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Des Simpls Geheimnis

| 28. Februar 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 190, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Joachim Brandl, Michael Niavarani und Jenny Frankl vom Kabarett Simpl über billiges Bier, noch billigere Witze und Humor in Zeiten der »Cancel Culture«.

Das Gespräch führten Josef Schiffer und Peter K. Wagner.
Fotos von Marija Kanizaj.

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Ungewohnt viele Menschen versammeln sich am Parkplatz des Grieskai 74. Unsere langjährige Fotografin Marija Kanizaj hat uns erstmals in ihr Fotostudio geladen. Denn anders als bei üblichen Fazitgesprächen haben unsere heutigen Interviewten keinen Standort in Graz oder der Steiermark, an dem wir sie besuchen können.

Dazu kommt, dass wir erst zum zweiten Mal nicht eine Person für unsere Coverinterview ausgewählt haben, sondern gleich drei. Jenny Frankl, Joachim Brandl und Michael Niavarani befinden sich auf Österreich-Promotiontour zum Anlass von 110 Jahre Simpl. Der Zeitplan für das Trio ist dicht, eine knappe Stunde haben wir laut der beiden PR-Betreuer.

Als wir nach 40 Minuten darauf hinweisen, dass wir wohl langsam in Richtung Shootingraum aufbrechen müssten, will Niavarani aber nichts von Zeitdruck wissen und meint ganz ironiebefreit: »Wir haben keinen Stress, das sind sehr spannende Fragen.«

***

110 Jahre Simpl ist der Grund eures Graz-Besuchs. Das Jubiläumsprogramm heißt des »Bullis Kern« und mit Bulli ist das Wahrzeichen des Simpl gemeint. Aber wer ist denn dieser Bulli eigentlich?
Michael Niavarani: Der damalige Gründer des Kabarett Simpl, ein gewisser Egon Dorn, hat sich aus München ein Logo für sein Lokal in Wien gestohlen. Es hieß damals Bierkabarett Simplicissimus, also man kam in den Keller, um Bier zu trinken, und hat die Kunst in Kauf genommen.
Jenny Frankl: Das Bier war auch extra billig.

Waren die Schmähs auch billig?
Niavarani: Natürlich, zum Bier passend. Aber jedenfalls hat dieser Herr Dorn ein Logo gebraucht. Der Münchner Bulli ist allerdings eckig gezeichnet, fletscht die Zähne und ist ein bissiger Kettenhund.
Joachim Brandl: Der Münchner Bulli ist deshalb bissig, weil er die Ketten der Zensur durchbeißt. Der Name »Simplicissimus« geht übrigens auf eine Satirezeitschrift zurück.
Niavarani: Der Wiener Bulli ist ein lieber Bulli, der bei der Zensur gar nicht aneckt, weil er höchstens jemandem ans Bein pinkelt, aber nicht beißt.

110 Jahre Kabarett ist eine wirklich lange Zeitspanne. Wie oft musste sich das Simpl neu erfinden?
Niavarani: Man fängt immer bei null an. Man ist nach jedem einzelnen Sketch, der gelingt, in der fatalen Situation: Was ist, wenn mir nie wieder etwas Lustiges einfällt?
Frankl: Aber wir legen unsere neuen Ideen in eine erfolgreiche Schablone. Diese Aneinanderreihung von Sketches blieb immer gleich.
Brandl: Ich glaube sogar, dass das vielleicht auch ein Geheimnis des Simpl ist. Wir sind das letzte Relikt. »Saturday Night Live« macht vielleicht noch, was wir machen.
Niavarani: Das Interessante an der kabarettistischen Revue ist, dass sie hochmodern ist. Es ist Tiktok – nur halt analog.

Foto: Marija Kanizaj

Tiktok ist unsere nächste Frage, gibt es eine Überlegung, auf Tiktok zu gehen als Kabarett Simpl? Immerhin lernen jungen Menschen dort heute satirische Formate kennen.
Niavarani: Ich schaue manchmal Tiktok und muss Ihnen sagen, mein Algorithmus ist eine Drecksau – da kommen nur Nackerte. Ich verstehe es nicht. Es gibt Menschen, die auf Tiktok Sketches machen. Da gibt es etwa eine Amerikanerin, die sämtliche Hormone und Organe des Köpers spielt. Begonnen hat es mit Facebook. Das war sozusagen die Demokratisierung der Veröffentlichung. Du musstest nicht mehr eine Zeitung haben. Und Tiktok ist die Demokratisierung des Theaters und Kabaretts.
Brandl: Und des Fernsehens.
Niavarani: Genau, du bist überhaupt nicht mehr abhängig davon, dass irgendjemand im ORF sagt, es sei lustig, was du machst. Es gibt Menschen, die haben Millionen von Klicks und damit Quoten, von denen der ORF nur träumen kann.
Frankl: Durch Zufall erreicht eigentlich.
Niavarani: Ich finde das für unseren Beruf überhaupt nicht bedrohlich.
Brandl: Aber die Frage war, ob wir Pläne haben, auf Tiktok zu gehen.
Frankl: Ich habe mir das schon sehr lustig vorgestellt.
Niavarani: Das ist schon eine Generationenfrage, warum soll ich ein Tiktok-Tänzchen machen?

Wenn man in der Tradition zurückgeht, ist Kabarett eine Form von Theater, das davon lebt, dass man mit Zuschauern interagiert. Später kam es ins Fernsehen – mit Karl Farkas und Fritz Grünbaum, wo diese Interaktion nicht mehr gegeben war. Inwiefern hat sich das auf die Kunstform des Kabaretts ausgewirkt – vor allem auf die Inhalte?
Niavarani: Dass das Simpl ins Fernsehen gegangen ist, hat das, was auf der Bühne stattfindet, überhaupt nicht verändert. Es hat dazu geführt, dass das Simpl populärer wurde. Wir feiern jetzt 110 Jahre – wir haben oft mit dem Konkurs gekämpft, vor allem in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Farkas und Grünbaum ist es gelungen, mit der Doppelconference ein Alleinstellungsmerkmal zu bekommen. Das Simpl hat sich in den Inhalten und Themen weiterentwickelt, aber nie in der Form, weil diese ja so abwechslungsreich ist und gut ist für ein buntes, unterhaltsames Programm. Farkas hat ja dann extra fürs Fernsehen seine Bilanzen geschrieben. Es wurde damals auch nie im Simpl selbst aufgezeichnet, weil die Fernsehkameras größer waren als die Tür. Das Format musste auch anders heißen, weil die Angst groß war, das Theater könnte eingehen. Aber es ist beim Theater eben so – auch nach den Schwierigkeiten mit Corona –, dass viel geredet wird, ob es wegen Netflix und Co. nicht ausstirbt. Ich glaube das nicht. Die Angst gab es schon beim Radio, dann beim Fernsehen.

Es sind unterschiedliche Zielgruppen bei Fernsehen und Kabarett. Welche Menschen gehen regelmäßig ins Kabarett?
Niavarani: Die, die regelmäßig ins Kabarett gehen.
Aber was braucht die Zielgruppe? Kabarett bedient ja auch Erwartungshaltungen.
Niavarani: Der Bulli ist im Prinzip beides. Mir ist es immer darum gegangen, Menschen gut zu unterhalten. Ich kann die Dinge, die um uns herum passieren, überzeichnen. Oder ich kann – wie Nestroy sagt – so lange an ihnen reiben, bis der Funke des Humors rausspringt.

Nestroy ist ja im Grunde Vorbild für Kabarett.
Niavarani: Ein Vorreiter, ja.

Insofern unterscheidet es sich von Schauspiel und Operette.
Niavarani: Natürlich. Aber jetzt nehmen wir Lotte de Beer, ihr ist es ein großes Anliegen, gut zu unterhalten und ein Statement zu setzen. Es gibt Produktionen, da ist das Burgtheater politischer als das Simpl. Auch wenn es noch keine Produktion gab, in dem das Burgtheater lustiger war als das Simpl, aber das macht ja nix.

Beim Regietheater hat man immer politische Anspielungen reingebracht. Ich erinnere mich an Rebellen, die mit dem Jeep vorfahren bei Wilhelm Tell.
Niavarani: Ja, wobei beim Regietheater ein politisches Kostüm kein Statement, sondern Fantasielosigkeit ist. Ich verstehe nicht, warum bei Schiller oder Goethe Nazis auftreten müssen.

Was ist Ihr Statement bei Ihren Neuinszenierungen von Shakespeare? Was wollen Sie drüberlegen, sozusagen?
Niavarani: Ich versuche, nichts drüberzulegen, sondern das rauszukitzeln, von dem wir Theaterhistoriker glauben, wie es damals war – nämlich Volkstheater. Da sind jeden Tag 3.000 Menschen dringesessen, es gab keine Hochkultur, es gab überhaupt keine Theaterkultur, das war einfach ein Dienstleistungsbetrieb. Eines der größten Komplimente bei meinem »Richard III.« war, dass ein Hamburger Theaterwissenschaftler mir geschrieben hat, dass sie schon viel geforscht haben, aber unsere Aufführung dem am nächsten kam, was damals gemacht wurde. Und das obwohl bei mir kaum Shakespeare vorgekommen ist.
Brandl: Das Problem an Shakespeare ist: Er war Volkstheater, er war Massenmedium, aber er ist ja später erst Hochkultur geworden, weil wir in der Schule Übersetzungen lesen, die 150 Jahre alt sind und eine unfassbar verstaubte, alte Sprache haben.

Was westliche Kulturschaffende derzeit sehr beschäftigt, ist das Thema Wokeness. Wie geht es Ihnen mit Cancel Culture?
Niavarani: Wenn sich jemand in einer Komödie oder einem Kabarett beleidigt fühlt, ist es in 90 Prozent der Fälle ein Irrtum. Ein Witz ist nicht dazu da, jemanden zu verletzten, sondern dazu da, jemandem zum Lachen zu bringen. Hinhauen sollte man nur nach oben. Es gibt zwei Arten des Lachens, das Mitlachen und das Auslachen. Wenn ich einen Witz über einen querschnittgelähmten Schwarzen mache, ist es ein Mitlachen über sein Schicksal, die Frechheit des Schicksals, dass dieser Mensch nicht gehen kann, und die Absurdität, dass man überhaupt einen Unterschied macht, dass jemand eine andere Hautfarbe hat. Wenn ich Herbert Kickl von einem Pferd runterfallen lasse, dann lache ich ihn aus. Das ist übrigens unsere nächste Revue.
Brandl: Mein Gott, grandios. Können wir das Tonband ausmachen?
Niavarani: Aus- oder mitlachen ist der einzige Unterschied, den man machen muss. Sonst darf man über alles Witze machen.
Frankl: Wir haben privat ganz woke Einstellungen, wir schließen in unseren Witzen aber auch niemanden aus.

Die Tradition des jüdischen Witzes ist es, sich über sich selbst lustig zu machen. Etwa bei Karl Farkas oder Ernst Waldbrunn. Wenn jetzt ein Komiker keine jüdischen Wurzeln hat – inwieweit darf dieser einen solchen Witz übernehmen, ohne verdächtig zu sein?
Niavarani: Das ist eine Frage der Einstellung. Ich brauche beim Witz den Kontext. Man muss das Gesicht sehen, die Augen und wissen, was jemand vorher gesagt hat und in welcher Stimmung. Und selbstverständlich kann ein Nichtjude einen Witz über einen Juden machen. Es ist keine kulturelle Aneignung und kein Rassismus, wenn ich mich über die Sprache von Ausländern lustig mache, weil sie tatsächlich so reden.
Frankl: Aber grundsätzlich ist es schon einfacher, wenn ich Blondinenwitze mache.
Niavarani: Natürlich. Es ist auch viel lustiger.

Welche Grenzen des Humors gibt es?
Niavarani: Die Grenze des guten Geschmacks muss man auf jeden Fall überschreiten, man muss auf jeden Fall die Grenze des Zumutbaren überschreiten. Aber man muss wissen, womit man sie überschreitet. Und man muss wissen, ergibt es innerhalb dieses Sketches einen Sinn? Reine Provokation bringt nix. Ich will die Leute zum Lachen bringen. Was habe ich im Simpl gekämpft, Scheiße sagen zu dürfen. Das war mir sehr wichtig. Das ist, was mich und John Cleese verbindet, – er hat bei der BBC um »cunt« und »shit« gekämpft. So lächerlich es klingt, aber das ist tatsächlich gesellschaftlich relevant.

Gibt es Beispiel für Witze, die das Simpl nicht macht?
Frankl: Ich überlege die ganze Zeit, mir ist nichts eingefallen.
Niavarani: Wir sagen also eh alles.

Kommt vor, dass sich jemand beschwert über unzumutbare Witze?
Niavarani: Ununterbrochen. Ein Beispiel: Ich habe einmal einen Brief bekommen, ob ich für Hunde mit drei Beinen spenden möchte, damit sie auch aus dem Tierheim adoptiert werden. Das ist nicht erfunden. Ich musste sehr lachen und sagte dazu auf der Bühne, ich spende 100 Euro und dann kann man fünf davon einschläfern. Das finde ich sehr witzig.

Stichwort Lisa Eckhart. Ist das noch geschmackvoll?
Niavarani: Es muss ja nicht geschmackvoll sein, es ist eine Geschmacksfrage. Sie hat einen tollen Rhythmus, ist sprachlich brillant und provokativ.

Also Sie finden es in Ordnung?
Niavarani: Ich liebe Lisa Eckhart.

Eckhart will bewusst Grenzen überschreiten, um ihre Resonanz zu erhöhen.
Niavarani: Das wollen wir nicht unbedingt, aber wir haben nichts dagegen.
Frankl: Manche Sachen werden auch einfach falsch verstanden. Unsere Finalnummer beschäftigt sich damit, dass man aufs Klima aufpassen muss, und wir demonstrieren da praktisch am Schluss. Wir haben aufgrund dessen Briefe von Menschen bekommen, die meinten, sie hätten das Theater verlassen müssen, weil sie sich so geärgert haben. Man dürfe sich nicht über Leute lustig machen, die den Klimawandel wirklich ernst nehmen. Das ist eben ein Missverständnis.

Die Beleidigungsgrenzen sind bei manchen Menschen sehr tief angesetzt.
Brandl: Ja. Und das verschiebt sich. Ich habe im Sommer eine Veranstaltungsreihe mitmoderiert, da gab es eine Richtlinie, die alle Auftretenden unterschreiben sollte. Dort stand, dass man sich zu allen woken Themen bekennt, nichts über Geschlecht, Hautfarbe usw. sagt. Im Prinzip darfst du dann keinen Auftritt mehr machen. Dann kann ich über Tische sprechen. Und muss wahrscheinlich noch aufpassen, dass ich nicht über die Farbe des Tisches etwas sage. Es stand dort sinngemäß, das Publikum habe die Deutungshoheit. Wenn jemand findet, ich habe die Grenze überschritten, dann habe ich das, aber dann kann ich kein Theater mehr machen.
Frankl: Vor allem kein Kabarett.
Niavarani: Man könnte sagen, es herrscht eine Überempfindlichkeit. Ich versuche aber immer, etwas Positives rauszunehmen. Ich hoffe nicht, dass es nicht nur eine Hysterie ist, die irgendwann vorbei ist. Wenn man Filme aus den Neunzehnsechzigern oder Neunzehnsiebzigern anschaut: Damals nahm man eine Behandlung von Frauen durch Männer hin, die heute als Vergewaltigung gelten würde. Es wurde aber so dargestellt, als wäre sie erfreut, dass er sie endlich küsst. Trotzdem darf ich mir diese Filme anschauen, aber sie zeigen uns, dass die Gesellschaft sich Gott sei Dank verändert hat. In 50 oder 100 Jahren wird man in der Vorlesung nicht sagen müssen: »Achtung, wir machen den Kasperl durch, es kommt das Krokodil, das kriegt eine am Kopf, wenn dafür jemand zu empfindlich ist, bitte jetzt rausgehen.«
Frankl: Wenn die Krokodile das nicht verkraften, jetzt bitte rausgehen, wird es heißen. [Niavarani lacht laut auf]
Brandl: … und alle, die sich als Krokodil identifizieren, bitte auch rausgehen.
Niavarani: Der »Sommernachtstraum« darf nicht mehr unterrichtet werden, weil er eine Klassengesellschaft darstellt und jemand K.o.-Tropfen bekommt und dann mit ihr geschlafen wird. Was die Dani bei uns übrigens mit mir macht. Ich werde noch dazu in einen Esel verwandelt.
Frankl: Aber da muss man nicht viel machen für deine Verwandlung.
Niavarani: Danke, Frau Kollegin.
Frankl: Sehr gerne.
Niavarani: Eine sehr billige Maske haben wir da ja. Aber so was zu verbieten, ist ein Schwachsinn. Die Entwicklung an sich ist sehr in Ordnung, und so groß sind unsere Probleme auch nicht. Frauen bekommen noch immer nicht dasselbe bezahlt wie Männer, wir machen unsere Umwelt kaputt, und das größte Problem ist, ob wir Witze machen über irgendetwas. Das ist ein bissl eine Augenauswischerei.

Aber es kommt tagtäglich vor. Es werden Lieder von Radiostationen nicht gespielt. Damals der »Burli« von EAV in Bayern, in den USA trifft es heute Dean Martin.
Niavarani: Wenn es die Menschheit in 500 bis 1.000 Jahren noch gibt, wird sie darüber ziemlich lachen, wenn sie das in Geschichtsbüchern lesen. Ah, sie haben diese Lieder nicht mehr gespielt, aber mit dem Flugzeug sind sie noch geflogen.

In der frühen Neuzeit gab es eben andere Tabus.
Niavarani: Es ist trotzdem ein ganz großer Unterschied zur Zensur, denn das ist keine Zensur, keine staatliche Repression. Wenn ein Veranstalter mich nicht auftreten lässt, ist es seine Entscheidung, die ich akzeptieren kann. Ich bin für jeden, der mich nicht spielen lässt, sehr dankbar – ich arbeite eh so viel.

Foto: Marija Kanizaj

Ist Manfred Wegscheider eigentlich noch Satire?
Niavarani: Natürlich nicht. Aber Manfred Wegscheider ist auch nicht Satire, wenn er was anderes macht. Es gibt nichts Unkomischeres und Dümmeres als den Herrn Wegscheider. Wenn jemand keine Ahnung von Satire hat, dann er. Es ist Werbung für die FPÖ.

Dieter Nuhr ist jemand, der auch sehr kritisiert wird.
Niavarani: Dieter Nuhr ist Satire, ein sehr gescheiter Mensch.

Aber man merkt, dass er ideologischer geworden ist in den letzten Jahren. Er hat eine Agenda.
Niavarani: Ja, aber das ist leider Gottes beim Kabarett das Fade. Sobald ich bei einem Programm merke, das geht eher ins Konservative und Rechte oder aber es ist liberal-weltaufgeschlossen-links, dann wird es schon fad, weil es festgelegt ist.

Ist Jan Böhmermann dann auch fad?
Niavarani: Wahnsinnig fad. Unendlich gescheit, sehr lustig, aber mir fehlt die Überraschung. Wir dürfen eines nicht vergessen: Unsere Aufgabe ist es, die Menschen zu unterhalten, nicht die Welt zu verändern.

Und auch nicht zu belehren?
Niavarani: Schon gar nicht.
Brandl: Das ist das Letzte.
Niavarani: Eine Berufsverfehlung. Dann werde Gymnasialprofessor oder gehe in die Politik.

Denkanstöße sind aber in Ordnung?
Brandl: Natürlich.
Niavarani: Denkanstöße sind wichtig, aber es ist nicht alles richtig, was die Linken sagen, und auch nicht alles, was die Rechten sagen, ist falsch.

Aber die Polarisierung ist extrem. Wer den Mittelweg geht, wird oft von beiden Seiten beschimpft.
Niavarani: Ja. Ich auch, weil ich beide Seiten beleidige.
Brandl: Wir hauen auch dorthin, wo wir der Meinung sind, dass es einen Grund gibt zum Hinhauen. Das ist halt mal der mehr und mal der.
Niavarani: Genau. Auch ich als Beleidiger möchte gesehen werden. Und ich möchte für mich eine eigene Toilette.

Wir reden viel über die Zukunft. Was wird dazu führen, dass Menschen in einigen Jahren noch ins Simpl gehen?
Brandl: Die Liveerfahrung. Das kann bei all der Diskussion ums Fernsehen usw. niemand ersetzen. Das Publikum hat mit uns eine Gemeinschaftserfahrung.

Aber wird es das Simpl in 110 Jahren noch geben?
Niavarani: Vielleicht gibt es das Simpl nicht mehr, aber das Theaterkabarett wird es noch geben.

Die Bierpreise könntet ihr sonst notfalls wieder senken.
Niavarani: [lacht laut auf] Stimmt.
Frankl: Die sind angeblich eh ganz moderat.

Wie geht es Ihnen eigentlich in einem »Verreckmoment«, in dem der Lacher nicht kommt?
Frankl: Da kann ich nicht mitreden.
Niavarani: [lacht besonders laut auf] Das ist mein Fachgebiet.
Brandl: Nein, unser beider Fachgebiet.

Gibt es auch Hänger und Einflüsterer im Simpl?
Frankl: Wie? Bitte? [Brandl und Niavarani lachen]
Brandl: Natürlich gibt es die. Ich erinnere mich an meinen zweiten Abend als Conférencier im Simpl. Ich bin furchtbar gehangen, und mir wurde eingeflüstert, ich habe aber kein Wort verstanden. Dann habe ich die Einflüsterin Andrea auf die Bühne gebeten und sie dem Publikum vorgestellt. Beim Kabarett kannst du das machen.
Niavarani: Das gute bei Jenny Frankl und Joachim Brandl ist, dass sie gar nicht aus ihrer Rolle rausfallen können, weil sie keine spielen.
Brandl: Wir haben vom Besten gelernt. Aber du bist doch einmal im Solo gehangen?
Niavarani: Das größte Blackout, das ich jemals hätte, bei einer Gala. Es war ein schwieriges Publikum, was an meiner Verkaterung lag, und in der Pause fragen die Veranstalter mich, warum ich eine Sequenz ausgelassen habe. Ich wollte Tempo machen, dachte mir aber, bei dieser Sequenz muss ich wieder mit der Sequenz davor anfangen. Und dann war bei jeder Pointe Totenstille.
Frankl: Ich war dabei. Es war nichts, wirklich. Dabei hast du alles gegeben.
Niavarani: Und dann bin ich draufgekommen, dass ich sechs Minuten aus dem ersten Teil wiederholt habe. Ich bin nicht gehangen, sondern ich habe verdoppelt.

Das Publikum war verdutzt?
Niavarani: Es war fassungslos. Das ist das Peinlichste, was mir je passiert ist. Aber es war der Alkohol. Wie beim Strache.

Aber wir dürfens veröffentlichen?
Frankl: Ja, aber nicht, dass ich beim Trinken am Abend davor dabei war.

Frau Frankl, Herr Brandl und Herr Niavarani, danke für das Gespräch!

*

Lukas Schinko wurde am 6. März 1987 geboren. Er besuchte die HTL Bulme für Nachrichtentechnik in Graz und stieg im August 2007 in die Neuroth-Gruppe seiner Mutter ein. 2011 übernahm er, mit erst 24 Jahren, als Vorstandsvorsitzender das Unternehmen. Schinkos Großvater war der Neffe der kinderlosen Unternehmensgründerin Paula Neuroth. Lukas Schinko ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in der Schweiz. neuroth.at

Fazitgespräch, Fazit 190 (März 2023), Fotos: Marija Kanizaj

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