Anzeige
FazitOnline

Selbstführen und Begleiten

| 10. Januar 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Allgemein, Fazit 199

Foto: Stephan FriesingerSpitalsmanager und Unternehmensberater Christian Lagger über »echtes Leadership«, welches kein Selbstverwirklichungsprogramm darstellt, sondern immer einer sinnvollen Sache dient.

::: Hier im Printlayout online lesen

Führen und Leiten gehört zum Menschsein. Wo Menschen zusammen sind, wird geführt und geleitet. Führen und Leiten betrifft den Menschen in all seinen individuellen und sozialen Aspekten. Zwei wichtige Dimensionen von Führung seien hier benannt und ein wenig ausgeführt: die Selbstführung und das Begleiten.

Die Wirtschaftspsychologen Charles C. Manz und Henry P. Sims haben seit den späten 80iger Jahren das Konzept der Selbstführung (SuperLeadership: Leading Others to lead Themselves, 1989) erarbeitet und stetig weiterentwickelt.  Charles C. Manz hat es auf treffende Weise so formuliert: »Leadership is not an outward process; we can and do lead ourselves.« Mitarbeitende sollen so geführt werden, dass sie befähigt werden, sich selbst zu führen. In einer sich rasch verändernden Welt braucht es ergänzend neue Formen von Führung. Heute wird diesbezüglich von einer sogenannten »VUCA-Welt« gesprochen. Volatilität (volatility), Unbeständigkeit (uncertainty), Komplexität (complexity) und Mehrdeutigkeit (ambiguity) sind gegenwärtig die atmosphärischen Bedingungen besonders auch von Unternehmen und Organisationen. Mitarbeitende sind zunehmend mehr gefordert, selbstständig Entscheidungen zu treffen und Handlungen zu setzen und nicht auf Weisungen von der Spitze der Hierarchie zu warten. Selbstständigkeit erfordert aber gerade auch die Fähigkeit zur Selbstführung. Führungskräfte, die ihre Mitarbeitenden zur Selbstführung anleiten, sollten selbst viel Erfahrung und Übung in Selbstführung haben.

Kenntnis der eigenen Persönlichkeit
Selbstführung setzt eine gute Kenntnis der eigenen Persönlichkeit, seiner Stärken und Schwächen und seiner Prinzipien und Haltungen voraus. So gesehen sind Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis Bedingungen von Selbstführung. Sich selbst wahrzunehmen und über sich nachzudenken ist meiner Erfahrung nach am Besten in Zeiten der Zurückgezogenheit und des mit sich Alleinseins möglich. Als eine hilfreiche Methode der Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion können auch Ignatianische Exerzitien nützlich sein. Chris Lowney, ein ehemaliger Jesuit und jahrelang erfolgreicher Manager bei J.P. Morgan, hat in seinem Buch »Heroic Leadership« darauf hingewiesen, dass die Exerzitien eigentlich Ausbildungstool für jesuitisches Leadership und für Selbstführung (also jeder Jesuit eine Führungskraft für sich) waren und sind.  

Wer Führungsverantwortung trägt, wird manchmal auch Entscheidungen treffen müssen, die nicht allen gefallen. Es sind Entscheidungen, die jemand gemäß eigener Einsichten, Prinzipien und Haltungen treffen muss. Dabei geht es oft um strategische Fragen der Ausrichtung der Organisation und um Personalfragen bis hin zur Trennung von Mitarbeitenden.  Hier ist die Fähigkeit zu Selbstführung und die Fähigkeit, Dinge allein durchzutragen besonders gefordert. Selbstführung ist Bedingung guter Führungsarbeit.

Fähigkeit des Begleitens
Eine zweite wesentliche Dimension guten Führens ist die Fähigkeit des Begleitens.  Jeder von uns durfte hoffentlich Erfahrungen des Begleitetseins machen. Begleitet sein heißt nicht allein zu sein. Nicht allein zu sein, ist für uns Menschen wichtig – nicht nur in schwierigen Situationen des Lebens. Die alten Griechen bezeichnen den Menschen als ein soziales auf Gemeinschaft hin ausgerichtetes Lebewesen.  Im Leben begleiten wir einander und sind begleitet. Dies scheint eine Grundformel des Menschseins zu sein. Dabei verschieben sich Akzente dynamisch von einem zum anderen. Es ist ja so, dass auch in Familien nicht nur Eltern Kinder begleiten, sondern auch die kleinen Kinder begleiten ihre Eltern durch das Leben. Durch Kinder an unserer Seite entdecken wir Facetten und Dimensionen unseres Lebens, die uns ohne sie wahrscheinlich verschlossen blieben. Kinder sind in diesem Sinne Begleiter ins Leben – in die Mitte und Fülle des Lebens. »Schau, Papa, ein Schmetterling…« – Danke für die Seh- und Aufmerksamkeitshilfe! Wer sehen will, was und wie der andere sieht, wird Augenhöhe suchen. Begleitung hat mit Augenhöhe zu tun.

Begleitung wird meist dann gebraucht, wenn eine Entwicklung ansteht. Und Entwicklung hat mit Neuem und noch nicht beschrittenen Wegen zu tun. Neues ist immer eine Herausforderung und macht manchmal auch Sorge und nicht selten Angst. Hier ist es dann gut, einen Menschen an der Seite zu haben, der einen begleitet. Begleitende sind Mitgehende auf einem Weg, der erst im Entstehen ist. Sich begleiten zu lassen, setzt Offenheit und Vertrauen voraus und die Bereitschaft sich auf diese Art der Weggemeinschaft einzulassen. Wenn wir begleiten, heißt dies, diskret und sorgsam mit gegebenem Vertrauen und mutiger Offenheit umzugehen und mit dem Gegenüber aufmerksam und mitfühlend zu sein. Es ist die Haltung einer emphatischen Distanz oder distanten Empathie. Empathisch, weil es nicht um uns geht (= Begleiter). Distant, weil es um den Begleitenden und seine Entwicklung geht.

Immer auf Augenhöhe
Gute und wirksame Begleitung kann deshalb im Führungsalltag nur auf Augenhöhe von Du zum Du gelingen.  Diese Augenhöhe bedeutet Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in den Motiven und in der Begleitung selbst. Ein großer Menschenkenner, Ignatius von Loyola, weist daraufhin, dass beim Begleiten von Menschen, die Fähigkeit der interessensfreien Einfühlung in den anderen Menschen eine wesentliche Bedingung darstellt. Es geht darum, zu hören und zu erspüren, wie es dem Gegenüber geht und was seine inneren Vorgänge sind. Erst wenn erfasst wird, was beim anderen Menschen wirklich Sache ist, kann – dem Du angemessen – gut begleitet werden. Gegenseitige Offenheit braucht Vertrauen. Vertrauen wiederum wird gestärkt durch Erfahrungen von Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit im Umgang miteinander und der gemeinsamen Klarheit bezogen auf die Ziele der Begleitung.

Führen im Sinne des Begleitens von Mitarbeitenden bringt den Chef oder die Chefin in eine Coachingrolle.  Der Mitarbeitende wird in der Begleitung darin unterstützt, unterschiedliche Perspektiven auf seine Fragestellung und zu lösenden Aufgabenstellungen einzunehmen, um die beste Lösung oder Antwort im Sinne der Organisation und ihrer Ziele zu finden. Die Führungskraft gibt keine Antworten oder fertige Lösungen vor, sondern ermutigt die Mitarbeitenden ihre eigene Lösungskompetenz zu aktivieren und darauf zu vertrauen. Ein begleitender Führungsstil erhöht damit die Selbstwirksamkeit der Mitarbeitenden. Mitarbeitende werden so zu Mitunternehmern und Mitunternehmerinnen. Das stärkt den Teamgeist in einer Organisation und führt zu einem guten Betriebsklima. Gute Führungskräfte erweisen sich in der Fähigkeit zur Selbstführung und in der Kunst des Begleitens. Und damit sind wir erst am Anfang von dem, was zum Führen und Leiten noch alles gesagt werden könnte. Aber immerhin: ein Anfang ist getan.

Christian Lagger wurde am 17. Mai 1967 in Paternion/Feistritz in Kärnten geboren. Der vierfache Vater studierte Theologie, Philosophie und Business Administration. Bis 2009 war er Sekretär von Diözesanbischof Egon Kapellari. Seit 2010 ist er Geschäftsführer bei den Elisabethinen in Graz. Außerdem ist er Mitglied und Vorsitzender verschiedener Gremien, Lehrender an der FH-Joanneum und der Karl-Franzens-Universität (Leadership) und Führungskräfte- und Unternehmensberater. Der Sturm- und KAC-Fan urlaubt seit 32 Jahren im Defreggental und war mehrfach am Großglockner..

Management, Fazit 199 (Jänner 2024) – Foto: Stephan Friesinger

Kommentare

Antworten