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Die Steiermark nach Schützenhöfer

| 15. Juli 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 184, Fazitthema

Foto: Elias Maurer/Unsplash

Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer übergibt Christopher Drexler ein geordnetes Haus. Die wichtigen Vorhaben sind auf Schiene, die Weichen für die nahe Zukunft sind gestellt. Trotzdem werden es für Drexler zwei extrem herausfordernde Jahre. Denn das Land bloß zu verwalten, wird zu wenig sein, um die gute Position der Steiermark zu halten. Außerdem muss er 2024 eine Landtagswahl gewinnen. Text von Johannes Roth

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Es war die letzte wirklich große Bühne des Landeshauptmannes: Ein warmer Sommerabend im Garten des Palais Schönburg im 4. Wiener Gemeindebezirk, der Schauplatz des jährlichen Empfanges »Steirer in Wien«. Gekommen war ausschließlich, was Rang und Namen hat: Vom steirischen Eventestablishment und den Wiener »Adabeis« war wenig zu sehen, die 250 Personen umfassende Gästeliste machte klar, dass man parteiübergreifend unter sich sein wollte.

Die Freunde der Steiermark, könnte man sagen, waren geladen und gekommen: Der Kanzler verlor lobende Worte über die Urlaubsfreuden in der Südsteiermark und seinen Freund, den angehenden neuen steirischen Tourismusdirektor; der Vizekanzler betonte seine Freundschaft zum Landeshauptmann und vice versa. Wer sich einst um Sebastian geschart hat, fand hier Gelegenheit, in vertrauter Verbundenheit am Stehtisch bei Sauvignon Blanc und Vulcano-Schinken zwanglos zu plaudern – Kommunikationsspezialisten, Organisationsexperten, Pläneschmieder. Granden wie Hannes Androsch und Robert Holzmann hielten sich im Hintergrund, auch die Wegbegleiter des Landeshauptmannes aus der zweiten Reihe – weder Rang noch Status spielten in dieser Runde eine Rolle. Und wer genau hinschaute, konnte sehen, dass selbst Jörg Leichtfried und Karl Nehammer ein Bier zusammen trinken können. »Familie im besten Sinne« sei hier zusammengekommen, scherzte Leichtfried.
50 Jahre »Grünes Herz« wurde gefeiert, der Wechsel an der Landesspitze war Thema. Im Vordergrund stand die Geselligkeit: der Landesvater mit Mutterwitz auf der Bühne, der Landesmanager, der hier auf die Demonstration seiner Volksnähe getrost verzichten und stattdessen mit seiner von Intellekt getragenen Schlagfertigkeit punkten konnte. Nur die alten Hasen erinnern sich mittlerweile an die Zeit, als Klubobmann Drexler für Franz Voves den konsequent verwendeten Titel »derzeit amtierender Landeshauptmann« erfand und Voves in der ÖVP eine »genetisch bedingte Krebszelle« sah: Es gehört dazu, dass man sich der Geschichte erinnert, wenn man einen Status Quo festschreiben will, der durch die politische Überwindung dieser tiefen Gräben möglich wurde.  
Alles an diesem Empfang vermittelte: Das Land ist gut aufgestellt.

Allfällige Personalfragen sind geregelt, das Land ist bestens vernetzt, der Kontakt zur Spitze der Republik ist ausgezeichnet, die Leistungen unbestritten: Die F&E-Quote, die Tourismuszahlen, der Wirtschaftsstandort. Die Innovationskraft des Landes wurde auf dezent im Garten platzierten Screens präsentiert. Es scheint, als wäre die Steiermark das einzige Bundesland ohne Sorgen. Das stimmt natürlich so nicht. Nicht in jedem Wirtschaftszweig läuft es so gut wie im Tourismus, der trotz oder wegen Corona vergangenes Jahr einmal mehr einen Rekordergebnisse verbuchen konnte. Und so muss Christopher Drexler vor allem dafür sorgen, dass die Steiermark als Wirtschaftsstandort attraktiv bleibt.

Innovationskraft ungebrochen
Es ist kein Zufall, dass die Steiermark die höchste F&E-Quote Österreichs und eine der höchsten unter den Regionen Europas hat. Die derzeit 5,15 Prozent des Bruttoregionalproduktes, die in der Steiermark für Forschung & Entwicklung ausgegeben werden, sind gut investiert. Aber die Transformation vom traditionellen Industriestandort zum Technologiestandort ist erstens nicht leicht, zweitens noch nicht abgeschlossen und drittens nicht billig. Die Konkurrenz ist groß – man matcht sich hier nicht nur mit österreichischen Bundesländern, sondern mit Regionen weltweit.

Die Industrieperlen am steirischen Herzogshut sind die Stahlindustrie, die Fahrzeug- und Mobilitätsindustrie und natürlich die Holz- und Papierindustrie. Hochtechnologieunternehmen wie die AMS Osram AG, Andritz, Anton Paar, AT&S, die AVL, IBS, Knapp, Legero, Pankl, Remus oder die Mayr-Melnhof-Unternehmungen geben weltweit zigtausenden Menschen Arbeit und unterstreichen die Güte des Wirtschaftsstandorts. Schon vor Jahren wurde begonnen, die heimische Wirtschaft in Clustern und Kompetenzzentren zu organisieren – hunderte Unternehmen sind es mittlerweile, die auf verschiedensten Gebieten forschen und ihre Ergebnisse in klingende Münze verwandeln. Mit dem Green Valley hat sich daraus eine Unternehmenslandschaft entwickelt, die am Puls der Zeit forscht und wirtschaftet.

Diesen Standard gilt es zu halten. Dafür essenziell sind qualitativ hochwertige Bildungs- und Ausbildungsstätten für den Nachwuchs. Mit ihren neun Hochschulen (davon fünf Universitäten und zwei Fachhochschulen) ist die Steiermark ganz gut aufgestellt – nur in Wien gibt es noch mehr. Doch die 55.000 in der Steiermark Studierenden decken den Bedarf im eigenen Land bei weitem nicht. Und so wird der Fachkräftemangel zu den größeren Herausforderungen des neuen Landeshauptmannes werden. Der demografische Wandel wird dieses Problem noch deutlich verschärfen.

Die Prognosen gehen von einem starken Bevölkerungsrückgang in der Steiermark aus. Während im Westen die Geburtenraten noch stabil sind und Bundesländer wie Wien oder Niederösterreich einen Mangel an Geburten durch Zuwanderung wettmachen können, trifft dies auf die Steiermark – wie auch auf Kärnten und das Burgenland – nicht zu. »Das eigentlich Beunruhigende dieser Entwicklung ist jedoch nicht so sehr das Schrumpfen der Bevölkerung als vielmehr das langfristige Altern der steirischen Bevölkerung. Bis 2030 wird der Anteil der 60-Jährigen und Älteren von heute 21 Prozent auf über 30 Prozent steigen und in etwa 50 Jahren soll bereits nahezu die Hälfte der Steirer (48 Prozent) der Gruppe der Senioren angehören. Vor allem in einzelnen Bezirken könnte dieser Alterungsprozess dramatische Dimensionen annehmen«, analysiert Jörg Schreyer von der Universität Graz diese Entwicklung.

Für die Politik sind das Herausforderungen, die sie durch kluge Weichenstellungen und weitblickende Initiativen lösen muss. Bereits jetzt sichtbar ist der Bevölkerungsrückgang in den alten steirischen Industriegebieten. Aus Bruck an der Mur und Mürzzuschlag wandern mehr Menschen ab, als geboren werden, die Bevölkerung dort droht ebenso zu überaltern wie in Liezen oder Murau. In Graz und Graz-Umgebung verursacht der Zuzug eine Wohnungsknappheit, auf die man mit der Errichtung immer auffälligerer Betonbunker reagiert, die wiederum den Unmut der Grazerinnen und Grazer wecken.

Zehn steirische Landeskrankenhäuser an mehr als 20 Standorten, 250.000 stationäre und nahezu eine Million ambulante Patienten, dazu vier Landespflegezentren und die insgesamt 19.000 Mitarbeiter machen die KAGES zu einem unverzichtbaren Bestandteil der steirischen Gesundheitspolitik. Und sie verursachen gewaltige Kosten – bei begrenzten Einnahmemöglichkeiten. Es ist einer der größten, heikelsten und komplexesten Posten im Landeshaushalt. Das Bemühen, das Budget zu konsolidieren, reicht mehr als ein Jahrzehnt zurück und wirkt bis heute: Als sich die »Reformpartnerschaft« im Jahr 2010 darauf verständigte, die Neuverschuldung des Landes zu senken, stellte man das steirische Gesundheitswesen auf den Prüfstand. An der vom damaligen Gesundheitslandesrat Christopher Drexler und seiner Amtsvorgängerin Kristina Edlinger-Ploder initiierten Gesundheitsreform scheiden sich bis heute die Geister. Der »Gesundheitsplan 2035« sah einen massiven Bettenabbau und eine völlige Neuorientierung des Gesundheitswesens vor. Vereinfacht gesagt, läuft es auf eine Spezialisierung der einzelnen Krankenhäuser hinaus, während Gesundheitszentren die erste Anlaufstelle für die Patienten sein sollen; dies trage dem demografischen Wandel und den verbesserten Behandlungsmethoden eher Rechnung als ein System generalisierter Landeskrankenhäuser in jeder Bezirkshauptstadt.

Diese Reform – mittlerweile von Landesrätin Juliane Bogner-Strauß vorangetrieben – wird von der Bevölkerung bis heute als harter Einschnitt wahrgenommen. Der Plan sieht neben einem Bettenabbau die Schließung diverser Abteilungen und Spitäler in den Regionen vor, mehrere 24-Stunden-Ambulanzen und Kassenstellen für Kinderärzte sollen ebenfalls wegfallen. Dafür sollen Gesundheitszentren eröffnet werden, die auch bisherige allgemeinärztliche Praxen ersetzen sollen. 100 Zentren sollen bis 2025 errichtet werden. Bis jetzt wurden aber gerade einmal elf davon tatsächlich errichtet und die KPÖ ätzt, dass die Schließungen der Spitäler wesentlich schneller vonstattengehen.

Derzeit befindet sich das heftig umstrittene Leitspital für den größten Bezirk Österreichs, Liezen, in Umsetzung. Obwohl seit fast drei Jahren nicht mehr politisch zuständig wird in der Region immer noch Christopher Drexler dafür verantwortlich gemacht, dass drei bestehende Krankenhäuser in Schladming, Bad Aussee und Rottenmann einem Neubau in Stainach weichen sollen.  

Graz als Blinddarm der Schienen
Unabdingbar für einen starken Wirtschaftsstandort ist ein gut ausgebautes Verkehrsnetz: Vor allem die Erreichbarkeit auf Schiene wird im internationalen Standortwettbewerb zu einem immer größeren Kriterium – nicht zuletzt, weil es gerade in einem exportorientierten Land wie der Steiermark gilt, den Transport von Waren und Gütern eher über die Schiene abzuwickeln als über die Straße. Jede Tonne Fracht auf der Schiene bringt rund 15-mal weniger CO2-Ausstoß als mit dem Transport per Lkw.

Die Steiermark hat hier schlechte Karten, die Randlage im Südosten Österreichs und die ungünstige Lage des Grazer Beckens haben sich historisch schon immer als Hemmschuh für Güter- und Personenverkehr erwiesen. Graz ist nach wie vor im »Blinddarm« des Schienennetzes und wird dies bis zur Fertigstellung der Koralmbahn und dem Semmering Basistunnel auch bleiben. Erst wenn Graz durch den Koralmtunnel an den Baltisch-Adriatischen Korridor angeschlossen ist, kann sich die steirische Landeshauptstadt als Durchgangsknotenpunkt positionieren. Beide Projekte sind im Wortsinne auf Schiene: Die Fahrtzeit zwischen Graz und Wien soll sich in absehbarer Zeit auf 85 Minuten verkürzen, Klagenfurt soll von Graz aus künftig in 45 Minuten erreichbar sein.
Im Schienennetz sind dennoch einige riesige Baustellen zu bewältigen: So fehlt dem Land eine hinreichende Nordwest-Südost-Verbindung; es gilt, die Erreichbarkeit der Nordseehäfen und die Absatzmärkte in Deutschland und Benelux ebenso sicherzustellen wie die Erreichbarkeit von Südosteuropa und zum Hafen Koper. Und so fordern Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer im Gleichklang den Vollausbau der Pyhrnbahn und vor allem einen neuen Bosrucktunnel.

Dazu kommt die permanente Überlastung des Streckenabschnittes Bruck-an-der-Mur-Graz-Werndorf, die man ebenfalls dringend in Angriff nehmen muss. Und auch die Grazer Ostbahn, die die Steiermark mit Ungarn verbindet, wird wegen ihres schlechten Ausbauzustandes und der Trassenlage von Experten als mangelhaft eingestuft. Sie muss zunächst dringend elektrifiziert werden. Nicht besonders glücklich entwickelt hat sich die Anbindung des Grazer Flughafens. So soll die für die Wirtschaft enorm wichtige Flugverbindung zwischen Graz und dem weltweiten Hub Wien-Schwechat von der grünen Umweltministerin gestrichen werden, sobald Semmeringbasistunnel und Koralmtunnel fertiggestellt sind. Darüber hinaus kämpft der Flughafen mit dem Problem fast aller Regionalflughäfen: Wichtige Anbindungen und Direktverbindungen fehlen und sind auch nicht in Sicht.

Trotzdem steht die Steiermark wirtschaftlich gut da. Mit einem Bruttoregionalprodukt von etwa 50 Milliarden Euro liegt sie auf dem vierten Platz unter den österreichischen Bundesländern. Aktuell verzeichnet die Steiermark Beschäftigungsrekorde und niedrigere Arbeitslosenzahlen als vor der Pandemie. Derzeit sind 33.800 Steirer arbeitslos oder in Schulungen. Gleichzeitig gilt es, 20.000 Stellen zu besetzen. Am stärksten ist der Personalmangel im Tourismus und im Handel.

Wie sich der Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren entwickeln wird, hängt auch davon ab, ob die Wirtschaftsstrategie des Landes aufgeht. Die wird zwar laufend evaluiert und angepasst. Aber Faktoren wie Corona und der Ukraine Krieg sind natürlich unvorhersehbar.

Die Wirtschaftsstrategie 2030 steht unter dem Motto »Neues Wachstum – Neue Chancen – Neue Qualität«. Fünf Kernstrategien definieren die Gesamtstrategie: Standortentwicklung und -Management, Innovations- und F&E-Förderung, Unternehmertum & Wachstum junger Unternehmen, Qualifizierung & Humanpotenzial und schließlich Internationalisierung von Unternehmen und Standort. Im Fokus steht bei allen Maßnahmen mittel- bis langfristig ein umfassender Nachhaltigkeitsgedanke, während kurzfristige Maßnahmen darauf abzielen müssen, die neu zutage tretenden Risiken abzufedern: Vor allem die Lieferkettenprobleme, die Versorgungssicherheit mit Energie und die steigenden Rohstoffpreise gilt es im Auge zu behalten.

Schwierige Aufgaben
Insgesamt wird sich die Landespolitik und damit der neue Landeshauptmann Christopher Drexler in den kommenden Jahren eher schwerer als leichter tun. Er hat politisch mehrere Baustellen und nur zwei Jahre Zeit, um zu überzeugen. Schon Schützenhöfers Wahlergebnis war noch von der Euphorie um Sebastian Kurz getragen gewesen – die ist nun verklungen. Die Opposition im Bund hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Image der ÖVP völlig zu dekonstruieren.  Wenn der Bundes-ÖVP nicht bald ein Befreiungsschlag gelingt wird ihr schlechtes Image auch auf die Steirische ÖVP durchschlagen, selbst wenn diese bis zur nächsten Landtagswahl von Skandalen verschont bleiben sollte. Zugute kommt der ÖVP derzeit noch die relative Bedeutungslosigkeit, in die sich die FPÖ manövriert hat. Die kommunistisch regierte Landeshauptstadt Graz, ist jedoch eine offene Wunde und schränkt die Handlungsfreiheit der Steirischen ÖVP im gesamten Bundesland ein. Denn die Qualität der Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land wäre gerade in den kommenden zwei Jahren wichtig gewesen. Schließlich entscheidet sich die Standortqualität des Landes vor allem in Graz und in Graz Umgebung. Denn viele für die Wirtschaftskraft bedeutende Themenfelder wie etwa der Verkehr oder der Breitbandausbau können nur im Konsens von Land und Landeshauptstadt zielführend vorangetrieben werden.

Fazitthema Fazit 184 (Juli 2022), Foto: Elias Maurer/Unsplash

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