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Eindruck über Ausdruck

| 12. Mai 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 192, Serie »Erfolg braucht Führung«

Wie im Außen so im Innen? Ein Gespräch von Carola Payer mit dem Grazer Samuel Smigoc, Inhaber eines Tattoostudios.

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Der Megatrend zur Individualisierung ist weltweit spürbar. Erkenntlich wird er an der Art der Lebens-, Beziehungs- und Karrierekonzepten, einer anderen Einstellung zur Quantität der Zeit, die man im Arbeitsleben verbringen will. Ernährungsphilosophien, Entscheidungen für ein Geschlecht, aber auch die Art der Selbstdarstellung werden zur sehr bewussten Entscheidung. Anders zu sein als der andere, Individualität hervorzukehren, hat an Intensität gewonnen. Anpassung an die in der Erziehung und Gesellschaft geforderten Werte und Prinzipen und das Untergehen in der Masse wird abgelöst von der Koketterie, ruhig auch mal mehr aufzufallen oder aus gewohnten Systemen auszubrechen. Was Sinn macht, wird zunehmend zur Privatsache und ist nicht mehr so leicht verordenbar. Selbstverwirklichung erfolgt auch über eine bewusste Darstellung der eigenen Individualität und Identität nach außen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Tätowierungen als Selbstausdruck, die früher Seefahrern, Gangstern, Gefängnisinsassen und Bandenmitgliedern vorbehalten waren, zum relativ selbstverständlichen Mittel geworden sind.

Außen zeigt Innen
Die äußerliche Erscheinung von Samuel Smigoc zeigt ebenfalls viel von seinem Inneren. Aufgewachsen in einem sehr religiösen, konservativen Elternhaus und Umfeld, war der Schritt, sich selbst zum Ganzkörperkunstwerk zu machen, eine Revolution und ein Ausbrechen aus den zu engen Normen. Samuel Smigoc: »Ich wollte immer anders sein als alle anderen. Viele Leute wollten mich immer einschränken. Daher wollte ich meinen eigenen Weg finden.« Der Weg zum Tätowierer mit eigenem Studio und eigener Marke war ein Folgen der inneren Stimme, die nach Selbstständigkeit strebte. Samuel Smigoc: »Ich wollte immer selbstständig werden und sein!« Sowohl der offensive Selbstausdruck als auch der Schritt in die Selbstständigkeit zeigen eine Grundanlage im Wesen, nämlich Widerstand und Mut. Samuel Smigoc: »Ich habe klein zu Haues angefangen. Da ich viele Menschen aufgrund meiner Lehren als Installateur und Großhandelskaufmann kannte, kam ich zu meinen ersten Kunden. Ich stellte immer mehr fest, ein Händchen für das Zeichnen am Körper zu haben. Zuerst habe ich mich voll tätowieren lassen und dann den Meister zum Tätowierer gemacht. Ich holte mir den Feinschliff zum Tattoomeister durch die Arbeit in diversen Studios.« Nach wie vor ist Individualität für Samuel Smigoc wichtig: »Mit Holy Ink will ich eine eindeutige, sehr persönliche Stilrichtung und eine Marke schaffen. Ich lehne mich an kein Vorbild an. Meine Eltern haben in der Zwischenzeit mich und meinen Beruf auch akzeptiert. Akzeptanz ist mir ein sehr wichtiger Wert.«

Motivation und Motive
Nach einer Imas-Studie von 2020 hat jeder vierte Österreicher zumindest eine Tätowierung. Im Trend seit 2013 legte dieser Anteil um acht Prozentpunkte zu. Vor allem jüngere Personen unter 35 Jahren setzen mit dieser Art von Körperkult ein Zeichen. Mehr als zwei Fünftel von ihnen haben eine oder mehrere Tätowierungen am Körper. Besonders unter tätowierten Personen herrscht die Grundmotivation der Individualisierung vor: Tätowierungen gehören dazu, um sich selbst auszudrücken bzw. gelten als besondere Kunstform. Spitzenreiter der Tätowierungen ist Italien. Hier weist jeder Zweite eine Tätowierung auf. Auch die Klientel von Samuel Smigoc ist zwischen 18 und 45. Samuel Smigoc: »Mein Kundenportfolio geht vom Unternehmer bis hin zur Hausfrau und Mutter. Nach meiner Kundenstatistik kommen mehr Frauen zu mir. Frauen möchten gerne fein gestochene Tattoos und kleine Accessoires für ihren Körper. Ich habe eine feine Linienführung, sehr symmetrische Linien, ästhetisch und detailliert gestochen. Das schätzen meine Kundinnen neben dem Wohlfühlfaktor, den ich ihnen biete.« Was meint er zur Motivation oder den Motiven, die die Kunden mitbringen? »Prinzipiell wollen die Kunden ihren Charakter oder Prägungen, die sie hatten oder haben, ausdrücken. Als Beispiel zum Charakter: Köche tätowieren gerne Werkzeuge oder Zutaten aus der Küche, zum Beispiel ein Messer oder ein Gemüse, mit dem sie viel arbeiten. Oft sind es auch spirituelle Tattoos. Kunden kommen aber auch zu mir, um Tattoos entfernen zu lassen. Ich arbeite mit Milchsäure. Das ist ein neues und sehr effizientes und unbedenkliches Verfahren. Sehr spannend ist auch die oft sehr spontane Motivation von Menschen bei Events, bei denen ich live tätowiere. Derzeit trendige Motive sind Schlangen, kleine Wörter und Patchworktattoos. Die Beeinflussung von Social Media, vor allem Instagram, ist da sehr groß. Von da kommen die meisten neuen Tattootrends. Andere Kunden wollen große Kunstwerke. Ein ganzer Arm als Kunstwerk erfordert so in etwa 20 bis 30 Stunden mit drei bis vier Sitzungen.« Was nicht zu unterschätzen ist, Tattoos haben teilweise auch eine gesellschaftspolitische Funktion für Menschen. Zum Beispiel Semikolontattoos. Das Semikolon ist zu einem weltweiten Symbol geworden. Ein Tattoo in Semikolonform soll Menschen mit mentalen Problemen wie Depressionen, Schizophrenie, Borderline, Krebs oder Ähnlichem Hoffnung geben. Doch nicht nur Betroffene, auch viele Angehörige und Sympathisanten lassen sich ein Semikolon stechen. Samuel Smigoc: »Rechtsradikale Motive lehne ich ab oder Motive, wo ich das Gefühl habe, dass das ganz und gar nicht zum Charakter der Person passt.«

Einstellung zu und Akzeptanz von Tattoos und Tätowierten
Laut der schon erwähnten Studie regen Körperbilder und Darstellungen heutzutage niemanden mehr auf. Für 59 Prozent der Österreicher ist diese Körpermodifikation reine Privatsache, die niemanden etwas angeht. Für 15 Prozent der Österreicher wird eine unbekannte Person durch eine Tätowierung unsympathischer. Die »Generation 60 plus« sieht dies noch anders, diese Gruppe blickt etwas skeptischer auf die Kunstform. Samuel Smigoc: »Früher war es stressig. Teilweise haben mich Menschen sehr unverschämt und direkt mit unangenehmen Blicken angesehen und getuschelt. Tattoos werden immer gesellschaftsfähiger und das verändert das Verhalten. Wenn ich ‚nobel essen‘ gehe, finde ich die Situation manchmal sehr unterhaltsam. Die Leute wissen nicht, wie sie auf mich reagieren sollen. Einerseits ein Typ, der voll tätowiert ist, anderseits kann er sich das Lokal auch leisten! Da kommt eventuell noch das alte Gangsterimage der Tätowierungen zum Tragen. Das hat eventuell noch Auswirkungen bei Tattoos, die Berufsgruppe betreffend. Fußballer zeigen Ihre Tattoos gerne her, Rechtsanwälte eher nicht.«

Spätestens seit auch Barbie mit Tattoo käuflich erwerbbar ist, können wir davon ausgehen, dass wir am Tattoo als Selbstverständlichkeit nicht mehr vorbeikommen. Ken mit Ganzkörpertattoo lässt eventuell nicht mehr lang auf sich warten.

The Holy Ink
8010 Graz, Jakoministraße 30
Telefon +43 676 5613313
theholyink.com

Foto: Marija KanizajDr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at

Fazit 192 (Mai 2023), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 59)

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