Anzeige
FazitOnline

Außenansicht (50)

| 12. März 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 200

Social Media, die »kalte Mutter«. Vor ein paar Tagen fanden Rettungskräfte die stark unterkühlte Journalistin Alexandra Föderl-Schmid unter einer Brücke. Die tagelangen Spekulationen in Medien und Social Media, ob die Journalistin den Freitod suchte, fanden damit ein Ende. Eine Sympathiewelle setzte ein. Bedauern, Trost und Unterstützung erreichten die Journalistin – und erreichten sie auch nicht. Die Auseinandersetzung über Angriff, Verteidigung und Verurteilung fand fernab der Betroffenen statt. In den sozialen Medien übertraf sich das Publikum gegenseitig mit Erleichterung, dass sie doch am Leben sei, weinerlicher Betroffenheit und wütender Empörung über die Hetze, mit der die Journalistin konfrontiert war.

::: Hier im Printlayout online lesen

In der Tat konzentrierte sich ein angeblich »kritisches« Element rund um sie, um sie fertig zu machen. Von fair und sachlich kann man aufgrund der Veröffentlichungen und Angriffe sicherlich nicht mehr sprechen. Es erinnerte mich an die Zeit, als ich für die FPÖ kandidierte. Ein Tsunami kam mir damals entgegen mit Spott, Hass, Drohungen und antisemitischer Hetze, und zwar über Jahre und oft tagtäglich. Theater sagten meine Stücke ab. Verlage erklärten, keine Bücher mehr von mir zu publizieren, Buchhandlungen nahmen meine Publikationen aus dem Angebot. Keine einfachen Situationen für die Betroffenen, und dennoch kann Angriff und Reaktion nicht verglichen werden. Ganz einfach, weil A eben nicht so reagiert auf Angriffe wie B. Der oder die eine steckt es weg, der oder die andere zerbricht daran.

Die Empfindlichkeit öffentlicher Personen – Journalisten leben nun mal von der Reaktion der Öffentlichkeit – ist so unterschiedlich wie die Reaktionen auf Angriffe. Verwunderlich im Falle von Föderl-Schmid war jedoch das absurde Schweigen der Redaktion, für die sie arbeitet, die der Süddeutschen Zeitung. Die überwältigenden Sympathieerklärungen, nachdem die Kollegin halb erfroren gefunden wurde, kamen zu spät. Sie fehlten, als sie attackiert wurde. Niemand schien sie zu beruhigen, keine Solidaritätserklärungen wurden veröffentlicht, nicht einmal die Chefetage der Zeitung stellte sich geschlossen hinter sie.

Das inhumane System der »Kalten Mutter« reagierte, nachdem sie gefunden wurde. Eine Umarmung auf Twitter ersetzt jedoch kein tröstendes Gespräch, keinen Anruf, um sich zu einem Kaffee zu treffen. Hunderte »Likes« sammelten die Empörten auf Social Media für die Verteidigung der Journalistin, fühlten sich wahrscheinlich toll und erfolgreich. Den direkten Kontakt zu der betroffenen Journalistin schien niemand gesucht zu haben, sonst hätte man sie nicht unter einer Brücke gefunden.

Doch die Ignoranz der empörten Unterstützer hatte noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht. Die Aufregung auf Social Media bekam im nächsten Schritt eine politische Dimension. Die Journalistin wurde zum Opfer einer »rechten Verschwörung« erklärt. Mit der üblichen Verallgemeinerung, dass diese Methode typisch für ein bestimmtes, politisches Segment sei. Immer noch ging es nicht um die Frau unter der Brücke, um ihre Verfassung, ihre Verzweiflung, ihren Gesundheitszustand. Niemand veröffentlichte, man habe sie im Krankenhaus besucht, es ginge ihr vielleicht wieder besser, Freunde hätten ihr Mut zugesprochen.

Stattdessen kritisierte eine Journalistin die Frau Minister für Frauenangelegenheiten, die hätte sich bisher nicht gemeldet. Die kalte Benutzung einer Situation, einer verzweifelten Person für durchschaubare, plakative politische Spielchen, als würde man die arme Frau ein zweites Mal unter die Brücke verdammen, sie dort lange genug festhalten, um auch den letzten Furz an Empörung an der richtigen Stelle deponieren zu können.

Die »kalte Mutter« der Sympathie und Solidarisierung übers Internet ist eine wertlose und unmenschliche Form der Unterstützung. Sie bietet keine Hilfe bei Verzweiflung und ersetzt keine Umarmung, im Gegenteil, sie lässt die Verzweifelten in der Einsamkeit zurück und benutzt sie nur für eitle Selbstdarstellung. Ein bekannte ORF-Journalist teilte seinen Sechshunderttausend Followern über Twitter mit, er sei jetzt traurig. Vielleicht hätte ein persönliches, tröstendes Wort der Verzweifelten geholfen, auch wenn es die Hunderttausende nie erfahren hätten.

Außenansicht #50, Fazit 200 (März 2024)

Kommentare

Antworten