Austrian Graffiti
Volker Schögler | 12. März 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 200, Fazitbegegnung
Sind es nicht vor allem die Menschen mit Passion, die uns am interessantesten erscheinen? Auch wenn oder gerade weil sie gelegentlich Grenzen überschreiten? Philo Jöbstl (25) ist Sprayer und er hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Gemeinsam mit Benjamin Schindler (34) und Marvin Busta (28) gründete er vor zwei Jahren die »Up-Agency«, eine Graffitiagentur für urbane Gestaltung und Marketing.
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Seitdem verwirklichen sie großflächige und kommerzielle Graffitiprojekte, »Street Art«-Werbung und Wandbilder auf Hausfassaden in schwindelerregenden Höhen oder in Innenbereichen. Legal, versteht sich – was aber nicht immer einfach ist. Denn Graz ist nicht Berlin und auch nicht Wien. Was da wie dort geht, geht in Graz noch lange nicht. Das betrifft etwa die sich anbietenden Feuerwände von Häusern, deren Eigentümer mit einer Graffitigestaltung einverstanden wären: Eine offizielle behördliche Genehmigung ist hier kaum zu erhalten, beklagen die Sprayer. Was für eine vormalige Kulturhauptstadt und Unesco »City of Design« doch äußerst konservativ sei. Was sagen dazu eigentlich die City-of-Design-Koordinationsstelle im Bürgermeisteramt oder die »Creative Industries Styria« oder das Kulturamt?
Die Kulturgeschichte der Graffitikunst ist überraschend vielfältig und zeitlich weitreichender als man denken mag. Ein Vorläufer war immerhin ein österreichischer Hofbeamter namens Joseph Kyselak, der auf seinen ausgedehnten Wanderungen, deren längste übrigens von Graz ausging, schon vor 200 Jahren vielerorts seinen Namen in großen Buchstaben hinterließ. Auch die Anfänge der neuzeitlichen Graffitisubkultur mit ihren kunstvollen Namenszügen in der New Yorker U-Bahn liegen bereits fast ein halbes Jahrhundert zurück, während die eher botschaftsorientierte Straßenkunst mit Künstlern wie Banksy zeitgenössisch-aktuell ist. Somit sind die drei Grazer mit ihrer Agentur am Puls der Zeit, wenn sie aufzeigen, dass Graffiti mit Werbung kompatibel ist. Denn neben ihren individuellen Jobs als Graffitikünstler für Wohn- und Kinderzimmer oder Garagen werden die Sprayer als Agentur für klassische Werbeaufträge gebucht. Dazu ist umfangreiches Equipment wie aufwendige Gerüste oder Hebekräne notwendig, inklusiver rechtskonformer Absicherung der Fassaden. Philo Jöbstl: »Die Umsetzung auf der Wand ist Handwerk.« Denn die Motive sind weitgehend vorgegeben, so zum Beispiel die bis zu mehr als 20 Meter hohen gesprühten Fassadenbilder für das Computerspiel »Battlefield 2042« in Frankfurt oder für Audi in Wien. Die Murals, also Wandmalereien, für das Hostel »The Keep« in Salzburg, für das »A&O-Hostel« in Wien oder die »MAN«-Werbung in Steyr beruhen wiederum auf Entwürfen von den Künstlern, die zum Teil von der Agentur auch eingeladen werden. In Graz kann man Innen- wie Außengraffitis für das »Jufa«-Hotel sehen oder ein Wandbild im Eingangsbereich des Bauunternehmens »Porr«.
Dass die Graffitikünstler es geschafft haben, »Auftragsmalerei« zu ihrem Hauptberuf zu machen, zeigen auch weitere Werbearbeiten in Stuttgart (Playstation), Berlin (Bundesregierung), Hamburg, München, Dortmund (Fifa), Hannover (Aldi) oder Wien (Montanuni, Drei, Netflix). Philo, der schon mit zehn Jahren im Josef-Huber-Park oder unter Brücken mit den Sprayen begonnen hat und Benjamin, vulgo »Sizetwo«, der sich in Berlin sprühtechnisch weitergebildet hat, erklären bereitwillig, wie man den digitalen Entwurf eines Motivs vom Computerbildschirm auf einer 20-Meter-Wand handwerklich umsetzt. Das geschieht fast immer mit Hilfe eines Rasters, der über das Bild gelegt und auf der grundierten Wand zu 50-mal-50-Zentimeter-Quadraten vergrößert wird. Mit Projektionen wird selten, eventuell in Innenräumen gearbeitet. State of the Art sind nach wie vor Spraydosen um durchschnittlich vier bis fünf Euro, gegen die Aerosole schützt man sich mit Lackiermasken.
Da in Graz ein Szenetreff gefehlt hat, gründete Benjamin schon vor einigen Jahren einen Graffitishop, der in der Annenstraße 32 als »Betterrun Scope Store« gerade neu übernommen wird und wo auch Philo im Verkauf von Sprayerzubehör jobbt.
Die Expertise der jungen Truppe in Beratung, Vorbereitung und Umsetzung von Projekten ist bereits so groß, dass sie auf Wunsch zusätzlich zum Wandbild eine Kombination mit Projektion, plastischen Installationen oder »Augmented Reality« (erweiterte Realität) anbietet. Ein bisschen großstädtisches Flair wird spürbar. Wo sind die Zeiten, als in Graz große Fassaden am Mehlplatz, am Karmeliterplatz oder sämtliche Fußgängerunterführungen problemlos bemalt werden durften?
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Philo Jöbstl (Mitte), am 5. November 1998 als Sohn einer Richterin und eines Architekten geboren, begann schon in der Volksschule mit dem Sprayen, maturierte an der Ortweinschule (Grafik und Kommunikationsdesign) und lebt in Graz und Wien.
Benjamin Schindler (link), am 9. August 1989 geboren, Vater Bauingenieur, Mutter Lehrerin, maturierte bei den Schulschwestern, sprayt seit dem 18. Lebensjahr, Studium von Architektur und Industrial Design abgebrochen, verheiratet, lebte einige Jahre in Berlin. Beide gründeten gemeinsam mit dem Videografen, Kameramann und Filmproduzenten Marvin Busta, zuständig für Projektdokumentation und Kaufmännisches, im Jänner 2022 die »Up Agency OG« für Graffiti- und Street-Art-Projekte am Lendplatz 5 in Graz. up-agency.at
Fazitbegegnung, Fazit 200 (März 2024) – Foto: Andreas Pankarter
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