Das weitgehend Menschenfreundliche
Michael Petrowitsch | 14. November 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 187, Kunst und Kultur
Nach einem Sturm im Wasserglas zum Thema »Sprachgebrauch in der Kulturberichterstattung« mit anschließenden realen und virtuellen Diskussionsforen widmet man sich im Stadttheater gekonnt der Unterhaltung. Der Menschenfeind von Molière richtet’s, weil er in Krisenzeiten Glücksmomente forciert.
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Mit dem didaktischen Auftrag der bürgerlichen Unterhaltungsindustrie ist es so eine Sache. Oft meint man Gutes und öfter ist zu gut Gemeintes nicht sonderlich förderlich; für die Volksbildung nämlich. So begab es sich im Sommer anlässlich eines ausgezeichneten Konzertes in der Listhalle, dass die Musiker das Publikum etwa in Minute 40 – also in der Phase tiefster Entspannung – plötzlich mit dem Themenkomplex Ukraine auseinandersetzten. Ein stilles aber deutlich vernehmbares Raunen ging durch den gut akklimatisierten Saal. Staunen und Furcht. Vergnügen und Betroffenheit. Loslassen und Nachdenken. Ist dem Menschen in Zeiten wie diesen reine anspruchsvolle Unterhaltung mit – naturellement – gesellschaftspolitischen Bezügen ohne Betroffenheitskitsch zumutbar? Braucht es bei jeder Gelegenheit einen Zeigefinger, der daran erinnert, was gerade in der Welt passiert? Manchmal ja, oft auch nein. Dass man mit einem über 350 Jahre alten Klassiker innert einer Stunde und fünfzig Minuten rührig gesellschaftskritisch, geradezu am Existenzialistischen rüttelnd und doch krass unterhaltsam sein kann, zeigte uns diese Aufführung.
Welt der Heuchler
Dass die Hauptfigur Alceste empört ist, liegt auf der Hand, denn sein Umfeld ist wirklich noch widerlicher als er selbst. Seine Mitmenschen haben nichts Besseres zu tun, als sich zu ihrem eigenen Vorteil anzubiedern, einander zu belügen und zu hintergehen. Die von ihm angehimmelte Célimène zieht alle in ihren Bann und weiß ihren Platz in der Gesellschaft strategisch zu behaupten. Er selbst orientiert sich an sich selbst. Der französische Komödiendichter Molière erreichte am Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. einen einmaligen Aufstieg. Doch blieb ihm das von Intrigen und kapriziösen Auftritten geprägte Leben am Hofe immer ein wenig fremd. In der Komödie »Der Menschenfeind« hat er dies zu dem zeitlosen Porträt eines Mannes verdichtet, der mit der Welt der Heuchler gebrochen hat.
Für Alcestes Melancholie, seine »humeur noire« (dunkle Stimmung), war nach der sogenannten »Viersäftelehre« die schwarze Galle verantwortlich. Molière selbst schrieb sein Meisterwerk, als er begreifen musste, dass das, was er für eine vorübergehende Verstimmung gehalten hatte, zur chronischen Krankheit geworden war: Der Meister der klassischen Komödie litt, nach heutigen Begriffen, an Neurasthenie – und unter der unglücklichen Liebe zu seiner 20 Jahre jüngeren Frau.
Mit Markus Bothe hat ein Kenner Molières in Graz inszeniert und den Misanthropen aus dem Jahre 1666 dort gelassen, wo er hingehört. Wie anders funktionieren Menschen 2022? Die Grundkonstanten von Humanbeziehungen haben sich evolutionär betrachtet kaum weiterentwickelt. Und so belässt man das Ensemble (mit einem duften Florian Köhler in Dreifachrolle!) mit einer klassischen Versübersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens aus dem Jahr 1983, die trotz ihres recht kurzen Bestehens auch schon weit über 50 Inszenierungen miterleben durfte. Der Menschenfeind »ist im Prinzip derjenige, der die Ideale höfischen Verhaltens, die in dem Begriff der Honnêteté, der Wohlanständigkeit, der so ein kulturelles Ideal ist, so auf die Spitze treibt, dass sie in ihr Gegenteil umschlagen und sich gegen ihn selbst richten. Er ist ein ganz exzentrischer Typ, der sich permanent selber an den Rand dieser kleinen Gesellschaft katapultiert«, erklärt uns etwa Romanistin Brigitte Heymann.
Es muss also nicht immer mit Gewalt am Puls der Zeit inszeniert werden, wenn man zutiefst gegenwärtig sein will. Zudem ist das Bühnenbild, die »Hupfburg«, ein fantastischer Einfall, der als Leitfaden bis zum Zusammenklappen zum Schluss perfekt funktioniert.
Der Menschenfeind
Theaterstück von Molière; Regie von Markus Bothe
Aktuelle Termine: 10./12./22.11, 19.30 Uhr
schauspielhaus-graz.com
Alles Kultur, Fazit 187 (November 2022), Foto: Lex Karelly
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