Tandl macht Schluss (Fazit 186)
Johannes Tandl | 12. Oktober 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 186, Schlusspunkt
Wollen wir wirklich den totalen Krieg? Ob, wie vor wenigen Tagen vom deutschen Kanzler Olaf Scholz vor der UN-Vollversammlung behauptet, Russland diesen Krieg tatsächlich nicht gewinnen kann, steht in den Sternen. Weder das Kriegsglück der Ukrainer noch jenes der Russen hängt davon ab, ob weitere 300.000 unmotivierte junge Russen als Kanonenfutter für die von der Nato aufgerüstete ukrainische Armee herhalten müssen, sondern ausschließlich davon, wie weit die Entschlossenheit des russischen Diktators reicht.
Wladimir Putin hat bereits bewiesen, dass er sich weder von Sanktionen noch vor den in der Ukraine zum Einsatz gebrachten Waffensystemen abschrecken lässt. Im Gegenteil! Obwohl er ein Kriegsziel nach dem anderen verfehlt, zündet er eine Eskalationsrakete nach der anderen. Zuletzt haben ihn die empfindlichen Territorialverluste seiner Armee sogar dazu veranlasst, die Teilmobilmachung von 300.000 der 46 Millionen wehrtauglichen Russen zu verkünden. Es ist ihm allem Anschein nach ziemlich egal, dass er nun auch die russischen Mütter, Väter und Ehefrauen gegen sich aufbringt. Inzwischen steht jedenfalls fest, dass trotz der Staatspropaganda auch die Russinnen und Russen diesen Krieg nicht wollen. Sonst hätten sich angesichts der guten Verdienstchancen – die russischen Soldaten erhalten monatlich mindestens 2.500 Euro, etwa das Fünffache eines Durchschnittsverdienstes – doch locker 300.000 Freiwillige finden lassen müssen, die trotz des Sicherheitsrisikos ähnlich begeistert an die Front ziehen wie die Ukrainer.
Putin ist offensichtlich dazu bereit, sehr viel dafür zu tun, um am Ende des Krieges als Sieger dazustehen. Es ist gut möglich, dass die Ukraine mit westlicher Hilfe immer stärker und stärker wird. Aber wie schaut es mit dem russischen Wirtschaftskrieg gegen Europa aus? Obwohl dabei Gottseidank (noch) keine Waffen zum Einsatz kommen, wird dieser Kampf von beiden Seiten rücksichtslos geführt. Dass es bei einem massiven Bruch des Völkerrechts zu Sanktionen kommen muss, war Putin ganz sicher schon lange vor Kriegsbeginn klar. Bei jedem anderen – zwar ebenso brutalen, aber trotzdem berechenbaren – Gegenüber im Kreml hätten die westlichen Sanktionen wohl längst zu ernsthaften Friedensverhandlungen geführt. Und auch das Gas wäre weiter zu uns geflossen. Am Ende dieser Verhandlungen hätte eine neutrale Ukraine mit mehreren autonomen ostukrainischen Regionen stehen können. Aber es kam halt anders. Befeuert vom ziemlich inkompetent wirkenden Hausherrn im Weißen Haus, reiste der britische Premier Boris Johnson mit der Botschaft zu Selenskyj nach Kiew, sich nur ja nicht auf Verhandlungen einzulassen und stattdessen bis zum Eintreffen der westlichen Waffen durchzuhalten.
Inzwischen fließt auch kein Gas mehr. Der Anstieg der deutschen Erzeugerpreise zwischen August 2021 und August 2022 betrug unglaubliche 46 Prozent. Damit hat die deutsche Industrie innerhalb nur eines Jahres ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit verloren. Das droht nicht nur der deutschen Wirtschaft, sondern auch der österreichischen das Rückgrat zu brechen. Und was tut Putin? Dem scheint inzwischen alles egal zu sein und er schickt, gegen den Willen seiner Bevölkerung, tatsächlich Reservisten in die Ukraine, wo ihren Kanonen und Raketenwerfern jeder Zeit ein »Zufallstreffer« gegen eines der dortigen Atomkraftwerke auskommen kann. In Europa bedienen sich ausgerechnet die Grünen und viele Linke einer seit den Nazis nicht mehr da gewesenen Kriegsrhetorik. Damit ist ihnen ein Narrativ gelungen, das jeden, der eine andere Meinung vertritt, als »Putin-Versteher« cancelt.
Aber wollen wir wirklich den totalen Krieg? In Russland spricht der Putin-Gefolgsmann Dimitri Medwedew bereits von einem vollständigen Krieg, der zum Einsatz des gesamten Arsenals berechtigt. Und dazu gehören auch taktische Atomwaffen, deren Einsatz je nach Witterung ausreichen würde, um weite Teile Europas unbewohnbar zu machen. Wenn die Nato also nicht bald verhandeln lässt, bleibt uns nur die vage Hoffnung auf einen baldigen Nachfolger für den unberechenbar gewordenen Putin, und dass der den Schlamassel nicht noch schlimmer macht.
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