Die Gestalterin
Volker Schögler | 14. November 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 187, Fazitbegegnung
Das Tor des roten Hauses in der Grazer Jakoministraße 9 ist der Eingang zu einem verwunschenen Garten. Der Hinterhof wird links und rechts begrenzt von zwei niedrigen, langgezogenen Gebäuden. Hier, wo sich einst Schweine und Hühner tummelten, hat sich Erika Thümmel ab 2009 mit behutsamer Hand ihre Wohn- und ihre Werkstatt eingerichtet.
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Als Diplomrestauratorin weiß sie ganz offensichtlich genau, worauf es ankommt, um gewachsene Strukturen zu erhalten und mit neuem Leben zu füllen. Ein paar Schritte über die von ihr freigelegten Murnockerl und man ist zu Hause; noch ein paar Schritte weiter, vorbei am riesigen Nußbaum und man steht inmitten einer grünen Oase, am östlichen Ende begrenzt von einer gigantischen Fichte. Das Refugium aus dem Jahr 1786 ist gerade einmal hundert Meter vom Jakominplatz entfernt. Straßenseitig befindet sich das Geschäftslokal der Hausherrin, es riecht nach Leinölfarbe. Durch die Auslagenscheibe sieht man zumeist einen ihrer sechs Mitarbeiter, zurzeit werden mehrere große Christus- figuren restauriert.
»Ich gestalte gerne«, sagt Erika Thümmel über sich selbst. Das bezieht sich sowohl auf ihr Umfeld, ihre Aktivitäten, wie auch auf ihren Werdegang. Noch in Schulzeiten inspiriert von einer TV-Dokumentation über die Restaurierung der Schallaburg, bewirbt sie sich nach der Matura beim »Opificio delle Pietre Dure« in Florenz, wo sie nach dreieinhalb Jahren ihr Diplom als Restauratorin macht. Als einzige Ausländerin im Lehrgang, aus einem Nicht-EU-Land, in den Siebziger- und Achtzigerjahren – abenteuerlich und nicht vergleichbar mit den heutigen Bildungsmöglichkeiten. Und vielleicht mit ein Grund, weshalb sie später selbst als Lehrbeauftragte für Informationsdesign und dann als hauptberuflich Lehrende für Ausstellungsdesign an der Fachhochschule Joanneum in Graz tätig wird, wo sie dieser Tage als FH-Professorin in Pension geht, aber noch Lehraufträge beibehält. Unabhängig davon setzt Erika Thümmel ihr Werk als Restauratorin fort und verbringt gerade viel Zeit im Gröbming, wo sie mit ihrem Team den gotischen Apostelaltar – der größte Flügelaltar der Steiermark – restauriert. Oder auch die Orgel im Grazer Dom. Die Liste ihres Schaffens ist enorm und umfasst Konservierungen und Restaurierungen von Leinwandgemälden, Holztafelbildern, gefassten Holzobjekten oder Bilderrahmen vorwiegend im kirchlichen Bereich und reicht bis zum Minoritensaal, wo sie 2021 Gemälde und Türen fertigstellte. Als Künstlerin ist Erika Thümmel in vielen Bereichen tätig. Sie hat Möbel als »Wohnsubjekte« und »Hauswesen« erschaffen, sie ist aber auch Ausstellungsgestalterin zunächst von Landesausstellungen, sodann zahlreicher eigener kultur- und kunsthistorischer Schauen, wie jener über Ingeborg Bachmann, die in mehr als 50 Orten in acht Sprachen gezeigt wurde. Oder – konzeptionell – über fünf Individuen namens Karl, die in einem besonderen Verhältnis zu ihr stehen. Sie beschäftigt sich mit dem Feminismus im Zusammenhang mit Kunst, war Mitbegründerin von »Eva&Co«, der »ersten feministischen Kulturzeitschrift«, arbeitet mit unterschiedlichen Materialien wie Frauenhaar oder Schokolade bis hin zu traditioneller Malerei.
Als sie vor mehr als zwanzig Jahren im Auftrag der Veranstalter die chinesische Terrakotta-Armee zu kontrollieren hatte, musste sie erkennen, dass Engagement nicht immer bloß bei der Dokumentation von kleinen Kratzern und Beschädigungen gefragt ist, sondern auch, wenn es um größerer Strukturen geht. So war die kaiserliche Palastanlage in Gestalt einer kleinen Stadt, die sie von ihrem ersten Besuch in China kannte, beim zweiten Besuch zugunsten eines modernen Wohnprojekts gänzlich verschwunden. Auch das mag ihr gesellschaftspolitisches Engagement erklären, das sich zum Beispiel in der Mitbegründung der »Initiative für ein unverwechselbares Graz« manifestiert: »Wenn Anlegerwohnungen, die dem Parken von Geld dienen, steuerlich begünstigt werden, andere Wohnungen aber nicht, dann ist das strukturell falsch.« Erika Thümmels Innenhof und der verwunschene Garten werden immer wieder geöffnet – so finden hier Flohmärkte oder Bezirksfeste mit Livemusik statt. Irgendwann wird sie auch straßenseitig die Kunststofffenster durch Holzfenster ersetzen: »Um dem Haus seine Würde zurückzugeben.«
Erika Thümmel wurde am 28. November 1959 als eine von vier Töchtern in Graz geboren, ihre Eltern besaßen die Brotfabrik Steiner in Eggenberg (später Sorger) und kreierten das »Evi-Brot«. Die Künstlerin, Restauratorin, Ausstellungsgestalterin und FH-Professorin hat zwei Kinder, der Sohn ist Steinrestaurator, die Tochter Bühnenbildnerin. Sie setzt sich aktiv für die Erhaltung des Grazer Stadtbildes ein.
Fazitbegegnung, Fazit 187 (November 2022) – Foto: Andreas Pankarter
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