Tandl macht Schluss (Fazit 191)
Johannes Tandl | 6. April 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 191, Schlusspunkt
Wünschen wir uns schon bald die Inflation zurück? Was passieren kann, wenn man Unternehmen von einem Tag auf den anderen den Zugang zu billigem Geld verwehrt, hat sich beim Bankenbeben der letzten Wochen deutlich gezeigt. Das Argument, dass sich die Europäische Zentralbank (EZB) durch eine etwaige Bankenkrise nicht von notwendigen Zinserhöhungen abhalten lassen dürfe, kehrt Ursache und Wirkung ins Gegenteil. Denn sowohl die Ereignisse, die zur Verstaatlichung der amerikanischen Silicon-Valley-Bank als auch jene, die zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS geführt hatten, sind eine unmittelbare Folge der Nullzinspolitik. Die Bankenkrise ist nur entstanden, weil sowohl die US-Notenbank Fed als auch die EZB die Zinsen so rasch anheben mussten, nachdem sie die Wirtschaft zuvor viel zu stark stimuliert hatten.
Die EZB setzte ihre ultralockere Geldpolitik sogar in der Hochkonjunktur fort; auch oder vor allem, um die Staatshaushalte der überschuldeten Euroländer zu schützen. Inzwischen geht es zusätzlich auch noch um den Schutz systemrelevanter »Too-Big-To-Fail-Investmentbanken«, die ihr Geld traditionell überall sonst, nur nicht mit der Zinsmarge verdienen. Daher mehren sich die Zeichen, dass die EZB trotz hoher Inflation nur mehr sehr geringe Zinsschritte setzen wird.
In normalen Zeiten ließe sich klar vorhersagen, was als Nächstes passieren wird: Wenn die EZB ihr Zinsniveau einfriert, anstatt, wie von den globalen Finanzmärkten erwartet, die hohe Inflation zu bekämpfen, wird es für Verbraucher und Unternehmen wieder deutlich attraktiver, sich zu verschulden. Und im nächsten Schritt führt dann die höhere Kreditnachfrage zu einem weiteren Anstieg der Preise für Waren und Dienstleistungen. Die Inflation wird also befeuert statt gebremst. In der nächsten Phase muss dann der Euro abgewertet werden. Denn die Investoren weichen aufgrund der geringeren Renditen in Veranlagungen außerhalb der Eurozone aus. Und die Abwertung erhöht den Druck auf das Preisniveau abermals.
Doch diesmal könnte eine völlig andere Entwicklung ins Haus stehen. Denn trotz der Mär der hohen Energiepreise sind sowohl das Rohöl als auch die meisten Industrierohstoffe in den letzten zwölf Monaten um gut 30 Prozent gefallen. Und trotz der geringeren Getreidelieferungen aus der Ukraine sind sogar die Agrarweltmarktpreise um etwa 20 Prozent gefallen.
Der weltbekannte Finanzexperte Albert Edwards – er ist Investmentchef der französischen Großbank »Société Générale« – warnt seine Kunden bereits vor einem Deflationsszenario. Er behauptet, die Leitzinsen würden – ausgehend von der Fed – noch heuer weltweit deutlich sinken. Vorige Woche, als die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS bekannt wurde, brachen die wichtigsten Energie- und Rohstoffpreise an nur einem Tag um fünf Prozent ein. Die meisten Finanzmarktkommentare erklärten das damit, dass die Anleger als Folge der Bankenturbulenzen eine globale Rezession fürchten würden.
Doch Edwards, der regelmäßig die wichtigsten Analystenrankings in der Kategorie »Globale Strategie« gewinnt, sieht das völlig anders: Er geht davon aus, dass sich der Rückgang der Rohstoffpreise sehr schnell in den Verbraucherpreisindizes für Lebensmittel und Energie niederschlagen wird. Daher werden die Notenbanken diesen deflationären Impuls schon bald nützen, um mit Zinssenkungen zu beginnen. Schließlich macht sich ganz Europa schon jetzt große Sorgen, dass einige überschuldete Euroländer die hohen Zinsen etwaiger neuer Anleihen nicht mehr in ihren Haushalten abbilden können.
Beim US-Wirtschaftssender CNBC wird ebenfalls bereits das Deflationsgespenst an die Wand gemalt. Jede weitere Zinserhöhung werde die Wahrscheinlichkeit einer deflationären Entwicklung deutlich erhöhen.
Da die Notenbanken sich bei ihrer Geldpolitik immer auf nachlaufende Daten konzentrieren und vorausschauende Marktprognosen selbst dann ignorieren, wenn sie sich über Jahrzehnte hinweg als zuverlässig erwiesen haben, könnte es unabhängig vom Krieg in der Ukraine schon bald zu einer Entwicklung kommen, in der wir uns eine – zumindest einstellige – Inflation zurückwünschen.
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