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Außenansicht (34)

| 15. Juli 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 184

Wehrlos gegen Freunde. Worse than / hate which / can offend: friendship / against which / I cannot / defend« (»Schlimmer als Hass, der verletzt, ist Freundschaft, gegen die man sich nicht wehren kann«). Dieses kurze Gedicht wurde 1967 in Holland veröffentlicht. Autor war angeblich der Holocaust-Überlebende Saul van Messel, dahinter versteckte sich allerdings der Historiker Jaap Meijer.

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Der deutsche Politiker Heinrich von Treitschke sprach 1880 im Zusammenhang mit dem von ihm ausgelösten Streit über die Stellung der Juden in Deutschland erstmals von »philosemitischem Eifer«. Er benutzte diesen Begriff gegen Parteien, die gegen Antisemitismus auftraten, er wurde bis 1912 vorwiegend zur Polemik gegen den Linksliberalismus verwendet.

Nach 1945 änderte sich die Bedeutung. Auf Grundlage der Betroffenheit eines Teils der Kriegsgeneration und ihrer Nachkommen entwickelten diese einen Eifer, um die Belastung der Vergangenheit nicht nur abzustreifen, sondern sich erkennbar als das Gegenteil zu präsentieren. Heute ist er als Symbol für plakative und aufdringliche Kritik von Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung zu verstehen. Auf Angriffe gegen Minderheiten, Attentate und Terrorismus kann die Gesellschaft – wenn überhaupt – oft nur mit Gewalt reagieren. Jüdische Schulen und Synagogen gleichen bewachten Kasernen. Besucher jüdischer Gotteshäuser müssen sich einer gründlichen Befragung unterwerfen. Anschläge gegen Moscheen und Kirchen mehren sich. Homosexuelle Paare, die öffentlich zu ihrer Sexualität stehen, werden angegriffen. Frauen mit Kopftüchern in öffentlichen Verkehrsmitteln verhöhnt und dunkelfarbigen Fahrgästen rät man, so bald wie möglich wieder »nach Hause« zu fahren. Der Alltag wurde schwieriger. Interessenvertretungen melden vermehrt Angriffe und Beleidigungen.

Gleichzeitig etablierte sich eine abgehobene, bunte und lautstarke Parallelwelt der »Beschützer« von Minderheiten. Mehrfarbige Fahnen und Streifen überall, beleuchtete Gebäude und als Fußgängerübergänge. Einmal im Jahr wird für die Vielfalt demonstriert und Politiker verkündigen die »tolerante, offene Stadt«. Niederknien vor einem Fußballspiel gegen Rassismus, eindrucksvolle Feierlichkeiten zu Holocaust-Gedenktagen, Umbenennung von Straßennamen, Änderung der Speisepläne in Schulen und Erweiterung der Meldezettel von zwei auf sechs verschiedene sexuelle Identitäten. Die neuen Eiferer verfolgen begeistert Ungerechtigkeiten. Es entgeht ihnen nichts. Keine Publikation, keine Wortmeldung, kein Bild, wogegen nicht sofort mit Protest zugunsten einer zu schützenden Minderheit reagiert wird. Mit der Umkehr des Blockwartsystems, selbst ernannt, sich im Dienste der Minderheit berufen fühlend, treten sie als die modernen Kreuzritter der Anständigkeit auf – die sie in Anlehnung ihrer Vorfahren als Religionsersatz definieren.

Es geht nicht um den Hausmeister, der einen farbigen Mitbewohner tyrannisiert. Orthodoxe Juden, die auf der Straße angepöbelt werden. Eine Frau mit Kopftuch, die verspottet wird. Die abgehobene Eitelkeit und der Aktionismus der »Freunde der Verfolgten« erreicht den Alltag der Betroffenen nicht und soll auch nicht. Sie bleiben gerne unter sich und klopfen einander auf die Schultern, fühlen sich als Kontrollinstanz zum Schutz jener, die sie nie zu Gesicht bekommen. Es geht um die plakative Selbstdarstellung, Arroganz und Affektiertheit der Aufsichtsperson, der nichts entgeht und die sich als Held sieht, vom entlarvten Schuldigen eine Entschuldigung im Namen seiner beschützten Opfer einfordert – auch wenn sie ihm völlig egal sind. Für den Schutz der Minorität, die er mitleidlos und doch mitleidig in die Opferrolle treibt, erwartet er Bewunderung und Lob, wie ein goldenes Sternchen für eine schöne Zeichnung im Kindergarten.

Wer solche Aktionen infrage stellt, eventuell dem Beschützer widerspricht, wird aus dem demokratischen Dialog gestoßen. Auf Social-Media, den »sozialen Medien«, folgt die verbale Hinrichtung und die Unterstellung mit Rassisten und Faschisten zu sympathisieren. Besonders hart werden Zweifler bestraft, die selbst zur Minderheit gehören. Verweigert ein zu Beschützender die Hilfe, wird der Beschützer versuchen, ihn aus der zu beschützenden Gemeinde herauszudrängen und als Sympathisant der Aggressoren zu denunzieren.

Außenansicht #34, Fazit 184 (Juli 2022)

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