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Roth macht Schluss (Fazit 196)

| 10. Oktober 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 196, Schlusspunkt

Warum Andreas Babler kaum Kanzler kann. Es ist ein wenig still geworden um Andreas Babler. Gut, da war das Puls 24-Bürgerforum Mitte September. Da durfte er mit den »normalen«, wenngleich vorab gecasteten Leuten diskutieren, 250.000 taten sich das vor den Schirmen an.

Amüsant war der begleitende »Kanzler Check«: »Kann er Kanzler« war die Frage, die zu beantworten man sich redlich mühte. Nicht ganz einfach, denn die der Diskussion zugrunde liegende Rede des roten Robin Hood ließ einiges an Interpretationsspielraum zu. Sicher kann er Kanzler, schlossen Kapitalismuskritiker aus dem Krakeelen des derzeit amtierenden SPÖ-Chefs, doch das war schon vor dem »Bürgerforum« klar. Die zusammenfassenden Analyse jedenfalls ließ keinen Zweifel: Man werde, würde aus dem Bürgermeister ein Kanzler, mehr über gerechte Vermögensverteilung reden und weniger über Asyl. Also jein: Der präsumtive »Kanzler-Könner« möge am Ballhausplatz einziehen, denn die Alternative wäre, und da sei Gott vor, ein Kanzler Kickl – was zwar nicht explizit gesagt, aber jedenfalls gemeint wurde. Und wer könnte gegen einen Kandidaten sein, der a woames Mittogessn fia die Kinda in den Mittelpunt seiner Überlegungen stellt?

Allein, Kanzler kann nicht jeder. Rhetorisches Talent mag helfen, Wahlkämpfe zu gewinnen. Einen Staat zu führen jedoch befähigt dieses Talent noch lange nicht. Wer immer noch die Notwendigkeit des Interessensausgleichs mit der Pflicht zur Barmherzigkeit verwechselt, der hat an der Spitze einer Regierung nichts verloren. Ersteres fordert – neben unzweifelhaftem, altruistischen Charakter – Klugheit, Besonnenheit, Erfahrung und ein gewisses Maß an Allgemeinbildung. Nichts davon würde ich dem roten Kandidaten attestieren.

Es gilt, das Beste für alle zu erkennen und durchzusetzen, während Barmherzigkeit immer nur ein individuelles Problem löst. Sie funktioniert vielleicht im kommunalen Mikrokosmos, für Staatenlenker taugt sie nicht als Maxime. Das Verführerische ist: Barmherzigkeit gelingt auch den dümmsten unter den Unerfahrenen in der Politik. Ein guter Mensch zu sein – sehr einfach. Die Verantwortung für Gegenwart und Zukunft inhomogener neun Millionen Österreicher jedoch fordert differenziertere Entscheidungsgrundlagen.

Weitblick etwa. Die ist ein allgemeines Defizit politischen Personals, nicht nur eines der Sozialdemokraten. Wiewohl es im Moment bei denen sehr deutlich zutage tritt: Wer allen Ernstes erklärt, die Frage nach der Finanzierung des eigenen, kostenintensiven Programmes sei »unmoralisch«, der hat sich als Politiker selbst disqualifiziert. Ebenso wie alle, die ihm applaudieren. Man muss wissen, wieviel Barmherzigkeit man sich leisten kann, ohne selbst in der Gosse zu landen – das trifft auf Verteilungsfragen ebenso zu wie auf Klimapolitik.

Der Charme guter Konservativer liegt unter anderem darin, dass man über genügend Realitätssinn, Erfahrung und Klugheit verfügt, um zu erkennen, wann der Weitblick nicht weit genug blickt. Solange nicht völlig klar ist, ob der eingeschlagene Weg in eine gute Zukunft führt, sind pragmatische Lösungen zum Umgang mit dem Status Quo eine smarte Herangehensweise. Die unerfahrenen Motorradfahrer, die sich das jährliche Fahrsicherheitstraining ersparen, sind die ersten, die mit 250 Kilometern pro Stunde den LKW in der Rechtskurve überholen, bevor der Gegenverkehr sie stoppt. Nicht, dass man als Konservativer gefeit vor Irrtümern am Weg wäre. Aber jemand, der zuerst die Finanzierung von Betreuungseinrichtungen sicherstellt (weil Teilzeitarbeit ein Problem ist), ist jedem ambitionierten »Stamokapler« vorzuziehen, der aufgeregt nach einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung kräht (weil’s uns zusteht).

Tatsache ist: Erfahrung und Allgemeinbildung sind notwendig, um gesellschaftliche Probleme zu benennen, zu priorisieren und zu lösen. Man erwirbt beides nicht, indem man in Sigleß den alveolaren Vibrant perfektioniert, um möglichst wirkungsvoll Forderungen zu formulieren. Die Einordnung komplexer gesellschaftlicher Entwicklungen gelingt auch nicht, wenn man beim Heurigen Marxismus memoriert und in der Gemeindestube die Flüchtlingskrise auf die Überfüllung der städtischen Unterbringung reduziert. Auch in der Politik gilt: Kein Bittsteller sein zu müssen – das muss man sich verdienen.

::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK

Roth macht Schluss! Fazit 196 (Oktober 2023)

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