Tandl macht Schluss (Fazit 182)
Johannes Tandl | 2. Mai 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 182, Schlusspunkt
Moralin ist auch zu Kriegszeiten kein guter Ratgeber Die Corona-Pandemie führt uns seit zweieinhalb Jahren vor Augen, wie anfällig unser Wirtschaftssystem geworden ist. Und so wird auch der ultra-brutale Lockdown, den die chinesische Diktatur über Shanghai verhängt hat, negative Auswirkungen auf viele heimische Produktionsunternehmen haben. Der mörderische Krieg Russlands zeigt bereits seine wirtschaftlichen Folgen, Putins Überfall auf die Ukraine droht zum globalen Wirtschaftskrieg auszuarten. Das will man in der EU jedoch noch nicht wahr haben. Derzeit spitzt sich ein weltweiter Währungskonflikt zu. Und der könnte wieder in einer ökonomisch bipolaren Welt münden. Diese drohende Spaltung hat nicht nur Auswirkungen auf die Kapital- und Rohstoffmärkte. Sie betrifft ganz besonders den Wohlstand der Europäerinnen und Europäer. Wer bei diesem Konflikt auf welcher Seite steht, sieht man schon jetzt ganz klar anhand der Wirtschaftssanktionen, die der Westen gegen Russland und schon viel früher gegen den Iran erlassen hat. Der Block der Sanktionsverweigerer wird von China angeführt, der Westen, wie gewohnt, von den USA. Sowohl Russland als auch China sehen jetzt die Notwendigkeit, sich langfristig von Dollar und Euro zu verabschieden. Allerdings nur, wenn sie es schaffen, eine Alternative aufzubauen. Gestärkt werden diese Überlegungen durch das vom Westen nicht bis zu Ende durchdachte Einfrieren der russischen Währungsreserven.
Und wenn an den hartnäckigen Gerüchten, dass China innerhalb der nächsten Monate den Konflikt mit Taiwan verschärfen wird, auch nur ein Körnchen Wahrheit sein sollte, wäre das ein weiteres Argument für eine Flucht aus dem Dollar. Peking müsste dann alles unternehmen, um die chinesische Ökonomie nicht länger mit Dollar-Reserven abzusichern. Die Chance für China, einen zweiten globalen Währungsblock neben dem Dollar zu formen, war noch nie so gut wie jetzt. Die Chinesen hätten bei diesen Plänen zwar auch die EU gerne auf ihrer Seite, aber sie wissen natürlich, dass das politisch undenkbar ist. Vor diesem Hintergrund sind die Aussichten für den Euro, der sich seit seiner Gründung gerne als Alternative zum Dollar positioniert hätte, äußerst schlecht. Denn für jene Länder, die eine Alternative zum Dollar aufbauen wollen, ergibt es, wegen der von Europa mitgetragenen Sanktionen, überhaupt keinen Sinn, weiterhin auf den Euro auszuweichen.
Sowohl China als auch Indien nützten die Sanktionen bisher als Chance, um die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland auszubauen. Beide Staaten wollen sich einen möglichst großen Anteil an jenen russischen Rohstoffen sichern, der ihnen in der Vergangenheit von finanzkräftigen Europäern vor der Nase weggekauft wurde.
China will natürlich den Yuan als zweite globale Leitwährung etablieren. Tatsächlich bezahlt Russland die chinesischen Warentransporte bereits in Yuan und nicht länger in Dollar und sowohl China als auch Indien begleichen ihre russischen Energielieferungen in Rubel. Je mehr Staaten China in der Währungsfrage folgen, desto schlechter ist es wegen der drohenden Abwertung um die in Dollar oder Euro gehaltenen Währungsreserven bestellt. Die Russland-Sanktionen führen daher dazu, dass sich die Staaten weltweit aufgerufen sehen könnten, dieser Abwertung zuvorzukommen und ihre Dollar und Euro-Positionen zumindest deutlich zu verkleinern.
In einem solchen ökonomischen Umfeld müsste ganz Europa – vielleicht mit Ausnahme des rohstoffstarken Norwegens – mit Wohlstandsverlusten rechnen. Anders als die USA gibt es in der EU nämlich keine ökonomisch sinnvollen und ausreichend verfügbaren Alternativen zu russischem Öl und Gas. Daher sollten die EU-Politiker eigentlich alles unternehmen, um eine wirtschaftliche Entkopplung Europas von Russland zu verhindern.
Die drohende Änderung der »Terms of Trade« wird sämtliche rohstoffimportierende Länder betreffen. Damit wird eine langfristige Wettbewerbsverschlechterung einhergehen. Die Kaufkraftverluste für die europäischen Konsumenten zeichnen sich ohnehin jetzt schon deutlich ab. Eine Verhinderung der genannten Entwicklungen wäre möglich; aber nur dann, wenn sich in Brüssel und den europäischen Hauptstädten Hausverstand gegen Moralin durchsetzen ließe. Dafür gibt es kein Anzeichen.
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Tandl macht Schluss! Fazit 182 (Mai 2022)
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