Politicks Juli 2023
Johannes Tandl | 5. Juli 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 194, Politicks
Was taugt der EU-Asylkompromiss aus österreichischer Sicht?
Es ist ganz egal, ob die SPÖ nach links wandert, ob die FPÖ am rechten Rand verharrt oder ob die anderen Parteien in Richtung der angeblich frei gewordenen Mitte streben. Die beherrschenden Themen für die kommende Nationalratswahl, die spätestens im Herbst 2024 stattfinden wird, sind vorgegeben. Neben der Teuerung und dem Klimaschutz wird die Armutsmigration nach Europa, wegen der hohen Emotionen, die sich mit den dadurch ausgelösten Verteilungskämpfen erzielen lassen, das wichtigste Thema bleiben.
Daher wird der EU-Flüchtlingskompromiss darüber mitentscheiden, wer bei dieser Wahl wie abschneidet. Der zukünftige Umgang der EU mit Asylsuchenden, Asylberechtigten und abgelehnten Asylwerbern soll bis zum Herbst 2024 nicht nur rechtsgültig finalisiert sein, die Beschlüsse sollen auch international durchsetzbar sein und vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) halten.
Wenn die ÖVP jubelt, weil sie im Kompromiss einen Sieg von Innenminister Gerhard Karner verkaufen will, wenn die SPÖ und die Neos schweigen, weil ihnen im Großen und Ganzen keine bessere Lösung einfällt, wenn die Grünen verhalten jammern, weil sich ihr linker Flügel wieder einmal nicht in den EU-Beschlüssen wiederfindet, und wenn die migrationsfeindliche FPÖ tobt, dann kann der EU-Asylkompromiss aus österreichischer Sicht eigentlich nicht vollkommen falsch aufgesetzt sein.
Man kann jedenfalls sagen, dass die EU-Innenminister ihre engen Spielräume auszureizen versucht haben. Ob die Folgen der Beschlüsse dem EU-Parlament und den Entscheidungen des EGMR standhalten werden, steht trotzdem auf einem ganz anderen Blatt.
Warum ist eine Asylreform so schwierig?
1998 hat der Europarat das 11. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention beschlossen und in sämtlichen Mitgliedsstaaten ratifiziert. Dieser Beschluss wurde von der EU einstimmig in den gemeinsamen Rechtsbestand übernommen. Er stand damals im Banne der Neuordnung Europas nach dem Zerfall des Ostblocks und Flüchtlinge kamen damals – wenn überhaupt – nur als Individualreisende aus den späteren osteuropäischen EU-Mitgliedsländern und nicht zu Hundertausenden und von Schleppern bestens organisiert. Daran, dass dieses Protokoll im Jahr 2015 eine gewaltige Flüchtlingswelle ermöglichen könnte, hat damals ganz einfach niemand gedacht. Und wegen der komplizierten einstimmigen Beschlussfassung, samt nationalen Ratifizierungen, ist heute an eine Reform der umstrittenen Materie nicht einmal zu denken. Und so sind die EU-Mitglieder bei der Auslegung von Menschenrechten – anders als etwa die USA oder Australien – ausschließlich an den EGMR als Gemeinschaftsgericht gebunden, denn der ist mit dem 11. Zusatzprotokoll dazu befugt worden, als einziges und alleiniges Organ über Beschwerden gegen Menschenrechtsverstöße zu befinden. Daran ändert übrigens auch die Fantasie von FPÖ-Chef Herbert Kickl nichts, der populistisch von seiner »Festung Österreich« träumt. Sämtliche nationalen Beschlüsse, die einer Festung Österreich nahekommen, würden ganz einfach vom EGMR für ungültig erklärt werden.
Warum ist der Außengrenzschutz entscheidend?
Bevor der EGMR 1998 seine Befugnisse erhielt, konnte die Auslegung der EMRK von der Europäischen Kommission für Menschenrechte und dem Minister-Komitee des Europarats stark beeinflusst werden. Seit 1998 ist die Rolle der Minister darauf beschränkt, die Umsetzung der EGMR-Urteile zu überwachen.
Ein illegaler Grenzübertritt stellt aus Sicht des EGMR keinen Asylhinderungsgrund dar. Nicht einmal Zurückweisungen von Flüchtlingen ohne Papiere sind zulässig, sobald diese das magische Wort »Asyl« ausgesprochen haben. Und weil das die Schlepper natürlich ebenfalls wissen, raten die ihren Kunden – unabhängig von deren tatsächlicher Herkunft – immer dazu, ihre Papiere wegzuwerfen und sich als Afghanen oder Syrer auszugeben. Und selbst wenn die Asylbehörden diesen Schwindel im Zuge der jahrelangen Verfahren aufdecken, bringt das meist nichts, weil sich die tatsächlichen Herkunftsländer dieser Scheinasylanten weigern, ihre Bürger zurückzunehmen. Denn auf die Summen, die sie so durch »Western Union« und ähnliche Dienste in ihre Heimatländer überweisen, wollen Staaten wie Marokko, Tunesien, Indien oder Pakistan natürlich nicht verzichten.
Was steht im EU-Asyl-Kompromisspapier?
Nach jahrelangem ergebnislosem Ringen haben sich die EU-Staaten im Rat der Innenminister nun auf eine Verschärfung der EU-Asylregeln verständigt. Dabei geht es um die zukünftige Verteilung der Asylsuchenden in der Europäischen Union und um eine Vorabprüfung von Asylanträgen von Menschen ohne entsprechende Chancen auf Asylgewährung unmittelbar an der EU-Außengrenze. Die Pläne können, so die EU-Kommission, dann umgesetzt werden, wenn entsprechende Kooperationen mit Drittsaaten an der Außengrenze gelingen.
Menschen, die aus als sicher geltenden Ländern kommen, sollen dazu in geschlossenen Einrichtungen an der EU-Grenze so lange angehalten werden, bis ihr Asylantrag innerhalb von höchstens sechs Monaten abgelehnt oder wider Erwarten doch positiv entschieden ist. Bei Ablehnung sollen die Menschen umgehend zurückgeschickt werden. Dabei soll die Abschiebung in sämtliche Länder möglich sein, zu denen diese Scheinasylwerber »eine Verbindung haben«. Ob für diese Verbindung schon die Durchreise in Richtung EU reicht oder ob darüber andere Voraussetzungen entscheiden, soll im Ermessen der zurückweisenden Mitgliedsstaaten liegen. Das ist natürlich ein weiterer Konfliktpunkt auf dem Weg zu einem rechtsgültigen Beschluss durch das EU-Parlament. Erst wenn man den vom Rat akzeptierten Gesetzestext kennt, der dem EU-Parlament zur Beschlussfassung zugeführt wird, wird sich entscheiden, ob eine beschlussfähige Lösung zustande kommt oder nicht.
Der österreichische Innenminister Gerhard Karner zeigte sich jedenfalls zufrieden und sagte: »Nach harten, zähen Verhandlungen ist ein weiterer wichtiger Schritt gelungen für ein strengeres, auch manchmal schärferes und gerechteres Asylsystem.«
Asyl im »Wunschland« soll nicht mehr möglich sein
Bisher haben sich Asylsuchende ihr Zielland innerhalb der EU de facto aussuchen können.
Wegen der gut ausgebauten Sozialsysteme waren daher Länder wie Österreich, Deutschland oder Schweden heiß begehrt. Neben den verschärften Asylverfahren soll es daher in Zukunft auch mehr Solidarität innerhalb der EU-Mitgliedstaaten geben.
In Zukunft sollen daher Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, zu hohen Ausgleichszahlungen – die Rede ist von 22.000 Euro je nicht aufgenommenem Flüchtling – gezwungen werden können. Ob es für Österreich oder Schweden wegen der vielen aufgenommenen Asylwerber und -berechtigten Sonderregelungen bei der Verteilung zukünftiger Flüchtlinge geben wird, ist dennoch zweifelhaft. Von der Pflicht zur Solidarität würde jedenfalls ganz sicher Italien profitieren. Polen, Ungarn, Malta, die Slowakei, Bulgarien und Tschechien haben jedoch bereits ihren Widerstand gegen die Verteilung angekündigt. Und auch die Europäischen Grünen wollen die Umsetzung bekämpfen, weil es an den Außengrenzen zu haftähnlichen Bedingungen für Flüchtlinge aus Staaten mit geringer Anerkennungsquote kommen kann. Daher wird es bis zur Beschlussfassung noch zu zahlreichen Änderungsvorschlägen des Innenminister-Kompromisses kommen.
Die EU-Kommission will die Agenda jedenfalls bis zu den Europawahlen, Anfang Juni 2024, erledigt sehen. Und nach begonnener Umsetzung wird man auch feststellen, ob die Richter des EGMR ebenfalls mit dem Kompromiss leben können.
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