Der Manager des Mangels
Redaktion | 8. Dezember 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 198, Fazitgespräch
Mit einer Situation wie dieser hat sich noch kein AMS-Landesgeschäftsführer jemals zuvor auseinandersetzen müssen: In einer Rezession bei nur moderat steigenden Arbeitslosenzahlen einen eklatanten Fachkräftemangel bekämpfen zu müssen. Wir haben über diese und andere Herausforderungen seines Jobs mit AMS-Chef Karl-Heinz Snobe gesprochen.
Das Gespräch führten Johannes Roth und Johannes Tandl.
Fotos von Marija Kanizaj.
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Von irgendwas ist immer zu wenig da. Mal sind es zu wenig Arbeitskräfte, dann wieder zu wenig Arbeitsplätze. Jetzt gerade trifft beides zu – und die Wirtschaft steckt in einer Rezession. »Kein Problem«, meint AMS-Chef Karl-Heinz Snobe. Das müsse man nur managen.
Das Gebäude in der Grazer Babenbergerstraße ist seit vielen Jahrzehnten Synonym für einen Ort, an dem eigentlich keiner sein will. Hierher kamen Menschen, die es im Leben nicht ganz so gut getroffen hatten: Das Arbeitsamt, wie es früher hieß, war eine feste Größe im Grätzel rund um den Bahnhof gewesen, das damals wie heute einigen Großbaustellen des Bundes als Repräsentanz dient: die Pensionsversicherungsanstalt, die Post, die ÖBB, das Sozialministerium und eben die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice.
Das hat sich geändert, als man die Beratungsstellen des AMS auf mehrere Standorte in Graz verteilt hatte. Sie werden von der Babenbergerstraße aus geleitet und dort ist vom Trübsinn vergangener Tage trotz des nasskalten Novembertages nichts mehr zu merken. In den Gängen herrscht geschäftige Betriebsamkeit: 14.000 gemeldete offene Stellen gilt es in der Steiermark zu besetzen, Fördergelder sind zuzuweisen, Schulungen zu organisieren, eigenes Personal muss koordiniert werden. Und, das Wichtigste: Die Betreuung von 28.861 Menschen, die als arbeitssuchend vorgemerkt sind, muss administriert werden. Im lichtdurchfluteten Büro des Landesgeschäftsführers treffen wir Karl-Heinz Snobe, für den all das seit mehr als zwei Jahrzehnten vieles ist, nur eines nicht: business as usual.
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Herr Snobe, wenn man sich die aktuellen Auswertungen des AMS anschaut, fallen zwei Dinge auf. Erstens haben wir ein strukturelles Problem, denn offensichtlich decken sich die Qualifikationen der Arbeitssuchenden nicht mit den Qualifikationsansprüchen der Arbeitgeber. Und zweitens zeichnet sich ein konjunkturelles Problem vor allem in der Bauwirtschaft und auch in Teilen der Industrie ab. Was bereitet Ihnen die größeren Sorgen?
Kurzfristig ist die wirtschaftliche Situation mit Sicherheit die größere Herausforderung. Vor allem deswegen, weil es da ein paar Unbekannte gibt, mit denen wir es bisher noch nie zu tun hatten und die das Planen sehr, sehr schwierig machen. Während der letzten 20 Jahre war es ja so: Wenn wir in Österreich und in der Steiermark ein Wirtschaftswachstum von unter 1,5 Prozent hatten, dann stieg die Arbeitslosigkeit. Heute haben wir sogar ein Minuswachstum, die Wirtschaft schrumpft um 0,8 Prozent und die Arbeitslosigkeit steigt bisher nur ganz minimal.
Woran liegt das?
Das ist schwer zu sagen. Es ist jedenfalls etwas vollkommen Neues. Wir haben nur eine einzige Erklärung dafür: und zwar die, dass die Betriebe davon ausgehen, dass es zumindest ab Mitte 2024 wieder ein stärkeres Wachstum, eine höhere Produktivität oder Produktionstätigkeit geben wird und dass sie dann ihre Arbeitskräfte wieder dringend brauchen werden. Sodass sie ihre Mitarbeiter trotz der gegenwärtigen Lücke behalten, obwohl es wirtschaftlich eigentlich notwendig wäre, Personal freizusetzen.
Man kennt das Phänomen ja aus der Finanzkrise 2009 und der Pandemie – aber da hat es Kurzarbeit gegeben. Die gibt es jetzt nicht. Warum?
Nein, in diesem Ausmaß gibt es die Kurzarbeit jetzt nicht. Sie ist ja nicht für wirtschaftliche Schwächen wie Nachfrage- oder Kostenprobleme der Arbeitgeber gedacht. Dennoch führt diese Unsicherheit dazu, dass wir keine klaren Indikatoren oder Frühindikatoren haben, um die Dauer der Krise abzuschätzen. Es ist schwierig zu planen, da weiche Faktoren wie die Einschätzung der Betriebe und ihre Auftragslage ungewiss sind.
Das zweite Problem wäre die Diskrepanz zwischen den geforderten und den gebotenen Qualifikationen am Arbeitsmarkt.
Ja, da ist ein gewisses Mismatch am Arbeitsmarkt festzustellen. Es ist ein langjähriges Problem: Die Anforderungen der Unternehmen ändern sich ständig und die Qualifikationen der Arbeitssuchenden können gar nicht mehr im gleichen Tempo mitwachsen. Der demografisch bedingte Arbeitskräftemangel verstärkt dieses Thema.
Es gibt aber auch ein noch deutlicheres Mismatch: Dem AMS sind zur Zeit etwa 14.000 Stellen in der Steiermark gemeldet. Die Wirtschaft geht aber von 40.000 offenen Stellen quer über alle Branchen aus. Das heißt, offensichtlich melden viele Unternehmen ihre offenen Stellen gar nicht mehr beim Arbeitsmarkt Service ein. Kann es sein, dass die Betriebe den Bewerbern, die das AMS schickt, zu wenig zutrauen?
Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil. Der sogenannte Einschaltgrad am Arbeitsmarkt steigt ständig, Wir sehen, und das seit 30 Jahren und wissen ja genau, wie viele Personen am steirischen und am österreichischen Arbeitsmarkt eingestellt werden. Und wir sehen, dass wir in den letzten vier, fünf, sechs Jahren einen AMS-Einschaltgrad von 50 Prozent hatten. Der ist jetzt aber deutlich im Zunehmen. Wir liegen in der Steiermark derzeit bei fast 60 Prozent Einschaltgrad. Also: Der Anteil an allen Vakanzen, die dem Arbeitsmarktservice gemeldet werden, wird sukzessive höher.
Trotzdem werden viel mehr Arbeitskräfte gebraucht, als das AMS vermitteln könnte.
Die Idee des Arbeitsmarktservices war ja nie, dass alles, was Betriebe an offenen Stellen oder an Einstellungen haben, dem AMS gemeldet wird. Denn natürlich funktionieren viele Arbeitsmärkte auch ohne das AMS. Oder sie funktionieren überhaupt nicht; auch das gibt es. Und es gibt Fälle, in denen Betriebe gar nicht die Hoffnung haben, dass wir ihnen passende Bewerber vermitteln könnten, weil sie beispielsweise Universitätsabsolventen oder Studienabgänger suchen. Solche Bewerber kommen nicht zu uns und natürlich kommen dann auch die Betriebe nicht.
Kann das sein, dass die Betriebe die Qualifikationen und Stellenausschreibungen vielleicht ein bisschen zu breit fassen? Dass sie von den Bewerbern zu viel verlangen?
Das ist eine Tatsache und auch nichts Neues. Vergangenes Jahr war das besonders ausgeprägt. Wir hatten 2022 im zweiten Halbjahr ein Wirtschaftswachstum von sieben Prozent – in der kurzfristigen Betrachtung. Das war die erste Zeit nach Corona. Da hatten wir über 20.000 offene Stellen bei uns gemeldet. Der Einschaltgrad war trotzdem bei 55 Prozent. Also hatten wir insgesamt 40.000, 50.000, 60.000 Vakanzen am Arbeitsmarkt gehabt. Und da haben Betriebe gelernt, dass sie nicht unbedingt auf ihrem Anspruchsniveau bleiben können. Das ist etwas, worauf wir Betriebe auch hinweisen.
Apropos Anspruchsdenken: Auch die Anspruchshaltung an die Arbeitslosenversicherung scheint sich geändert zu haben. Im Standard schrieb jüngst der Leiter des AMS Gänserndorf, Georg Grund-Groiss, immer mehr Menschen würden die Arbeitslosenversicherung nicht mehr als solidarisches Sicherheitsnetz, sondern als »persönlichen Pausenraum zwischen Episoden von Beschäftigung oder auch als Warteraum vor der Pension« nutzen. Teilen Sie seine Beobachtung?
Dass es das gibt, ist vollkommen klar. Fangen wir bei dem »Warteraum vor der Pension« an: Der Anteil derer, die aus einer Erwerbskarriere heraus direkt in Pension gehen, im Vergleich zu denen, die aus einer Arbeitslosigkeit heraus in Pension gehen, ist in Österreich immer schon relativ niedrig gewesen. Bevor man die Regelpensionsmöglichkeit nutzt, ist der Anteil von Leuten, die das lieber aus der Arbeitslosigkeit als aus einem ordentlichen Beschäftigungsverhältnis heraus machen, überproportional hoch. Ob das jetzt selbst gewählt ist, oder weil Betriebe die älteren Leute einfach freisetzen, das ist eine ganz andere Frage.
Grund-Groiss wollte möglicherweise darauf hinaus, dass der Gap zwischen dem, was man verdienen kann, und dem, was man an Arbeitslosigkeit kriegt, zu gering ist, um arbeiten zu gehen. Dass es einem zu leicht gemacht wird und immer attraktiver wird, einfach nicht zu arbeiten. Ist das Arbeitslosengeld so noch zeitgemäß?
Es ist zu niedrig.
Tatsächlich? Der Vorwurf der sozialen Hängematte vor allem für gewisse Bevölkerungsschichten steht immer wieder im Raum.
Österreich hat im europäischen Vergleich mit 55 Prozent des vorhergehenden Einkommens eine der niedrigsten Nettoersatzquoten. Dafür gibt es bei uns die Möglichkeit, sehr lange Arbeitslosenversicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen, wenn es sich um einen Notstand handelt. Dass es rein ökonomisch sehr leicht ist, mit einem Arbeitslosengeld auszukommen – auch angesichts der Teuerung, die wir haben –, ist schlichtweg Unsinn. Und in Zeiten von Arbeitskräfte-, jedenfalls Fachkräftemangel, ist es auch nicht so, dass arbeitslos zu sein eine gemütliche Angelegenheit ist. Das Arbeitsmarktservice – und das ist auch gesetzlich so vorgeschrieben – agiert darüber hinaus sehr streng. Das sieht man alleine anhand der Zahl der sogenannten Sperren von Arbeitslosengeld. Die sind im Steigen.
Apropos Arbeitskräftemangel. Weltweit wird die Workforce in den nächsten Jahrzehnten schrumpfen, natürlich auch in Österreich, und zwar so stark, dass wir die Lücken auch mit Migration nicht mehr auffüllen können. Daraus ergeben sich für uns zwei Fragen: Ist das für die Wirtschaft verkraftbar? Und vor diesem Hintergrund: Wie beurteilen Sie da die Bestrebungen, die Arbeitszeit um etwa 20 Prozent auf 32 Stunden abzusenken?
Ein plötzliches Absenken von Arbeitszeit, noch dazu gesetzlich, wird meiner Einschätzung nach überhaupt nicht funktionieren. Und ist auch nicht machbar. Man muss sich ja schon auch anschauen, dass über die Jahrzehnte die Arbeitszeit unabhängig von gesetzlichen Arbeitszeitveränderungen sowieso geringer geworden ist. Auf der anderen Seite sehen wir die sogenannte Teilzeitquote, vor allem bei Frauen, aber auch bei Männern steigen.
Die Durchschnittsarbeitszeit ist ja massiv gesunken. Frauen arbeiten derzeit im Durchschnitt 26,3 Stunden wöchentlich, Männern 33,9 Stunden.
Daher passiert eine Arbeitszeitreduktion ja sowieso. Aber wir haben mit den nächsten sieben bis zehn Jahren eine ganz schwierige Phase vor uns – Stichwort Babyboomer und demografische Entwicklung. Da wird das Arbeitskräftepotenzial in der Steiermark – und die ist im Österreich-Vergleich in einer noch ein bisschen schwierigeren Situation – noch weiter abnehmen. Jetzt kann man darüber nachdenken, was man in dieser Situation tun kann. Die Frage wird sein: Wie kann es gelingen, dass man zu mehr Arbeitskräften kommt, wie lässt sich das Arbeitskräftepotenzial mit anderen Mitteln wieder vergrößern? Denn die Demografie ist ja nicht von uns beeinflussbar. Wie also müssen die Betriebe sonst noch reagieren? Eine Antwort kann sein: mehr Automatisierung, mehr Technisierung, um einfach mit weniger Mensch eine ähnliche Leistung zu bringen.
Das heißt, Sie würden Automatisierung und Technologisierung befürworten, einfach um den Fachkräftemangel niedrig zu halten?
Es ist grundsätzlich notwendig, dass Betriebe sich im Sinne des internationalen Wettbewerbs weiterentwickeln. Zu dieser Notwendigkeit gesellt sich das Phänomen, dass wir erstmals seit den 1970ern wieder in einer wirklichen Mangelsituation sind, die immer stärker wird. Man darf ja nicht vergessen, dass wir den Gipfel der ungünstigen demografischen Entwicklung ja noch gar nicht erreicht haben. Der liegt noch vor uns. Die Babyboomer werden ja erst in Pension gehen. Alle, die jetzt zwischen 60 und 64 Jahre alt sind, werden in den nächsten Jahren den Arbeitsmarkt verlassen. Unter anderem deshalb braucht es eine technische Weiterentwicklung, um auch mit weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trotzdem einigermaßen erfolgreich sein zu können. Aber das wird auch nicht so schnell gehen. Und natürlich müssen wir darüber hinaus Aktivitäten setzen, um zusätzliches Arbeitskräftepotenzial zu schaffen.
Eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme, die gerade in letzter Zeit wieder verstärkt diskutiert wird, ist die Erhöhung der Erwerbsquote bei gleichzeitiger Senkung der Teilzeitquoten. Unter anderem, in dem man die Kinderbetreuung stärkt – die Bundesregierung nimmt hier gerade viel Geld in die Hand. Kann das helfen?
Teilzeit ist im Trend, es ist etwas, was Menschen sich leisten wollen und teilweise auch leisten können. Es stimmt auch, dass bessere Kinderbetreuungseinrichtungen helfen würden. Aber es stimmt nicht zu 100 Prozent. Denn nicht alle teilzeitbeschäftigten Frauen, die Kinder betreuen, werden bei einer idealen institutionalisierten Kinderbetreuungssituation mehr arbeiten. Meine eigene Gattin ist nach dem Kind trotzdem in Teilzeitbeschäftigung geblieben. Menschen, die es sich leisten können, die werden weiterhin einfach ihr Arbeitsvolumen in Absprache mit dem Betrieb so organisieren, wie es ihnen passt. Wie es finanziell möglich ist und wie es halt einfach der persönlichen Situation entspricht.
Trotzdem ist bessere Kinderbetreuung notwendig.
Natürlich gibt es teilzeitbeschäftigte Menschen, die bei entsprechender Kinderbetreuung mehr arbeiten würden. Dazu gibt es Forschungen – nicht von uns, wir können das auch nur nachlesen –, die aussagen, dass 20 bis 30 Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen erheblich mehr arbeiten würden. Die andere Gruppe, bei der man ansetzen könnte, um den demografischen Wandel abzumindern, sind Menschen, die vor dem Regelpensionsalter aus dem Arbeitsmarkt fallen. Die muss man bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter im Beruf halten. Das muss man wollen, das muss man aber auch können – da spielen beide Seiten eine Rolle. Da werden auch Steuer- und Abgabenvorteile für ältere Arbeitnehmer ein ausschlaggebendes Argument sein – daran wird aber ohnehin bereits gearbeitet. Wir hatten das übrigens auch schon; es gab Phasen, in denen 50-plus-Beschäftigte weniger Sozialabgaben gezahlt haben. Das hat man aber, als die wirtschaftliche Situation wieder besser geworden ist, wieder abgeschafft. Jedenfalls sind solche Möglichkeiten dem Finanzminister nicht fremd.
Wir haben vorher vom technologischen Wandel gesprochen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Steiermark mit dem Autocluster und seinen 40.000 Beschäftigten wirklich auf der Höhe der Zeit agiert. E-Autos werden den Markt dominieren, die Hersteller sitzen in Asien. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Nein, kaum. Gerade ist eine neue Studie veröffentlicht worden, die bis 2040 für den steirischen Autocluster eine Gefahr für 8.000 der 40.000 Arbeitnehmer sieht. Bis 2040! Aus meiner Sicht ist das eine sehr einfache und locker zu bewältigende Herausforderung. Denn wenn man das durchdividiert, dann kommt man auf etwa 700 Beschäftigte im Jahr, für die man eine neue Aufgabe finden muss. Das ist eine Zahl, die entspricht etwa der normalen Fluktuation bei Magna. Aber ja: Es ist hier eine Veränderung im Gange. Und die gehört bearbeitet und gemanagt. Mit den Betrieben gemeinsam.
Was bereitet Ihnen derzeit die größten Sorgen?
Was wirklich schwierig ist, ist die Konjunkturschwäche; im Bau, in der Industrie etc. Die haben jetzt wirklich eine Hängesituation, wo wir in den meisten Fällen mit Kurzarbeit, wie in der Vergangenheit, nicht helfen können, weil die aktuellen Kurzarbeitsregeln so streng sind. Es gibt große Unternehmen, die viel investiert haben und einfach nicht mehr Leute freisetzen können, weil die Perspektiven so unklar sind. Das sind Einzelunternehmen, die im Prinzip fit sind, technologisch vorn mit dabei sind, mitunter Schlüsselunternehmen für die ganze Region sind. Dort bräuchte es jedenfalls eine Form der Überbrückung, damit nicht irgendwer sagt, es zahlt sich nicht mehr aus und ich sehe keine andere Möglichkeit, als den Betrieb zuzusperren. Verantwortlich wäre in allererster Linie die Arbeitsmarktpolitik. Die steirische Wirtschaftspolitik hat aktuell nicht die Instrumente, sie kann nur rufen.
Ein großes Thema ist die Zuwanderung. Die Erwerbsquoten inländischer und ausländischer Arbeitskräfte nähern sich zwar immer mehr an, die meisten Ausländer arbeiten aber in der Landwirtschaft und im Tourismus. Haben wir zu wenig Zuwanderung? Man hat den Eindruck, dass wir es den qualifizierten Zuwanderern schwerer machen als nötig, nach Österreich zu kommen. Dabei stehen wir im globalen Wettbewerb um gute Leute.
Österreich ist nach wie vor für viele Menschen attraktiv. Dass der Wettbewerb stärker geworden ist, ist eine Tatsache. Unsere Nachbars-Herkunftsländer haben mittlerweile eine niedrigere Arbeitslosenquote als wir. Und warum? Weil das Potenzial, das dort mobil und interessiert daran gewesen ist, im benachbarten Ausland zu arbeiten, schon bei uns arbeitet. Das heißt, wenn ich mir Ungarn anschaue, wenn ich mir Slowakei, Tschechien anschaue, also wenn ich mir Teile im Süden anschaue, ist der Arbeitsmarkt für gute Menschen dort sehr, sehr knapp. Deswegen erweitert jedes westeuropäische Land die Radien seiner Bemühungen. Mazedonien etwa spielt im Moment eine Rolle, da sind noch sehr viele junge Menschen und es gibt dort hervorragende Universitäten. Aber wir sind halt ein sehr, sehr kleines Land. Und die politische Attraktivität ist auch nicht besonders. Das spielt gerade bei Expats, also hochqualifizierten Leuten, eine große Rolle. Dazu kommt die steuerliche Situation.
Geben wir uns genug Mühe bei der Suche oder ginge da mehr?
Wer Arbeitskräfte sucht, der schaut aktuell nach Südamerika und nach Südostasien. Das macht Deutschland als großes Land mit viel Geld und mit viel Engagement. Das tut Österreich noch nicht. Bei uns, glaube ich, ist sogar jetzt ein Ministerratsvortrag in Vorbereitung, ob jetzt die Wirtschaftskammer und die ABA, die Austrian Business Agency, einen offiziellen politischen Auftrag kriegt, auch anzuwerben. So wie man das in den 60er Jahren in der Türkei und im damaligen Balkan auch gemacht hat. Also ich sage einmal, das ist ein Thema, bei dem der Wettbewerb im Sinne der Globalisierung, der Information über Aufnahmeländer sehr groß ist. Und sehen das etwa bei Jobbörsen und bei Schulinformationen im europäischen Ausland, auf denen wir wie die Briten, die Skandinavier oder die Deutschen vertreten sind. Dort hören wir zwar, dass unser Stand eigentlich der schönste und professionellste ist. Aber die Bewerber kommen trotzdem nicht zu uns. Sie gehen halt in skandinavische Länder oder dorthin, wo die Steuern niedriger sind. Natürlich ist es wichtig, wie man sich im Ausland positioniert. Da spielt auch die Politik eine Rolle, aber da spielt auch die steuerliche Situation eine entscheidende Rolle. Man zahlt halt in Skandinavien weniger Abgaben als Arbeitnehmer, muss aber dafür die medizinische Versorgung selber zahlen. Für Menschen, die nur temporär hier arbeiten wollen, spielt das Pensionssystem keine besondere Rolle, die wollen so wenig Pensionsversicherung wie möglich einzahlen und netto so viel Geld wie möglich verdienen.
Herr Snobe, danke für das Gespräch.
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Mag. Karl-Heinz Snobe wuchs in St. Andrä im Lavanttal auf und studierte Erziehungswissenschaften und Jus in Graz. Schon seit 1987 arbeitet er beim AMS, seine berufliche Laufbahn dort begann er mit einer Nebentätigkeit. 2002 wurde Snobe stellvertretender Leiter des AMS Steiermark, seit 2004 ist er Landesgeschäftsführer. Snobe ist verheiratet und Vater eines Sohnes.
Fazitgespräch, Fazit 198 (Dezember 2023), Fotos: Marija Kanizaj
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