Schauen in Konsole und Schauraum
Michael Petrowitsch | 18. August 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 195, Kunst und Kultur
Mit Andrea Vilter übernimmt eine praktische Theoretikerin mit breitgefächerter Ausbildung und Erfahrung das Schauspielhaus. Was dürfen wir uns von der studierten Germanistin in ihrer ersten Spielzeit alles erwarten …
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Veränderungen tun weh, jedoch langweilt eine gewisse Eingeschliffenheit mit der Zeit. Im Kulturbetrieb geht es ja zu wie in einer Ehe, nur als Beispiel zum Beispiel. So ist konsequenterweise nach den verschiedensten Neubesetzungen der Topjobs im Kulturbiz in unserer schönen Heimatstadt in den letzten Monaten nun das erste Theater der Stadt dran. Warum auch nicht. Eine Entschlackung und Neuausrichtung im Kulturbereich hatte die Stadt dringendst nötig – auf vielen Ebenen mit aller Konsequenz. Auf dass wieder ein Ruck gehen möge durch die Steiermark!
Konkurrenz, Schall und Rauch
Wir würden uns auch grundsätzlich wieder mehr gesunde Konkurrenz zwischen den Häusern wünschen, um Profilschärfe zu entdecken. So kann der Zuzug bzw. Einkauf neuer deutschsprachiger Intelligenzija am Südzipfel eben jenes Sprachraumes nur Gutes bewirken. Zuerst einmal sind es die Namen und Bezeichnungen, die geändert werden, denn der Buchstabe bestimmt das Bewusstsein: Nach der Ära Laufenberg heißen die kleinen Häuser bzw. Spielstätten im Schauspielhaus jetzt anders: Schauraum und Konsole. Mit Konsole sind wir gedanklich auch schon bei einer gewissen Digitalisierung, die nun forciert werden soll. Eine Erfahrung aus Coronazeiten im Besonderen und der weltweit grassierenden Müdigkeit, ins bürgerliche Theater zu gehen und dort zwei Stunden zu sitzen und zu schauen und gegebenenfalls zu applaudieren, im Allgemeinen. Zudem gibt es ja das Ansinnen, »die Jugend« wieder in die Häuser zu bringen.
Intendantin Andrea Vilter und ihre engste Mitarbeiterin Chefdramaturgin Anna-Sophia Güther wollen mehr – und zwar viel mehr. Dem Kapitel Partizipation, Outreach und Bildungsarbeit ist im 150-seitigen Programmkatalog wohlwollende Breite gewidmet. Alles andere liest sich auch sehr heutig und im Jetzt angekommen. Eine Abkehr von brachialen, in Blasen gefangenen, ideologischen Richtlinien und eine Hinwendung zur distanzierten und bewusst analytischen Gesellschaftskritik ist herauslesbar. Die Pressekonferenz war eine Wohltat, die Damen gehen es schlau an.
Dichte Programmierung
Die kommende Spielzeit bietet ein dichtes Programm mit mehr als 17 Premieren, darunter drei Uraufführungen und drei österreichische Erstaufführungen. Viele Überraschungen inklusive. So eröffnet man in der kommenden Spielzeit mit einem bis dato ungespielten bürgerlichen Trauerspiel der kaum bekannten Christiane Karoline Schlegel. Weiters freuen wir uns auf die vor einiger Zeit auch am Akademietheater wiederentdeckte Maria Lazar mit dem Stück »Der Nebel von Dybern«. Lazar war bereits einmal am Spielplan des Schauspielhauses Graz, und zwar im Jahr 1933. Ihr Stück wurde jedoch aufgrund ihrer jüdischen Herkunft abgesetzt. Und auch Werner Schwab erfährt – wohl anlässlich seines 30. Todestages – 2024 eine Würdigung.
Das Grazer Publikum braucht wieder mehr Herausforderung. Die vom Schauspielhaus gesetzten Marker sind jetzt angerichtet. Und wir durchaus gespannt, wie reagiert wird.
Die beiden ersten Premieren im Herbst
Von einem Frauenzimmer
Bürgerliches Trauerspiel von Christiane Karoline Schlegel, Regie von Anne Lenk
22. September
Sonne/Luft
Stück von Elfriede Jelinek, österreichische Erstaufführung in Kooperation mit dem Steirischen Herbst, Regie von Emre Akal
13. Oktober
Alles Kultur, Fazit 195 (August 2023), Foto: Johanna Lamprecht
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