Toooor! I werd narrisch
Carola Payer | 10. Juni 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 193, Serie »Erfolg braucht Führung«
Sport und Ehrenamt im Zeitalter der Generationen Z und Alpha. Ein Gespräch von Carola Payer mit Gerald Stadler, dem Jugendleiter und Trainer des SV SMB Pachern.
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Das Ehrenamt ist der erforderliche Urstoff, aus dem Sportvereine und -verbände entstanden sind. Gemeinschaftsbildung und soziale Werte ermöglichen das ökonomische Überleben von Vereinen. Wie jedes Segment der Gesellschaft hängt auch der Sport qualitativ entscheidend davon ab, ob eine große Zahl an Menschen bereit ist, durch freiwilliges und unbezahltes Engagement an der Gestaltung mitzuwirken. Verbindliche und aufopfernde Vereinsmeierei der Babyboomer trifft jetzt auf eine unverbindliche Onlinegeneration. Wie kann da Sport im Ort und ehrenamtliches Engagement in Vereinen noch funktionieren.
Gerald Stadler, Jugendleiter und Trainer des SV SMB Pachern in Hart bei Graz, koordiniert rund 110 männliche und weibliche Kicker in den Gruppen U7 bis U15. Der Zulauf ist – vor allem zwischen zehn und elf Jahren – groß. Durch die Lockdowns in der Corona-Zeit haben einige den Fußballschuh an den Nagel gehängt, meistens im Alter von zwölf bis 15 Jahren. Bedingt durch fehlende Möglichkeiten ist es zu einer Verschiebung der Interessen und Hobbys gekommen. Diese Generation fehlt schon als mögliche Trainer für die ganz kleinen Nachwuchsspieler.
Fehlende sportliche Grundbasis
Gerald Stadler: »Es fehlt weniger an der Motivation bei den Kindern. Kinder haben nach wie vor Freude an der Bewegung. Kinder wollen nach wie vor spielen und gewinnen. Herausfordernd ist, dass viele Bewegungsmuster zu Hause oder in der Schule nicht mehr erworben werden. Ein Purzelbaum war früher keine Diskussion, heute muss er erst erlernt werden. Es fehlt an Bewegungsmobilität und Koordination. Die Trainer sind hier gefordert. Wir haben in der Trainingseinheit nur 1,5 Stunden Zeit. Wenn die Kinder koordinativ nicht gut sind, müssen wir ihnen das auch beibringen. Man muss sich aber trotzdem an den guten Spielern orientieren und die, die hier noch schlechter ausgestattet sind, nachziehen lassen. Macht man das umgekehrt, brechen dir die Guten weg, weil sie unterfordert sind. Das ist immer eine Gratwanderung. Spielverständnis beizubringen ist sehr viel Arbeit. Spannend ist, dass unter 10 Jahren alle im Tor spielen wollen, danach aber keiner mehr. Wir haben daher jetzt einen eigenen, sehr guten Tormanntrainer. Da erfahren die Kinder, was wirklich dahintersteckt, sie lernen jetzt mehr und das Training macht Spaß. So haben wir geschafft, die Tormannposition attraktiver zu machen. Bei den anderen Positionen merken die Kinder selbst, was sie gut können, und sie spielen dann auch in dieser Aufstellung. Das sportliche Grundniveau hat auch Auswirkungen darauf, wie viel gute Spieler man entwickeln kann. Wir wollen auch Profifußballer herausbringen und unser Verein ist daher auch auf Professionalität ausgerichtet. Hier geht es aber nur mit intrinsischer Motivation. Die nicht wirklich wollen, hören auf, sobald es leistungsorientierter wird.«
Herausforderungen im Verein
Viele Familien, die neu dazukommen, sehen den Verein eher als Betreuungsstätte. Daher fehlen hier Ressourcen aus den Familien, die sich früher oft in Vereinen engagiert haben. Gerald Stadler: »Wir brauchen vor allem gute, kinderaffine Trainer. Die Trainer müssen richtige »Kinderversteher« sein, einen guten Umgang pflegen und vor allem eine kindgerechte Sprache sprechen. Ab der U9 braucht es auch Trainer, die Spieltaktik vermitteln können. Der Trainer muss sehr gut mit dem Ball umgehen können, weil Kinder sehr durch Nachahmung lernen. Heute hat sich der Verband gut umgestellt und achtet darauf, wie man Kindertrainings abhält und was zu beachten ist. Hierfür gibt es auch eigene Trainerausbildungen. Wir legen darauf Wert, dass wir eine gute Gemeinschaft im Team haben. Die Kinder, vor allem die ganz jungen, sind aggressiver geworden. Es wird mehr gerauft und es gibt mehr ‚aggressive Auszucker‘. Der Respekt hat sich geändert. Grüß Gott oder Hallo zu sagen, wenn man kommt, und zuhören, wenn etwas erklärt wird, muss oftmals erst kultiviert werden. Wir haben eingeführt, gleich am Ende eines Spiels über den Matchverlauf zu reden und ihn zu analysieren. Das fördert die Gemeinschaft extrem. Fehler werden auf Augenhöhe besprochen. Wir vermeiden dadurch, dass über Dritte Infos ungefiltert oder abwertend zurückkommen. In der Elternarbeit wurde vereinbart, dass die Eltern beim Match nicht mitreden oder von der Seitenline Anweisungen geben. Keine Kommandos von außen ist unser Motto! Am Jahresanfang reden wir mit den Eltern, wie wir uns das Sportjahr vorstellen. Natürlich gibt es wie früher auch hin und wieder heiße Diskussionen zwischen Eltern und Trainern. Was nicht sein darf ist, dass Konflikte kontraproduktiv sind oder böses Blut erzeugen.«
Sinkende Siegermentalität
Gerald Stadler und seine Trainer motivieren ihre Teams durch die Möglichkeit, auch gegen sehr gute und bekannte Mannschaften zu spielen: »Die Siegermentalität ist nicht mehr so vorhanden wie einst. Einige wollen gewinnen und gut spielen. Einigen ist das aber komplett egal. Eine Art Wurschtmentalität im Sinne von ‚Na, dann hamma halt verloren.‘ Da ist wieder der Trainer gefragt! Aber es gibt auch andere Extreme – zum Beispiel zu viel Ehrfurcht vor dem Gegner. Das hatten wir auch schon bei einem Jahrgang. Wenn die Spieler da ein Sturm-Leibchen sahen, erstarrten sie vor Ehrfurcht. Das klingt im Nachhinein witzig, aber als Trainer waren wir richtig ohnmächtig in dieser Situation. Natürlich macht die Trainerarbeit mit einem topmotivierten Team, mit der Einstellung: ‚Jetzt erst recht kämpfen!‘ noch mehr Spaß. Leadertypen kristallisieren sich sowohl bei fußballerisch starken, aber auch bei nicht so guten Kickern heraus. Die Leadermentalität liegt stark in den Genen.«
Für Gerald Stadler ist die Vereinsarbeit viel Aufwand, aber am Ende des Tages schätzt er den Spaß und die Erfolge: »Ich arbeite einfach gerne mit den Jugendlichen. Allerdings muss die ganze Familie mitziehen, damit das möglich ist. Wir haben die letzten Jahre gute Mannschaften entwickelt und einige, teils unerwartete, Erfolge mit ihnen erreicht. Wir sind froh, mit der Firma SMB aus Hart bei Graz einen verlässlichen Sponsorpartner zu haben. Wir würden uns auch freuen, wenn die Gemeinde uns den Sportraum für die Wintereinheiten der U7 kostenfrei zur Verfügung stellen würde. In vielen Gemeinden wird das Ehrenamt auch in dieser Form unterstützt.«
SV Pachern
8075 Hart bei Graz, Eisweg 5
Im Bild die U12 (oben) und die U15
svpachern.at
Dr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at
Fazit 193 (Juni 2023), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 60)
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