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Wie man Vorstandsdirektor wird

| 15. Juli 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 184, Fazitbegegnung

Foto: Heimo Binder

Die Vorstandsetage im achten Stock des Südturms am Merkur Campus bietet nicht nur einen prächtigen Ausblick auf die Stadt – sogar das weit auskragende Vordach der Grazer Messe sieht man von oben – auch im Inneren des Büros beeindruckt etwa ein unbesäumter, mehrere Meter langer Besprechungstisch aus massiven, extrabreiten und einige Zentimeter dicken Hartholzpfosten. Wie ein Signal dafür, dass hier keine Dünnbrettbohrungen stattfinden.

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Als jüngsten Beleg dafür kann Vorstandsdirektor Christian Kladiva (49), auf die größte Akquisition in der 224-jährigen Geschichte der Merkur Gruppe verweisen: die erst vor knapp drei Monaten abgeschlossene Übernahme der Nürnberger Versicherung Österreich. »Das war ein ganz wichtiges Puzzleteil, genau dieses Stück hat uns noch gefehlt, denn die Nürnberger ist ein reiner Lebensversicherer und dort, wie auch als Berufsunfähigkeitsversicherer, der Pionier in Österreich«, freut sich Kladiva. Voller Begeisterung erzählt der gelernte Werkzeugmacher und technische Zeichner vom geradezu rituell anmutenden Vorgang beim Zukauf des Unternehmens mit rund 110 Millionen Euro Prämienvolumen und der Übernahme von etwa 130 Mitarbeitern. Dazu im Vergleich: Die Merkur Versicherung AG hatte im Vorjahr ein Prämienvolumen von 561 Millionen Euro, der Merkur Konzern kam auf 651,4 Millionen Euro.

Kladiva: »So einen großen geschäftlichen Schritt erlebt man in der Regel nicht oft im Leben. Beim sogenannten Closing sitzen sich die Eigentümer und der Notar gegenüber, in der Mitte des Tisches liegt die Aktie in Papierform. Dann wird der Käufer aufgefordert, über seinen Banker den Kaufpreis anzuweisen, dann wartet man auf den Call, dass die Anweisung erfolgt ist und schließlich auf den Call beim Banker der Gegenseite über Zahlungseingang und Verbuchung bei der Bank des Verkäufers. Erst danach wandert die Aktie unter Aufsicht des Notars physisch auf die andere Seite. Das war für mich ein historisches und auch berührendes Ereignis, weil der Prozess einen beinahe altmodischen, aber würdevollen Charakter hat, wo nicht nur eine schnelle Unterschrift genügt und die Sache erledigt ist.« Also Zug um Zug und nicht in Mikrosekunden wie bei elektronischen Lösegeldzahlungen in James-Bond-Filmen. »So ähnlich war es schon«, lacht der Vorstandsdirektor, »nur hat es allein wegen der Calls an die zweieinhalb Stunden gedauert.« Über den Kaufpreis wurde ebenso Stillschweigen vereinbart, wie man einen Vorstandsdirektor nicht einfach fragen kann, wieviel er verdient. Obwohl man so etwas gern wüßte und sei es nur deshalb, um Kinderfragen beantworten zu können. »Warum sind Blumen bunt?« – zum Beispiel – läßt sich über Bienenbeobachtung vielleicht erklären, aber die Frage »Papa, wie wird man Vorstandsdirektor?« ist in der Tat schwieriger.

Wie war das bei Christian Kladiva? Während der erwähnten Lehre bei der Austria Antriebstechnik (ATB) in Spielberg war der geborene Knittelfelder bereits Jugendvertrauensrat, eine Art Betriebsrat für die Jungen. Über diese Schiene kam er nach einem Wehrdienstjahr als Jugendreferent zur Gewerkschaft der Privatbediensteten (GPA). Auf meine Frage, wie er bei der SPÖ gelandet sei, antwortet er: »Bei der SPÖ gar nicht. Sondern bei der GPA beziehungsweise dem ÖGB.« Der Jugendvertrauensrat war über Fachgewerkschaften organisiert. »Und das ist damals eine gute Möglichkeit gewesen, als Jugendlicher über Busausflüge zum Skifahren und Baden weg- und rauszukommen. Dabei ergeben sich dann auch Bekanntschaften und Netzwerke – wie in einem Sportverein, nur gemütlicher.« Nach 13 Jahren als GPA-Sekretär wurde er Assistent des damaligen Merkur Generaldirektors, dann Geschäftsführer der Sicherheit und Zukunft GmbH, dem Maklerunternehmen der Merkur Versicherung. Nach der Leitung des Vorstandsbüros übernahm er für ein Jahr die Leitung des Bereichs Risikomanagement und Betriebsorganisation, eine der wichtigsten Stellen im Unternehmen. Seit nunmehr gut acht Jahren, genauer seit Jänner 2014, ist Christian Kladiva Vorstandsdirektor des seit dem Vorjahr zweitgrößten privaten Krankenversicherers und siebentgrößten Versicherers Österreichs, der Merkur Versicherung, mit Tochterunternehmen in Slowenien, Kroatien und Serbien. Welche Voraussetzungen man für den Job noch mitbringen sollte? Christian Kladiva, der gern beim Golfen und Vespafahren entspannt: »Man muss es wollen, die 7/24/365-Formel leben und die tägliche absolute Abwechslung lieben. Vor allem aber muss man Menschen mögen, das ist mein Motto und Leitspruch.« Und man muss nicht studieren, um Vorstandsdirektor zu werden? »Definitiv nicht.«

Christian Kladiva wurde am 11.8.1972 in Knittelfeld geboren, sein Vater war Maschinenbauschlosser bei der Voest-Alpine, seine Mutter arbeitete beim Konsum. Nach Abbruch einer HTL absolvierte er eine Doppellehre als Angestellter und Arbeiter (Technischer Zeichner und Werkzeugmacher), wurde Sekretär bei der GPA, wechselte 2006 zur Merkur Versicherung AG, wo er seit 2014 einer von vier Vorständen ist. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und hat eine 24-jährige Tochter.

Fazitbegegnung, Fazit 184 (Juli 2022) – Foto: Heimo Binder

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