Wir bleiben dem Kunstverein weiterhin in Dankbarkeit verbunden und freuen uns auf Zukünftiges.
Der Grazer Kunstverein wurde 1986 von Peter Pakesch und dem Kulturpolitiker Helmut Strobl als gemeinnützige Institution gegründet. Er versteht sich als eine Plattform für Produktion, Ausstellungstechnik und Vermittlung zeitgenössischer Kunst. grazerkunstverein.org
Alles Kultur, Fazit 182 (Mai 2022), Foto: Thomas Raggam
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