Außenansicht (45)
Peter Sichrovsky | 18. August 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 195
New York City nach der Covidkrise. Das Symbol der USA an der Ostküste mit mehr unterschiedlichen Nationalitäten, Religionen, Haut-und Haarfarben als irgendeine Stadt der Welt versucht sich von der Pandemie zu erholen. Kaum eine andere amerikanische Stadt wurde von den Veränderungen so betroffen.
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Innerhalb weniger Wochen verlor die Stadt eine Million Jobs, die Arbeitslosigkeit sprang von 3,7 im Februar auf 21 Prozent im Mai 2020. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sank um 90 Prozent. Die Todesrate – teils durch fehlende medizinische Versorgung in den Vierteln mit ärmerer Bevölkerung und teils durch Vorurteile der orthodox religiösen Gemeinschaften – war höher als in den meisten amerikanischen Städten. Der Tourismus, eine der Haupteinnahmequellen, brach völlig zusammen. Ein Großteil der kleineren Hotels und Restaurants musste zusperren und konnte sich bis heute vom finanziellen Zusammenbruch nicht erholen.
Ich war letzte Woche in New York, wohnte wie immer in Williamsburg in Brooklyn. Von hier kann man zu Fuß über die gleichnamige Brücke Manhattan erreichen. Ich Wohnte im Wythe-Hotel, ein 1901 erbautes ehemaliges Lagerhaus mit alten Holzdecken und roten Ziegelwänden. Ein beliebtes Hotel von Musikern und Schauspielern wie zum jene der Fernsehserie »White Lotus« und »Succession«. Dass dort meine Tochter arbeitet, tut nichts zur Sache, es ist trotzdem eines der besten und originellsten Hotels in New York.
Das ehemals chassidisch-jüdische Williamsburg ist das neue Soho, mit interessanten Restaurants, Geschäften und Hotels. Wer sich für wichtig hält in der US-Gesellschaft, wohnt nicht mehr in Manhattan. Orthodoxe Juden zogen ein paar Straßen weiter, behielten die wunderbaren Reihenhäuser in den schattigen, allee-artigen Straßen, bauten sie um in kleine Apartments um und vermieten sie um ein Vermögen. Die junge Erfolgsgeneration, die hier unbedingt leben möchte, zahlt etwa 3.000 Euro Monatsmiete für gute 50 Quadratmeter.
Hat sich New York erholt vom Covid-Schock? Ja und nein; es hat sich verändert. Keine andere Stadt ist so anpassungsfähig und flexibel und zeigt uns eine Gesellschaft, die mit Optimismus und Kreativität Krisen schneller bewältigt als andere. Die Arbeitslosigkeit ist auf das Vor-Covid-Niveau gesunken, mit extremen Veränderungen je nach Branche. Die Zustellungsindustrie wie Amazon verdoppelte sich mit neuen Verteilungszentren und verbesserter Infrastruktur. Weiters wuchsen die medizinische Versorgung, die Finanz- und Versicherungsbranche und die Verwaltung. Größte Verlierer sind kulturelle Einrichtungen wie Theater, Konzerte, Museen. Besucher fehlen noch immer. Ebenso Produktionsbetriebe und der Immobiliensektor. Hotels und Restaurants liegen umsatzmäßig trotz massiver Preiserhöhungen weit unter den Zahlen von 2019.
Touristen kommen zurück, geben jedoch weniger Geld aus. Ein Hamburger, den man 2019 noch um zehn Dollar bekam, kostet jetzt das Doppelte. Ein Steak in einem guten Restaurant ist nicht unter 50 Dollar zu bekommen. Größtes Problem der finanziellen Stabilität sind die leeren Bürotürme. Nur etwa 50 Prozent von ihnen sind im Vergleich zu 2019 bespielt. Die Stadt versucht, mit günstigen Krediten den Umbau von Bürofläche in Wohneinheiten zu fördern.
Aber die Stadt lebt und hat sich erfolgreich aus der Depression an den eigenen Haaren herausgezogen. Neben Williamsburg entstand östlich von Soho ein neues Gebiet mit kleinen, originellen Geschäften, Bäckereien, Eisgeschäften und internationalen Restaurants; das auch unter Tags vollgepackt ist mit jungen Leuten, als habe es hier nie eine Katastrophe gegeben.
Wer es in New York versuchen möchte, ist immer noch bereit, auf Bequemlichkeit zu verzichten, wohnt auf winzigem Raum in lauten Apartments, schläft mit den nie endenden Sirenen der Polizei- und Rettungswägen und träumt von dem Penthouse mit Blick über den Central Park, das er sich eines Tages leisten wird können. Absolventen der besten Universitäten ziehen nach New York mit neuen Ideen und originellen Startups, versuchen sich hier mit den Geld der Eltern, scheitern, arbeiten ein paar Monate in einem Restaurant, versuchen es mit einer neuen Idee, scheitern wieder und fangen wieder neu an. Aufgeben oder resignieren ist hier ein »No-Go«.
Außenansicht #45, Fazit 195 (August 2023)
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