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Zurück aus Brüssel

| 10. Januar 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 199, Fazitgespräch

Foto: Erwin Scheriau

Die Europäische Union quält uns mit immer mehr Bürokratie. Wohnen und Lebensmittel werden immer teurer und die Politik steht im Ruf, lieber ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen als die Probleme der Bürger zu lösen. Wir haben Neolandesrätin Simone Schmiedtbauer gefragt, welche Antworten sie auf die großen Fragen unserer Zeit hat.

Das Gespräch führten Johannes Roth und Johannes Tandl.
Fotos von Erwin Scheriau.

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Es gibt schönere Anlässe als den, dem Simone Schmiedtbauer ihr Amt verdankt: Dass Johann Seitinger nach 20-jähriger Amtszeit seinen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen bekanntgegeben musste, war weder von ihr noch von Christopher Drexler vorausgesehen worden. Seit Oktober hat sie eine Art Superressort mit komplexen Themen, die sehr schnell an Relevanz gewinnen.

Land- und Forstwirtschaft inklusive der dazugehörigen Schulen, Wohnbau, Wasser- und Ressourcenmanagement, Veterinärwesen und – neu – Gesellschaft. Letztes allein behandelt die Themen Familie, Frauen und Gleichstellung, ältere Generationen und Jugend.

Als Quereinsteigerin kann Schmiedtbauer auf eine reiche Lebenserfahrung in unterschiedlichsten Bereichen verweisen: Als Bankangestellte einer kleinen Raiffeisenbank sind ihr die finanziellen Sorgen der Menschen durchaus bekannt. Als Landwirtin weiß sie genau, wo die Bauern der Schuh drückt. Die Erfahrung, die sie in der Verantwortung als Bürgermeisterin sammeln konnte, sind ebenso wertvoll wie die Insights, die sie in vier Jahren Brüssel gewonnen hat. Jetzt muss sie zeigen, was sie kann. Wie sie sich das in einem für die ÖVP nicht wirklich günstigen Stimmungsumfeld vorstellt, hat Simone Schmiedtbauer im letzten Fazitgespräch vor Weihnachten skizziert.

***

Frau Landesrätin, unsere erste Frage ist naheliegend: Vermissen Sie die Rue Wierz? Oder haben Sie sich schon in die weihnachtliche Herrengasse verliebt?
Natürlich liebe ich die weihnachtliche Herrengasse. Aber ich gestehe, dass dann und wann, wenn in den Medien irgendetwas von Brüssel zu hören ist, schon noch ein wenig Wehmut aufkommt. Ich glaube, das soll auch so sein. Ich habe den Job in Brüssel ja wirklich sehr, sehr gerne gemacht.

Sie haben dort vor allem die Agenden der Landwirtschaft vertreten. Seit Österreich 1995 der EU beigetreten ist, ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Österreich von 195.000 auf 109.000 gefallen. Man könnte meinen, hinsichtlich der landwirtschaftlichen Struktur Österreichs war der EU-Beitritt ein Fehler.
Nein. Den EU-Beitritt als Fehler zu bezeichnen, das muss ich als glühende Europäerin kategorisch ablehnen. Aber klar, jeder Betrieb, der schließt – in welcher Sparte auch immer –, ist einer zu viel. Was uns Österreicher im europäischen Kontext von den anderen Mitgliedsstaaten enorm unterscheidet, ist unsere Kleinstrukturiertheit im landwirtschaftlichen Bereich. Wir sind quasi der Genussladen Europas. Und so wie unsere Landwirtschaft strukturiert ist, würde es sich auch der momentane Kommissar für ganz Europa wünschen. Wir mussten uns schon immer viel mehr spezialisieren und innovativ sein. Mit unseren Flächen können wir mit den Großen in Europa nicht mit. Wir wollen das auch gar nicht, denn nicht die Menge ist entscheidend, sondern die Qualität. Damit zusammenhängend ist übrigens auch, wie nachhaltig man wirtschaften kann. Da spielen wir in der obersten Liga in Europa mit.

Foto: Erwin Scheriau

Medien und Konsumenten fordern das natürlich. Sowohl was ökologische Standards und natürlich auch die Tierwohlstandards angeht. Aber die Konsumenten sind halt nicht bereit, das zu bezahlen. Was kann die Landesregierung hier in ihrer Rolle als Agrarlobbyistin – und als solche würden wir ja im europäischen Kontext ja auch Ihr Ressort verorten – tun? Es gilt ja, auch für die Bauern höhere Preise durchzusetzen. Wobei, im Moment haben sie es ohnehin.
Ah, stopp!

Bauern haben im Vorjahr so viel verdient wie noch nie. Zwanzig Prozent Einkommenszuwachs bei zehn Prozent Inflation.
Ja, genau. Und jetzt schauen wir uns an, wie viele Jahre sich absolut nichts bewegt hat! Das waren mindestens zehn, wenn nicht gar fünfzehn Jahre. Ich danke für diese Ansage, denn da erwacht mein Kampfgeist!

Bitte, gerne …
Man kann sich anschauen, wie niedrig die Einkommen der Landwirte zum Teil trotz allem sind. Es sei denn, sie sind in der Direktvermarktung, denn da kann man den Preis selbst stärker mitbestimmen – es kann aber nicht jeder in die Direktvermarktung. Was sich in diesen letzten zehn, fünfzehn Jahren an Durststrecke ergeben hat, ist beachtlich. Gönnen wir ihnen das doch bitte und unterstützen wir sie.

Tun wir. Die Frage war, was kann man tun, um faire Preise durchzusetzen?
Wir müssen diese Themen zunächst sehr aktiv ansprechen, wir müssen sie ganz offen diskutieren. Dazu gehört auch meine etwas zynische Frage, ob Lebensmittel nicht noch zu billig sind, wenn wir uns die Lebensmittelverschwendung anschauen. Deshalb auch die Lebensmittelstrategie, die ich initiiert habe. Man muss schon bei der Jugend mit der Sensibilisierung beginnen. Und es geht dabei auch nicht nur um die Produkte der Bauern, sondern zum Beispiel auch darum, dass man die Geschäfte in der Innenstadt unterstützt. Die Frage, ob ich noch einkaufen gehe und mein Geld in den lokalen Geschäften ausgebe, oder ob ich bei den großen Internethändlern bestelle, die natürlich ein perfektes Service anbieten, ist wesentlich. Kann ich ja machen, nur darf ich mich nicht wundern, wenn dann alles in meiner Umgebung zusperrt.

Sie haben die Lebensmittelstrategie angesprochen. Wie weit sind Sie da? Wie ist der Fahrplan?
Wir haben jetzt unser Team einmal zusammen. Ganz wichtig ist für uns da zum Beispiel die Landwirtschaftskammer, denn da haben wir die Experten sitzen. Wir werden aber auch von der Wissenschaft begleitet. Und wir haben auch die Wirtschaftskammer mit dabei. Das heißt, das ist jetzt die große Strategiegruppe. Jetzt wird das Projekt ausgeschrieben und im Jänner starten wir. Natürlich werden auch da alle Parteien im Haus mit eingebunden.

Welches Ziel hat die Strategie?
Dass wir zunächst einmal alle Daten erheben. Die sind über alle Bereiche verstreut. Aber es gibt keine Stelle, wo das Ganze zusammengeführt wird. Die sind dann die Grundlage für den Fahrplan für die künftige Landwirtschaft. Die Frage ist, wie soll oder kann Landwirtschaft in den nächsten zehn Jahren ausschauen? Wir brauchen eine Richtschnur, einen Leitfaden für weitere Entwicklungen. Eben zum Beispiel beim Thema Bodenverbrauch oder Lebensmittelverschwendung. Aber auch die Frage, wie wir mit dem Wasser umgehen werden, müssen wir beantworten. Denn Wasser wird kostbarer als Gold werden, sage ich immer. Das wird oft beschmunzelt. Aber all diese Aspekte müssen sich in dieser Strategie wiederfinden.

Apropos Wasser: In den letzten Jahren wurden mehrere großdimensionierte Wassertransportleitungen gebaut, um dem Wassermangel in der Ost- und Südoststeiermark entgegenzuwirken. Gerade die Landwirtschaft braucht ja viel Wasser. Reichen die Kapazitäten aus? Und droht nicht inzwischen auch im Bergland und in den obersteirischen Tälern Trockenheit?
Natürlich.

Haben wir das Wasser noch, das wir brauchen?
Momentan haben wir das Wasser. Voriges Jahr war ein gutes, war ein feuchtes Jahr. Wobei wir einige Bereiche gehabt haben, die ganz schön unter der Trockenheit zu leiden hatten. Momentan passt alles und reicht alles. Aber wir sind in intensiven Gesprächen, um Möglichkeiten des Ausbaus voranzutreiben. Sicher ist sicher.

Wenn man mit Trockenheit rechnet: Kann der Mais dann als »Brotfrucht« für die Bauern in Südoststeiermark bleiben oder werden die was anderes anbauen müssen?
Ja, Mais ist für uns einfach immens wichtig. Da brauchen wir gar nicht reden. Mit der Fruchtfolge, die einzuhalten ist, und Schädlingen und vielem mehr ist eine Herausforderung. Seien wir froh über jeden Maisacker! Außerdem ist die Maispflanze eine sehr wichtige, was die Speicherung betrifft. Nur, das ist eigentlich noch gar nicht durchgedrungen. Mais ist einfach zu Unrecht so ein bisschen negativ behaftet. Mais und Kürbis, die steirische Fruchtfolge!

Das führt uns zu einer weiteren Frage im Kontext mit dem Klimawandel. Als Wohnbaulandesrätin sind Sie auch für eine ganze Menge Wohnraum verantwortlich. Das EU-Parlament hat beschlossen, dass sämtliche der EU bis 2050 klimaneutral sein müssen. Bis 2033 müssen die Hälfte unserer Wohnungen energie-technisch saniert werden. Und in den 17 Jahren danach alle anderen. Eine enorme, kostenintensive und logistisch herausfordernde Maßnahme. Wie soll das gehen?
Ich habe dagegen gestimmt. Aus dem einfachen Grund, weil das für ganz viele Menschen unmöglich ist. Diejenigen, die die finanziellen Möglichkeiten haben, die werden ihr Gebäude dämmen, sanieren etc. Die, die das Geld nicht haben, müssen dann zu irgendeiner Stelle gehen. Also so wurde mir das von den anderen Parteien dann gesagt: Ist eh kein Problem, wenn man das Geld nicht hat, dann muss man halt um Ausnahme ansuchen. Und ich habe dann versucht zu erklären, dass ich als ehemalige Bürgermeisterin weiß, denen, denen es wirklich schlecht geht, die kommen nicht. Die müssen dann ja auch einer dritten Person gegenüber erklären – oder irgendwie einen Nachweis erbringen –, dass sie sich das nicht leisten können. Das ist der absolut falsche Weg. Wieder so eine Zwangsverordnung, die nicht zu Ende gedacht ist.

Foto: Erwin Scheriau

Und in Brüssel sind Sie mit dieser Argumentation nicht durchgedrungen?
Der Gedanke war gut, denn wenn wir sanieren, können wir Energie sparen. Das ist unbestritten. Nur, da muss ich sagen – ich hatte das ja nicht zu verantworten, das waren andere –, aber die Steiermark ist mit diesbezüglichen Förderungen absoluter Spitzenreiter. Ich spreche von der Sanierungsförderung neu, der kleinen Sanierung und vielem mehr. Das ist der richtige Weg. Aber einfach zu sagen, das Gebäude entspricht nicht und ist jetzt zu sanieren – das geht so nicht. Schauen wir uns an, wie viele sich ein altes Haus gekauft haben, gerade in der Corona-Zeit, und geplant haben, das sukzessive herzurichten. Immer wenn sie ein bisschen Geld haben. So wie man es früher gemacht hat, mit enorm viel Eigenleistung. Jetzt sehen wir uns an, wie sich die ganze Kreditsituation verändert hat – und dann stehst du von heute auf morgen da, dein Gebäude entspricht den Anforderungen nicht mehr und du hast zu sanieren? Super.

Der private Wohnbau ist eigentlich zum Erliegen gekommen, nicht nur wegen der Inflation, sondern auch wegen der KIM-Verordnung. Die gilt für ganz Europa, aber in Österreich besonders. Verantwortlich dafür sind offensichtlich zwei Beamte in der Finanzmarktaufsicht, die hier wieder einmal Goldplating betreiben. Finanzminister Brunner sagt ja, er kann nichts machen. Wie geht es Ihnen da dabei?
Da geht es mir sehr schlecht, weil diese KIM-Verordnung uns auch in Brüssel massivst beschäftigt hat. Und auch da war ich dagegen. Ich meine, ich komme auch aus dem Bankenbereich. Wie sollst du es heute, in einem Umfeld, in dem sich die Zinsen sowieso von einem Extrem ins andere bewegen, wie soll ich heute als junger Mensch mir ein Eigenheim schaffen? Und dadurch einen Ansporn haben, auch arbeiten zu gehen und Leistung zu erbringen? Wenn ich 20 Prozent Eigenmittel auftreiben muss, was ein Ding der Unmöglichkeit ist. Ich verstehe es nicht!

Man müsste also dieses Goldplating wieder aufweichen …
Also, soweit ich das mitbekomme, gibt es sehr intensive Gespräche. Aus allen Bereichen. Das hoffe ich inständigst, dass sich da was tut. Wir können uns jetzt entscheiden, entweder nehmen wir es hin, dass es Tausende von Arbeitslosen gibt und die Firmen in Konkurs gehen müssen, es sei denn, der der Staat springt wieder einmal ein. Oder wir lassen sie – die Bauträger – das tun, was sie können. Nämlich arbeiten. Bauen. Und für Arbeitsplätze sorgen. Dann haben wir ein großes Problem weniger.

Ein anderes Thema, das aus der EU kommt und uns hier massiv beschäftigt, ist der Freihandel. Er ist die einzige Möglichkeit, die Werte und Ziele der EU in die Welt zu tragen, denn militärisch wollen, können und sollen wir natürlich nichts tun. Sie sind massiv gegen das Mercosur-Abkommen aufgetreten. Warum?
Weil die Geschädigten bei diesem Handelsabkommen die Land- und Forstwirtschaft ist. Nicht mehr und nicht weniger. Ich habe immer gesagt, doch, wir können nicht mit. Und da geht es genau um diese Punkte, die für uns von immenser Bedeutung sind. Nur einmal, um eines klarzustellen, ich bin für Handel. Ich bin für fairen Handel. Nicht mehr und nicht weniger. Aber das ist kein fairer Handel. Denn wir haben in Europa die größten Auflagen und nur Bürokratie, sodass wir ganz viele Betriebe, egal ob Land-, Forstwirtschaft, Wirtschaft, Industrie, vielleicht zum Aufgeben zwingen, weil sie mit diesen Auflagen nicht mitkönnen.

Ja, aber das müssten sie ohne diesen Handel auch …
Okay, und dann machen wir Handelsverträge mit anderen Staaten, wo wir uns um die sozialen Standards dort absolut keine Sorgen machen? Es geht auch um Bodenverbrauch, Verbrennung von Regenwald und vieles mehr. Um Pflanzenschutz – diese ganze Debatte, die ich nicht mehr hören kann. Da werden Mittel verwendet, die bei uns seit zehn, zwanzig Jahren verboten sind. Abgesehen davon wird keines der Produkte mit der Brieftaube eingeflogen. Also stehen Klima, Umweltschutz, Klimaneutralität und vieles mehr auf dem Spiel. Wenn es einen Industriezweig betreffen würde, so wie jetzt die Bauern, würde ich genauso gegen Mercosour sein. Weil ich will, dass Produktion in der Steiermark, in Österreich, in Europa möglich gemacht wird. Und was machen wir? Auflagen, Auflagen und die an den Schalthebeln kapieren nicht, dass wir uns eigentlich nur in mehr Abhängigkeit begeben. Das müsste einmal zu Ende gedacht werden. Aber sie denken es halt nicht zu Ende.

Angeblich sollen die gleichen Standards gelten.
Also, das war meine erste Frage in Brüssel, die ich gestellt habe: Wenn wir schon ein Freihandelsabkommen jetzt nur in Bezug auf die Landwirtschaft haben, mit gleichen Spielregeln und Forderungen, gelten dann auch die gleichen Standards wie bei uns? Nur: Das geht nicht. Das ist rechtlich nicht möglich. Es gibt aber auch Beispiele, wo das gut klappt. Zum Beispiel haben wir mit Neuseeland ein sehr gutes Abkommen. Die haben Standards wie wir in der Lebensmittelproduktion. Und da gab es auch noch keinen Aufschrei.

Apropos Aufschrei: Wie geht es Ihnen dabei, wenn Sie hören, dass die Allgemeinheit inzwischen glaubt, dass jeder ÖVP-Politiker korrupt ist? Dass das Vertrauen nicht mehr so kommt von den Leuten, wie es früher war. Was kann man tun?
Ein gutes Beispiel und ein Vorbild sein. Vorbild ist schon übertrieben, weil eigentlich den Job so zu machen, wie er ist – ohne irgendwelche Scharmützel und Geschichten, Eigenvorteile, die absolut nicht angebracht sind – das ist Grundvoraussetzung. Ich glaube, dieses Phänomen spürt jeder, vor allem, wenn wieder irgendwas in den Medien war. Das tut uns allen weh, nicht nur den ÖVP-Politikern. Denn wenn wir in der Geschichte nur ein paar Monate zurück gehen, wieder zurück nach Brüssel, da war es die Vizepräsidentin Eva Kaili, eine Sozialistin aus der griechischen PASOK-Partei, der man gravierende Korruptionsvorwürfe gemacht hatte. Da war es egal, wo ich hingekommen bin – jeder hat nett, schmunzelnd, aber doch gefragt, wo denn mein Geldkoffer sei.

Und was antwortet man auf solche zweifelhaften Scherze dann?
Ich hab immer gesagt, der Koffer sei schon im Auto. Aber das tut dir weh, weil ich für mich weiß, wie ich den Job mache. Ich weiß, dass ich eine weiße Weste habe; ich hab ja schon ein schlechtes Gewissen, wenn mir ein Imker einen Honig mitbringt. Den teile ich mit meinem Team. Ich hab das immer so gehandhabt. Und wenn ich in Brüssel von irgendwoher Besucher gehabt habe, lade einmal prinzipiell ich ein. Wenn ich das Geld nicht habe, dann habe ich in der Arbeit irgendwas falsch gemacht. Ich sehe das auch ganz entspannt. Ich darf Politik machen, aber ich muss nicht Politik machen. Weil ich daheim einen Betrieb habe, den wir sofort wieder hochfahren könnten. Das ist wirklich sehr entspannend. Es gibt so viele Politiker, die sich niemals etwas zu Schulden kommen lassen haben und die ihren Job gut machen. Aber über die wird halt einfach nicht geredet.

Keine Frage, soweit es Sie persönlich betrifft. Aber Sie gehören einer Partei an, die jetzt seit bald vier Jahrzehnten ununterbrochen in der Regierung ist. Und Macht korrumpiert – in vier Jahrzehnten schleichen sich offenbar eine Menge unschöne Dinge ein.
Ja. Aber Integrität ist eine Charaktersache. Wir können so viele Regeln aufstellen, wie wir wollen, das haben wir auch in Brüssel dann auch gemacht. Regeln aufgestellt und verschärft. Du musst mittlerweile einen Mitarbeiter dazu abstellen, glaube ich, der alles dokumentiert, aufzeichnet und meldet. Aber so viele Regeln gibt es nicht, dass man das vermeiden kann. Entweder hast du Charakter oder du hast keinen. Wer will, der wird immer irgendwo ein Schlupfloch finden. Das ist doch wie bei jedem anderen auch: Wenn einer irgendwen irgendwo betrügen will, dann wird er einen Weg finden. Es passiert auch manchmal offenbar einfach, ohne dass es bewusst gemacht wird.

Wenn hier eine andere Landesrätin sitzen würde, und ein René Benko verspricht ihr das Blaue vom Himmel – was macht man dann? In Hamburg hat er sein Projekt mit Olaf Scholz als Bürgermeister gemacht, in Wien hat er es mit Kurz gemacht. Wären Sie in der Lage, dem mit der gleichen kritischen Distanz zu begegnen wie einem anderen?
Ich bin da relativ unbeeindruckt und habe noch nie bei den Menschen einen Unterschied gemacht. Und egal ob das jetzt eine Raumpflegerin ist, ein Koch oder sonst irgendwas. Ich bin vielleicht sogar bei Menschen, die so enorm durch die Decke schießen, noch zurückhaltender. Alles, was so als Wunderwuzzi daherkommt, ist mir immer schon ein bisschen unheimlich gewesen. Alles, was ich in der Politik habe, ist nur ein geliehener Titel auf Zeit. Nicht mehr und nicht weniger. Im Grunde ist es nur ein Job, für den ich bezahlt werde. Dafür wird von mir erwartet, dass ich das Beste gebe und dass ich hackel. Liefern kannst du nur, solange es Spaß macht. Wenn es nicht mehr Spaß macht, dann ist es Zeit zu gehen.

Frau Schmiedthofer, vielen Dank für das Gespräch.

*

Simone Schmiedtbauer wurde 1974 in Graz geboren. Die Karriere als Politikerin war der Hitzendorferin beileibe nicht in die Wiege gelegt worden. Ihre Matura machte sie 1992 am Gymnasium der Schulschwestern in Graz-Eggenberg, gleich anschließend ließ sie sich zur Bankkauffrau in einer Grazer Filiale der Volksbank ausbilden. Schon 1993 wurde sie stellvertretende Filialleiterin der Volksbank Graz-Bruck, drei Jahre später wechselte sie zur Raiffeisenbank in Hitzendorf. Im Jahr 2000 tauschte sie ihren Schreibtisch bei der Bank mit dem Fahrersitz auf dem Traktor. Gemeinsam mit ihrem Mann übernahm sie einen Schweinemastbetrieb als Landwirtin und Direktvermarkterin. 2010 begann sie, sich zusätzlich politisch zu engagieren. Als Quereinsteigerin wurde sie in den Gemeinderat von Hitzendorf gewählt und zur Vizebürgermeisterin bestellt. 2014 war sie dann selbst Bürgermeisterin, begleitete die Gemeindestrukturreform als Regierungskommissärin und später Bürgermeisterin. Parallel dazu machte sie Karriere beim Bauernbund, der sie 2019 als Kandidatin für das EU-Parlament nominierte. Seit Oktober 2023 ist sie Landesrätin für Land- und Forstwirtschaft einschließlich land- und forstwirtschaftlicher Schulen, Wohnbau, Wasser- und Ressourcenmanagement und Gesellschaft. Schmiedtbauer ist verheiratet und ist Mutter von zwei Töchtern.

Fazitgespräch, Fazit 199 (Jänner 2023), Fotos: Erwin Scheriau

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