Änderungen nach Maß
Volker Schögler | 28. Februar 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 190, Fazitbegegnung
Jeden Montag sieht man eine Schlange in der Kalchberggasse. Während die Schlangen gleich ums Eck in der Kaiserfeldgasse vor der Eisperle vorwiegend zur warmen Jahreszeit jeden Tag auftreten, trifft man jene vor der Änderungsschneiderei von Claudia Hammer das ganze Jahr über an, aber eben nur montags. Denn nur an diesem Tag hat sie zwischen 7 und 16 Uhr geöffnet.
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Das wissen die regelmäßig rund 100 Personen, die die Schlange bilden, die oft bis zur Raubergasse reicht. Sie kommen für durchschnittlich 120 Änderungen, die genau eine Woche später wieder abzuholen sind. Und sie wissen, dass die gelernte Maßschneiderin eine Meisterin ihres Faches ist und so moderate Preise hat, dass die Kundschaft mit wirklich allem kommt.
»Sie glauben ja gar nicht, was da alles dabei ist«, hebt sie an, doch da habe ich die x-mal gestopften Feinrippunterhosen schon gesehen. In der Regel geht es aber um weiter und enger Nähen sowie um Verlängern und Kürzen. Somit um Hosen, Röcke und Kleider, Blusen und Hemden, Jacken und Mäntel oder Krawatten und Schürzen. So steht es zumindest in der Preisliste, die den Eindruck macht, als stammte sie aus dem vorigen Jahrhundert – lauter niedrigste zweistellige und sogar einige einstellige Preise. In Zeiten zweistelliger Inflation ein geradezu paradiesischer Anblick.
»Der Trend zum Reparieren und Umnähen ist klar erkenntlich, weil die Leute nicht mehr so viel kaufen«, meint die Schneiderin. Tatsächlich boomen am Bekleidungssektor die Second-Hand-Läden und Online-Plattformen wie »willhaben«. Aber das Gewand passt dann oft nicht und Claudia Hammer macht »aus Größe 42 die Größe 38«. Und umgekehrt? »Eine Größe sollte bei Maßgeschneidertem immer »drinnen« sein, bei Konfektionsware allerdings weniger, außer bei Dirndln. Sonst muss man halt tricksen, Ballkleider habe ich auch schon um 20 Zentimeter weiter gemacht: Der Zipp hinten kommt weg und wird etwa durch eine Schnürung ersetzt.« Ihre Kundschaft – Männer und Frauer halten sich die Waage – rekrutiert sich aus allen Altersklassen, vom Teenager bis zu 90-Plus, kommt aus der ganzen Steiermark von Bad Radkersburg bis Schladming, auch aus Wien, insbesondere aber natürlich aus Graz: »Der Standort ist optimal, weil die ganzen Büros vom Magistrat, von der Landesregierung, die ganzen Gerichte und Rechtsanwälte in unmittelbarer Nähe sind.«
Mehr als 90 Prozent ihrer Kunden kennt sie, oft auch die ganze Familie, weil die zweite Generation auch schon zu ihr kommt. Auch die drei Herausgeber vom Fazit, wie ich zu meinem Erstaunen feststellte, mit Vor- und Zunamen. Und wenn einmal ein Knopf abgerissen ist oder die Hose geplatzt, hilft sie auch »auf die Schnelle« aus. Ich glaube, sogar wenn nicht Montag ist. Denn im Geschäft ist sie jeden Tag von 7 bis 16 Uhr. Da werden die erwähnten 120 Änderungen durchgeführt, die ja bis zum Montag fertig sein müssen. Deshalb ist sie sogar samstags zumindest bis Mittag da. Als sie noch zusätzlich freitags geöffnet hatte, war Claudia Hammer auch am Sonntag im Geschäft, um die Aufträge abzuarbeiten. Einiges, vor allem zum Auftrennen, erledigt sie nach wie vor zu Hause, abends »vor dem Fernseher«.
Die gebürtige Wienerin, die erst aus heiratstechnischen Gründen mit 20 in die Steiermark kam, wusste schon als Kind in der Volksschule, dass sie Schneiderin werden wollte. Nach vielen Jahren als Änderungsschneiderin in Modegeschäften und Boutiquen (Trachten Hammerer in Wien, Edelbauer, Brühl, Lin Lin in Graz) sah sie 2005 das Schild »Zu vermieten« an der Tür des ehemaligen Friseurgeschäfts in der Kalchberggasse 1 und machte sich selbstständig. Ja, das hatten ihre Kunden nun davon – viel Freude. Aber die Mitvergangenheit des letzten Satzes deutet es schon an: Claudia Hammers Pensionierung beginnt im nächsten Jahr und es werden sehr viele sein, die das bedauern. Für sie gibt es ein Quantum Trost. Wenn der Lift, für den Hammers Geschäftsräume benötigt werden, doch nicht so schnell gebaut wird, »würde ich noch ein oder zwei Jahre dranhängen.«
Claudia Hammer wurde am 28. März 1964 in Wien geboren, wo sie nach der Hauptschule die Modeschule Michelbeuern absolvierte, die Meisterprüfung erfolgte 1993 in Graz. Sie ist geschieden und Mutter von zwei erwachsenen Söhnen. Die Änderungsschneiderei in der Grazer Kalchbergstraße 1 betreibt sie seit 2005.Neben einem großen Kundenstock betreut sie auch Modegeschäfte wie Benetton und Jones oder Bella Moda.
Fazitbegegnung, Fazit 190 (März 2023) – Foto: Andreas Pankarter
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