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Die Ferne des Krieges. Die Nähe des Depots

| 10. Dezember 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 188, Kunst und Kultur

Foto: Matthias Völtzke

Die Hauptausstellung des Steirischen Herbst läuft noch bis Mitte Februar nächsten Jahres. Und dies ist wahrlich notwendig und verdient. Vor uns haben wir ein Paradebeispiel geglückter Zusammenarbeit mit bestehenden Institution und gegebener Festivalstruktur.

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Eines vorweg: Ekaterina Degot ist in ihrer neuen alten Funktion als Herbstintendantin ein Bravourstück gelungen. Die Ausstellung »Krieg in der Ferne«, von ihr und ihrem Kuratorenstab konzipiert, und mit der Belegschaft der Neuen Galerie durchgeführt verdient das Prädikat besonders wertvoll. Wieso?

Der permanente Krieg
Die Gratwanderung in Kriegszeiten zum Thema Krieg mit dem nötigen Abstand und trotzdem der gebotenen Ernsthaftigkeit zu erarbeiten, ist das was sie ist, eine Gratwanderung. Wäre der Krieg weit weg und beinahe nur ein Phantasma aus zeitlicher und geographischer Sicht wie weiland »Vietnam« wären die Dinge einfacher. Bekanntlich herrscht auf der Welt immer permanent und überall Krieg. Die Äußerungen der hiesigen Intellektualität waren und sind enden wollend, wenn Konflikte weitweg stattfanden, außer sie ließen sich ideologisch instrumentalisieren. Thematisch war auch der Jugoslawienkrieg (die Jugoslawienkriege über mehrere Jahre) »vor der Haustüre« nicht wirklich Thema gröberer Auseinandersetzung und erschöpften sich all zu oft in Überintellektualisierung ohne Substanz und Basis. Zu komplex die Strukturen zu verwoben die eigene Geschichte mit jener unseres Landstriches. Da hat man es mit dem ferneren Russland und der näheren Ukraine einfacher. Das Denken funktioniert wieder wie in Zeiten des kalten Krieg, das Leiden ist greifbar, die Auswirkungen auf unser aller Existieren existenziell spürbar.

Wie geht man aber nun als Kurator einer Kunstausstellung an die Sache ran? Degot beschränkt sich in ihrer Schau nicht auf die Thematik »Krieg« an sich, sondern verschränkt in ihrem Denken Gewalt- und Konfliktsituationen mit Kunst und Politik. Hoch anzurechnen ist ihr bei dieser Methode, auf den reichhaltigen Fundus im Depot der »Neuen Galerie« zurückzugreifen und diesen geschickt mit anderen Arbeiten zu kontextualisieren.

Thematische Cluster
Die gesamte Ausstellung ist thematisch in Cluster geordnet, die wiederum ein Gesamtbild ergeben. Dadurch wird ermöglicht, daß unterschiedliche Zeiten unterschiedliche Kontexte ergeben, und der freien assoziativen Möglichkeit der Rezeption steht nichts im Wege. Das wiederum lädt ein, die Ausstellung mehrmals zu besuchen. Die historischen Brüche in der Kontinuität menschlichen Zusammenlebens in Form von Konflikten weltweit kontrastiert mit steirischer Zeithistorie und Gesichtern aus der jüngsten Tagespolitik, ist wohl einzigartig gelungen. So bilden die Politikerporträts von ehemaligen Landtagspräsidenten eines Franz Yang-Mocnik in Kontrastierung mit den Arbeiten eines vergessenen Rudolf Spohn – der Gauleiter Uiberreithers Trauzeugen seiner Hochzeit porträtierte –, außerordentlich viele Möglichkeiten der Interpretation. Abgesehen von der wohl gewollten Bloßstellung patriarchaler Strukturen und Macht und vielen anverwandten Themen ist man – basisch betrachtet – glücklich, endlich wieder Arbeiten zu sehen, die in den Depots schlummern und die dem kollektiven Gedächtnis weitgehend entzogen wurden. Die Handschrift und das Wissen der beiden Kuratoren der Neuen Galerie, Gudrun Danzer und Günther Holler-Schuster, in der Schau ist überdeutlich. Eine breitere Öffnung der Depots, um die vielen vorhandenen Schätze zu zeigen, wäre wünschenswert und weitere intensive Zusammenschauen zwischen Internationalität und Steiermärkischem ebenso. Schauen Sie sich das an.

Ein Krieg in der Ferne
Ausstellung in der Neuen Galerie
Joanneumsviertel Graz
23.9.22–12.2.23
Täglich außer Montag von 10–18.00 Uhr
museum-joanneum.at
bit.ly/NeueGalerieGraz

Alles Kultur, Fazit 188 (Dezember 2022), Foto: Matthias Völtzke

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