Anzeige
FazitOnline

Außenansicht (43)

| 10. Juni 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 193

Mannschaft ohne Trainer. Stellen wir uns eine Fußballmannschaft mit einem Trainer vor, den zwei Drittel der Spieler ablehnen würde, über den sie der Meinung wären, seine Anweisungen seien falsch, er würde die anderen Mannschaften nicht verstehen und die eigene falsch vorbereiten.

::: Hier im Printlayout online lesen

Die Spieler sind der Ansicht, würden sie den Traineranweisungen folgen, wären sie von Beginn an verloren. Doch das Team macht weiter, die Fußballer laufen aufs Spielfeld und kämpfen gegen die gegnerische Mannschaft: Eine, deren Spieler ihrem Trainer vertrauen, ausnahmslos dessen Ideen und Strategien übernehmen und versuchen, diese umzusetzen. Wer hätte wohl mehr Chancen bei dem Spiel?

Die Sozialdemokraten haben sich bei der Abstimmung für einen Parteichef entschieden, der euphorisch diesen Sieg feierte – als ob die zwei Drittel, die ihn ablehnten, plötzlich nicht mehr existierten. Etwa 35.000 Mitglieder haben eine Person ausgewählt, die für die Partei im Wahlkampf genügend Vertrauen (von Nichtmitgliedern) sammeln sollte, um in einer Koalitionsregierung sozialdemokratische Ideen umzusetzen. 35.000 sind etwa 0,5 Prozent der Wahlberechtigten. 99,5 Prozent sind entweder keine SPÖ-Mitglieder oder solche, die den Sieger der Abstimmung ablehnen. Die Vorstellung eines Drittels der SPÖ-Mitglieder, dass ihre Sympathie für einen Spitzenkandidaten die wahlberechtigten Nichtmitglieder motivieren werde, ist gewagt – im Grunde genommen nicht nachvollziehbar. Man kann sich an Parteitage der verschiedensten Parteien erinnern, bei denen Abstimmungen über führende Politiker und Politikerinnen kritisch kommentiert wurden, bei denen die Ergebnisse unter 80 Prozent der abgegebenen Stimmen lagen. Das galt oft schon als halbe Niederlage.

Wie soll das nun funktionieren, wenn 65 Prozent den Parteichef ablehnen? Die stabile Grundlage der SPÖ ist das Engagement der Mitglieder und Funktionäre, mehr als in allen anderen Parteien. Es gibt tausende Vereine, regelmäßige Treffen, gemeinsame Reisen, sportliche Wettkämpfe und Demonstrationen. Die »Genossen« sind eine Gemeinschaft, es verbindet sie nicht nur das Kreuz am Stimmzettel alle paar Jahre, sondern eine Weltanschauung, eine Ideologie, eine Form der Kameradschaft. Keine andere Partei hat ein derart intensives, verbindendes Clubleben wie die Sozialdemokraten. Sie wählten in der Vergangenheit nicht nur ihren Spitzenkandidaten oder ihre Spitzenkandidatin, sie respektierten diese Person, vertrauten ihr, glaubten an sie. Das ist besonders eindrucksvoll am ersten Mai zu beobachten.

Bei den internen Wahlkämpfen im Vorfeld dieser Abstimmung ging es fast ausschließlich um Sympathie und die Unterstützung der Mitglieder. Die Frage, wer von den drei die größten Chancen bei den Nationalratswahlen haben könnte, war kaum ein Thema – und wenn ja, war es nur in wenigen Fällen ein Argument bei der internen Wahl.

Nun könnte man mich als ahnungslos bezeichnen, der die internen Mechanismen der Partei(en) nicht verstehen würde. Doch ist für mich eine Partei heute vergleichbar mit einem Unternehmen, das ein Produkt verkaufen möchte. Und damit kommt der Begriff Marketing ins Spiel. Die Vermarktung ist dann erfolgreich, wenn Kunden das Produkt kaufen. Übertragen auf die Politik sind fast alle Kunden keine Mitglieder der SPÖ. Wer von den Bewerbern um den Chefposten garantiert das optimale Marketing, damit das Produkt erfolgreich im Markt platziert wird? Ist dabei die Meinung der Mitarbeiter wichtig oder geht es um ganz andere Kriterien – wie Verkaufstalent, strategische Kreativität, Marketingerfahrung, Erfolg in verschiedenen Bereichen, Kenntnis des Marktes und der Konkurrenz, Organisation der Finanzen?

Politische Parteien haben sich von Ideologie weitgehend gelöst. Nur ein paar wenige Themen trennen »links« von »rechts«. Die Unterschiede in de n politischen Strategien betreffend Kultur, Wirtschaft, Bildung und Gesundheit lösen sich mehr und mehr auf. Die intelligente Vermarktung einer Partei mit einer überzeugenden Leitfigur wird immer wichtiger; immer schwieriger. Konkrete Inhalte rücken in den Hintergrund. Es gibt kein schlechteres Marketing als interne Konflikte, egal ob bei Unternehmen oder politischen Parteien. Auf den Fußball zurückkommend, hat diese Mannschaft noch vor dem ersten Spiel die schlechtesten Chancen in der Meisterschaft.

Außenansicht #43, Fazit 193 (Juni 2023)

Kommentare

Antworten