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Kann man gut

| 12. März 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 200, Kunst und Kultur

Illustration: Sophie Köchert

»Salz kammer gut« hat sich als Kulturhauptstadt Europas 2024 zur Welt gebracht. 23 Gemeinden im ländlich geprägten inneralpinen Raum schließen sich für ein Jahr zu einer Kulturregion zusammen.

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Die Ischler Jugendstadträtin hatte noch Tage nach der Eröffnungszeremonie mit Nachwehen zu kämpfen. Dem Vernehmen nach wurde ihr gar mit einer Anzeige wegen unterlassenem Jugendschutz gedroht. Der Grund war die von einigen als »skandalös« empfundene Eröffnungsaufführung des »Pudertanzes« zum Start der »Kulturhauptstadt 2024 – Salzkammergut«. Medien haben berichtet.

Erstaunlich, dass es noch immer reicht auf ein simples Knöpfchen zu drücken, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Die Empörung erreichte dann auch den Wegscheider, der sich in seinem wöchentlichen Kommentar zum Zeitgeschehen auf Servus-TV entsprechend äußerte und das wochenlang auswalzte. Jetzt mögen die Vorgänge nur eine künstlich erregte und leicht instrumentalisierbare Petitesse sein. Allerdings trägt eine genauere Analyse viel zum Verständnis der derzeitig laufenden Diskussion über den Kulturbegriff im ländlichen Raum bei, wie sie ja auch in der Steiermark durch die von der Politik beauftragte »Kulturstrategie 2030« von Interesse sein dürfte. Oder zumindest sollte. Anyway, und sei dem wie dem ist: Das fette, 340-seitige Programmbuch verspricht allerhand und lässt einiges erhoffen.

In diesem Jahr also teilen sich das Salzkammergut mit Tartu (Estland) und Bodo (Norwegen) jene kulturelle »Auszeichnung«, die für manche schon einen etwas fahlen Beigeschmack bekommen hat. »Cui bono?«, hört man europaweit leise flüstern. Nach Graz 2003 und Linz 2009 sind Bad Ischl und das Salzkammergut der dritte österreichische Schauplatz des europaweiten Kulturgroßevents. Und, das ist eine Novität, in 39 Jahren die erste ländliche Region, die den Titel »Kulturhauptstadt« tragen darf.

Steirischer Anteil
Die Gemeinden Altaussee, Bad Aussee, Grundlsee und Bad Mitterndorf sind als steirischer Teil des Salzkammergutes ein Jahr lang Motor (Eigendefinition) für die Regionalentwicklung der gesamten Region, die in einem europäischen Kontext neu gedacht werden sollte, wie es im Programmbuch heißt. Und die Steiermark sponsert ordentlich mit. »Das Salzkammergut von Anarchie bis Ziehharmonika.« So fesche Slogans haben sich findige Werbemenschen einfallen lassen. Daraus entwickelte man (frau!) ein umfassendes sowie vielschichtiges Programm für das laufende Jahr.

Vorbild für Europa
Aus dem Vorwort: »Wir sind uns sicher, dass das Salzkammergut ein Vorbild für ein vereintes Europa werden kann, das sich neu positionieren muss, um den Herausforderungen von morgen Stand zu halten. Eine Modellregion, die unter Beweis stellt, dass kulturelle Unterschiede eine Bereicherung für das Zusammenleben sind.« Und ganz selbstbewusst fortgesetzt: »Die Kulturhauptstadt wird dazu beitragen, Toleranz sowie die Bereitschaft, sich auf die Sichtweise anderer einzulassen, als die einzig tragfähige«, sic!!!, »Grundlage für eine offene zivile und demokratische Gesellschaft zu verdeutlichen.« Da will man spontan beide Daumen drücken.

Mit der künstlerischen Leiterin Elisabeth Schweeger wurde jedenfalls 2021, nach Ablöse des ersten Intendanten, eine Leitung mit Zug aufs Tor gefunden. Die Wienerin hat Kulturinstitutionen zwischen Linz und Frankfurt gemanagt und verbrachte ihre Kindheitssommer bei den Großeltern in St. Gilgen. Damit kennt sie Region und Ansässige zumindest ein wenig und schaffte es in den letzten drei Jahren, sämtliche Widrigkeiten, ob gewollt, inszeniert oder konstruiert, zu umschiffen. Die Diskussionen und Wehleidigkeiten der lokalen und zugereisten Player wurden genüsslich medial mitdokumentiert. Das Prozessuale des Zustandekommens wäre das eigentliche, vielleicht gar das Hauptprojekt des Unterfangens, dechiffriert es doch viele Aspekte brennender Themen kulturarbeiterischer Praxis. Wie die angesprochene Dichotomie Stadt/Land in der praktischen Auseinandersetzung oder etwa den genauso spannenden wie abgelutschten Aspekt der »Identität«.

Aber reden wir doch über Wesentliches, nämlich über das Budgetäre. Das Gesamtprojekt hat immerhin rund 30 Millionen Euro im Börserl. Kurz und knapp: Bund 11, Länder gemeinsam 11, Gemeinden 2,6, Sponsoring: 1. und die EU, die das Ganze ja ausgelöst hat, ist immerhin noch mit 4,5 Millionen dabei. Im Vergleich zu Graz 2003 fühlt sich das nicht so üppig an, damals waren es 60 Millionen. Es gibt jedoch kein Geld zur Verhüttelung (Kunsthaus, Murinsel) da der Großteil in die Projekte fließt. Und diese befassen sich nicht rein, wie einst in der Bewerbung umrissen, mit Themen wie Salz und »Overtourism«, sondern auch mit Fragen von Landflucht und Leerstand, Verkehr und Erinnerungskultur. Diesen Spagat inhaltlich zu schaffen, das ist Intendantin Schweeger hoch anzurechnen.

»Salz-Seen-Land« ist übrigens das Lese- und Bildbuch zum Gesamtprojekt. Es führt in 60 Beiträgen von der erwähnten »Anarchie« bis zur »Ziehharmonika« durch Bad Ischl und Umgebung. Lassen wir uns im Laufe des Jahres überraschen. Die über 300 Einzelprojekte klingen in der Mehrheit spannend und laden ins Salzkammergut ein; wohin man gar auch ohne Marketingtitel »Kulturhauptstadt« gefahren wäre.

Kulturhauptstadt 2024
Bad Ischl, Salzkammergut
salzkammergut-2024.at

Alles Kultur, Fazit 200 (März 2024), Illustration: Sophie Köchert

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