Der ORF. Unbezwingbares Privateigentum der Redakteure
Redaktion | 13. Mai 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Essay, Fazit 202
Ein Essay von Andreas Unterberger. Der österreichische Publizist sieht die deutlich linksideologische Schlagseite des ORF als praktisch irreversibel und analysiert, wie es überhaupt dazu kommen konnte.
::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK
Dr. Andreas Unterberger ist Jurist und Ökonom, der heute als Vortragender und Publizist arbeitet. Er war 1995 bis 2004 Chefredakteur der Tageszeitung »Die Presse« und von 2005 bis 2009 Chefredakteuer der »Wiener Zeitung«. Seit 2010 führt er das »nicht ganz unpolitische Tagebuch« unter andreas-unterberger.at
Die redaktionellen Inhalte des ORF haben eine klare Schlagseite. Das hat jedoch kein Vorgesetzter, keine Partei angeordnet. Das ist vielmehr Produkt soziologischer Entwicklungen, die auch viele andere Medien erfasst haben, die komplett gegenläufig zur Meinung und Entwicklung der österreichischen Bürger laufen. Im ORF ist in den letzten Jahren die Machtübernahme durch die Basis und die Räte – die russische Übersetzung für Räte heißt: »Sowjets« – so weit vorangeschritten und durch etliche Maßnahmen so geschickt abgesichert worden, dass sie als praktisch irreversibel bezeichnet werden muss. Millionen Österreicher hören täglich klar linksgepolte Inhalte, so oft sie auf einen Kanal des ORF stoßen. Im kollektiv verfestigten Weltbild der ORF-Mitarbeiter vermischen sich grüne wie rote Positionen zu einem untrennbaren Amalgam. In der Folge seien einige Elemente dieses Weltbilds analysiert, aber vor allem sei der noch viel wichtigeren Frage nachgegangen, warum das eigentlich so ist. Unterscheidet sich diese Schlagseite doch signifikant von der Einstellung der Österreicher insgesamt, die seit 40 Jahren bei sämtlichen Nationalratswahlen jenen zwei Parteien, die rechts der Mitte stehen, also meist ÖVP und FPÖ, kontinuierlich eine Mehrheit gegeben haben – auch wenn diese beiden Parteien nur eine begrenzte Zeit miteinander koaliert haben. Die Suche nach dem Warum dieser Schlagseite führt zu einem viele Österreicher überraschenden Ergebnis. Es gibt keinen Beweis für das, was viele Bürger glauben: nämlich, dass jemand an der Spitze des Unternehmens diese Schlagseite angeordnet hätte oder dass sonst jemand »von oben« die Anweisung gegeben hätte, fast nur im Sinne von Rot-Grün zu berichten. Es gibt weder solche Beschlüsse des Gesetzgebers noch des Stiftungsrates noch des Publikumsrates noch des Generaldirektors. Daher sind auch alle Aktionen des Verfassungsgerichtshofs, der die Zusammensetzung dieser Gremien ins Visier genommen hat, völlig irrelevant für das wahre Zentralproblem des ORF. Das heißt freilich nicht, dass die Generaldirektoren und -intendanten schuldlos wären an den ideologischen Schlagseiten in fast allen politischen Sendungen des ORF wie auch in erstaunlich vielen Fiction-Sendungen (ist ja auch dort fast immer der böse Kapitalist oder der frömmelnde Christ der Mörder, aber nie ein Migrant – obwohl die offizielle Kriminalitätsstatistik ganz im Gegensatz zu den ORF-Krimis einen massiv ihren Bevölkerungsanteil übersteigenden Anteil der Migranten an den aufgedeckten Verbrechen zeigt). Das Verschulden der ORF-«Generäle« liegt darin, dass sie entweder die wahren Ursachen der Schlagseite nicht ausreichend begriffen haben, oder dass sie nicht versucht haben, sie abzustellen. Lediglich unter der Führung von Gerd Bacher und Monika Lindner gab es wenigstens eine Strategie, mit der versucht worden ist, die Schlagseite der Redaktionen auszutarieren. Das war jeweils die Einsetzung eines Chefredakteurs, der Führungsstärke wie Kompetenzen hatte und der dieser Aufgabe auch intellektuell gewachsen war: Diese Chefredakteure hießen Alfons Dalma und Werner Mück. Seither gibt es nirgendwo einen Nachfolger, der dieser Bezeichnung gerecht würde.
In der Bacher-Ära kam noch dazu, dass der Generalintendant selber oft zum Telefon griff, um Kritik an einer gerade gehörten Sendung lautstark und wirkungsvoll kundzutun. Bacher hatte am Anfang etliche bürgerliche Redakteure wie auch gemäßigte Sozialdemokraten in Führungsrollen geholt. Der Redaktionsnachwuchs von unten war aber schon in seiner Ära von neomarxistischen 68ern aus der Studenten-Revolution geprägt. Man hatte bei Bacher freilich das Gefühl, dass er geradezu lustvollen Spass daran hatte, sich mit den jungen Linksradikalen zu matchen, die er als Nachwuchs in den ORF hineingelassen hat – obwohl ja sein eigentlicher historischer Erfolg in seltsamer Dialektik darin bestanden hatte, mit der komplett rein SPÖ-hörigen Mannschaft des alten Vor-ORF-Fernsehens aufzuräumen. Diese neue linke Generation fühlte sich – mit Ausnahme der Landesstudios in SPÖ-geführten Bundesländern – freilich nie als Befehlsempfänger der SPÖ, sondern war ganz unabhängig davon von einer allgemeinen linken Zeitgeist-Stimmung der städtischen Universitäts- und Kulturszene getragen. Diese »Bobo«-Stimmung wurde inhaltlich im Lauf der Zeit immer mehr Grün als Rot. Hingegen konnte sich das linksliberale Denken nach Neos-Art nie durchsetzen (das wäre wirtschaftspolitisch rechts, aber gesellschafts- und migrationspolitisch links). Während Bacher und Dalma das Steuerrad fest in der Hand gehalten hatten, stand eine Generation später Mück oft auf verlorenem Posten. Erstens, weil er ziemlich alleine im Sturm stand, auch von der Generaldirektorin keine wirkungsvolle Unterstützung bekam. Und zweitens, weil er auch von rechts, vor allem vom FPÖ-Ableger BZÖ, unter Beschuss kam (das BZÖ wollte damals damit den Regierungspartner ÖVP in ganz anderen Fragen unter Druck setzen). Ein solcher Zweifrontenkrieg war Bacher und Dalma nie passiert: Erstens, weil das sogenannte dritte Lager damals viel schwächer war als später. Und zweitens, weil sie selber ideologisch der FPÖ durchaus freundlich gegenüberstanden. Damit sei nicht gesagt, dass es gar keine ideologisch neutralen ORF-Redaktionen geben würde. Den Sport etwa kann man weitgehend dazu rechnen. Und es gibt zweifellos auch erkennbare ÖVP-Lastigkeit in den Bundesländern mit einem ÖVP-Landeshauptmann, insbesondere in Niederösterreich. Freilich: Der niederösterreichische Chefredakteur und Landesdirektor Ziegler wurde in einer generalstabsmäßigen Aktion aller ORF-Zentralredaktionen, aber auch von »Presse« und »Standard«, sowie unter offensichtlichem Mitspielen der restlichen Niederösterreich-Redakteure des ORF genau wegen seiner ÖVP-Nähe aus dem Amt intrigiert. Es wurden Chats und Mails von Ziegler auf bis heute unbekanntem Weg abgefangen und an die Öffentlichkeit gespielt, die enge Kontakte zwischen Ziegler und der ÖVP-Niederösterreich zeigten. Aber gerade die Affäre Ziegler beweist eindeutig die linke Schlagseite aller restlichen ORF-Redaktionen. Noch nie hat es in den ORF-Journalen oder ZiB-Sendungen Attacken auf einen SPÖ-nahen Kollegen des eigenen Senders gegeben, obwohl (vom Landesstudio Wien bis zur ZiB) Hunderte Beispiele eine solche Nähe zeigen. Noch nie wurden bei einem linken Journalisten von ORF-»Kollegen« Chats abgefangen und nach außen gespielt. Dabei zeigte sich auch eine katastrophale Führungsschwäche des neuen ORF-Generaldirektors Roland Weißmann. Er setzte als Reaktion auf die Kampagne linker Journalisten von innen und außen eine Untersuchungskommission gegen Ziegler ein. Und zwar nur gegen diesen – obwohl es absolut logisch, sinnvoll und zu hundert Prozent genauso gerechtfertigt gewesen wäre, gleich alle Landesstudios nach denselben Maßstäben zu untersuchen. Damit sei nicht gesagt, dass nur die wenigen leicht – oder bei Dalma: deutlich – rechts der Mitte stehenden Herren um Ausgewogenheit im ORF kämpften. Es gab auch etliche Sozialdemokraten mit hoher journalistischer Qualität, denen Objektivität wichtig war. Da gilt es etwa die Namen Kreuzer und Besenböck zu nennen, die beide aus der Arbeiterzeitung gekommen waren. Ebenso ist den SPÖ-nahen Herren Zeiler und Podgorski, als sie an der Spitze des Unternehmens standen, zumindest das Bemühen um Ausgewogenheit zu attestieren. Selbst der letzte direkt aus dem SPÖ-Stall gekommene ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hat zumindest einmal in einem Privatgespräch eine leicht selbstkritisch klingende Bemerkung fallen gelassen, dass seine Redakteure den ORF anders platzieren, als die Seher es wollten. Dagegen unternommen hat er aber nichts. Das haben auch die meisten anderen ORF-Chefs nicht zielführend getan. Denn zunehmend gerieten die bürgerlichen und objektivitätsorientierten sozialdemokratischen ORF-ler hoffnungslos in die Minderheit gegen einen in ganz andere Richtungen schwimmenden Redakteursstrom.
Erziehung im Sinne der eigenen Überzeugungen
Wenn man den Vorwurf gegen diese inzwischen fast einhellig die Redaktionsmeinung prägende heutige Redakteursgarde auf einen Satz konzentrieren möchte: Sie sehen ihre Aufgabe nicht mehr darin, die Seher und Hörer möglichst umfassend und ausgewogen zu informieren, sondern sie wollen diese im Sinne ihrer eigenen Überzeugungen erziehen. Um diesen Vorwurf an den ORF – ein wenig – zu relativieren: Man kann ihn fast gleichlautend auch der großen Mehrheit anderer Medien machen, im In-, wie im Ausland. Wieso aber kam es zu diesem Wechsel des Selbstverständnisses vieler Journalisten? Es gibt nicht die große Verschwörung, es gibt nicht den großen Magier, der an den Fäden von Marionetten in den Medien ziehen würde. Es geht vielmehr um einen inneren Konsens in der Journalisten-Gesellschaft, der sich mehr und mehr von der Gesellschaft wie auch den Wünschen der Eigentümer abgekapselt hat. Eine der Ursachen ist die Tatsache, dass sich nach der Wende 1989, in Wahrheit aber zum Teil schon mit der »Friedensbewegung« und der 68er Studentenrevolution das Feindbild vieler Journalisten wie auch der Kulturszene verschoben hatte: In den Jahren nach 1945 war der bedrohliche Feind, der die eigene Freiheit und den eigenen Wohlstand bedrohte, eindeutig im Osten zu finden. Hingegen war der große Freund, der Österreich, aber auch ganz Westeuropa die Freiheit sichern half, der zugleich ein erfolgreiches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell hatte, nur im Westen, nur in Nordamerika zu finden. Dieses innere Selbstverständnis der Journalisten des ersten Vierteljahrhunderts nach dem Krieg begann sich aber bei den Studenten der 70er Jahre und der daraus erwachsenden Akademiker- und insbesondere der Professorengeneration zuerst schrittweise und dann immer rascher zu ändern. Dazu trug der Vietnamkrieg Entscheidendes bei. Ausgehend vom Unwillen der amerikanischen Studenten, in einen fernen Krieg zu ziehen, entwickelte sich auch in Europa rasch ein neues Weltbild, in dem die USA rapide von der guten auf die schwarze Seite des Universums gerückt wurden. Sie waren für eine neue Generation plötzlich nicht mehr die edlen Verteidiger der Freiheit, sondern eine heimtückische Kolonialmacht (obwohl die USA eigentlich massiv den Unabhängigkeitskampf der Kolonien gegen die europäischen Mächte unterstützt hatten …). Mit dem neuen Amerikabild verlor auch rasch all das an Stellenwert, wofür die USA gestanden sind: vom liberalen Rechtsstaat über die Zukunftsoffenheit bis zur freien Marktwirtschaft, die bald nur noch mit dem schmähend intonierten Ausdruck »Kapitalismus« bezeichnet worden ist. In enger Beziehung zu all dem entstand in einer neuen Generation der Sozialdemokratie eine ideologische Sehnsucht nach den marxistischen Wurzeln. Der einstige, vor allem in der Arbeiterzeitung heroische Kampf vieler Nachkriegssozialdemokraten gegen das Sowjet- system geriet bald ebenso in Vergessenheit wie der frühere scharfe, oft auch blutig ausgetragene Antagonismus der Sozialdemokratie gegenüber den undemokratischen und totalitären Kommunisten. Immer mehr setzte sich eine neue Wertehierarchie auf der Linken und zunehmend auch in den lange bürgerlich gewesenen Universitäten durch: Antiamerikanismus, romantische Sympathie für Befreiungsbewegungen und Revolutionen aller Art, Ablehnung der Marktwirtschaft, Unterstützung für exzessive Schuldenpolitik, Verachtung für die christlichen Fundamente Europas, ursprünglich auch vehemente Ablehnung des »Bürgerblocks« EWG (der dann rund um die Jahrtausendwende in eine ebenso radikale Dogmatisierung der »europäischen Werte« umschlug, sobald auch der Brüsseler Apparat überwiegend linksgeprägt wurde), Kampf gegen Atomkraft, Unterstützung aller Feminismus-Parolen bis hin zum Gendern, Ablehnung der angeblich patriarchalischen Familie, Unterstützung der schwulen und Trans-Propaganda. Dieses linke Wertekonglomerat prägte ab den 70er- und 80er-Jahren die Mehrheit der neuen Studentengeneration und nach den Unis auch die des Redakteurnachwuchses. Die Redaktionen waren sogar eines der ersten Ziele des von trotzkistischen, stalinistischen, maoistischen, austromarxistischen Studenten ausgerufenen »Marsches durch die Instiutionen«. Das galt ganz besonders für jene Studienrichtungen, bei denen die Wahlen zur Hochschülerschaft massive Mehrheiten für grüne, kommunistische und sozialistische Listen bringen wie Publizistik, Politologie oder Soziologie. Sobald irgendwo eine Lehrredaktion ausgeschrieben war, drängte eine massive Mehrheit aus genau diesen Studienrichtungen dorthin.
»Irgendetwas mit Medien«
Ich selber hielt zehn Jahre eine Lehrveranstaltung für Politikwissenschaft und bekam auf meine Small-Talk-Frage »Was wollt ihr denn alle einmal machen?« mehrheitlich die Antwort »Irgendetwas mit Medien«. Diese Antworten sind nun keineswegs bloß mit dem gezielt ideologischen »Marsch durch die Institutionen« zu erklären. Vielmehr haben die Absolventen dieser Studienrichtungen im Unterschied zu ihren sonstigen Kollegen nur wenige Chancen, ihr Studium für einen Beruf zu verwenden. Fast jede andere Studienrichtung hat ein breites Feld von Job-Möglichkeiten vor sich. Politologen & Co hingegen haben fast das nackte Nichts vor sich. Daraus entsteht ein massiver, aber völlig einseitiger Druck, in die Redaktionen hineinzukommen. Das große Versäumnis sämtlicher ORF-Führungen wie auch der allermeisten Verleger, Herausgeber und Chefredakteure: Sie haben diesen einseitigen Osmose-Druck nicht begriffen; sie haben sich nicht um die Nachwuchs-Rekrutierung gekümmert, sondern diese irgendeinem siebenten Redakteur von links überlassen, der gerade für sonst nichts zu gebrauchen war. Sie haben gemeint, wichtig seien nur die Leitungsfunktionen, und haben dabei übersehen, dass schon nach wenigen Jahren der anfangs ignorierte Nachwuchs auch das System tragen und leiten wird. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, schon bei der Aufnahme in Ausbildungs-Verfahren darauf zu schauen, dass da einerseits von den Qualifikationen her ein bunte Mischung entsteht, und dass andererseits die weltanschauliche Orientierung der jungen Leute etwa dem Publikum des Mediums entspricht. Das unterlassen zu haben, hat in doppelter Hinsicht schlimme Folgen für die Zukunft vieler Medien. Einerseits kommen so vor allem linke Jungakademiker und Studienabbrecher in die Redaktionen, die im Schnitt eine ganz andere Gesinnung haben als die übrige Studentenschaft, wo es ja auch durchaus umfangreiche bürgerliche Gruppen gibt. Andererseits werden so auch von der Ausbildung her die Redaktionen immer weniger divers und gemischt. Selbst wenn man die Ausbildungsqualität von Publizisten & Co als gleichwertig ansehen würde (was sie nicht ist), täte absolut jeder Redaktion und vor allem den Sehern, Hörern oder Lesern eine echte Mischung zehnmal besser als noch ein weiterer Publizist oder Politologe: etwa Ökonomen, Historiker, Juristen, Osteuropa-Experten, Beherrscher vieler Sprachen, ja auch Ärzte, Naturwissenschaftler, Boku-Absolventen oder Tierärzte wären eine gewaltige Bereicherung. Dann wüssten Medien viel besser über das Bescheid, worüber sie berichten. Gewiss kann man argumentieren: Jeder Verleger ist selber schuld, wenn die Redaktion so an den Bedürfnissen vorbei zusammengesetzt ist, wenn eine mehrheitlich linke Redaktion einem Publikum vorgesetzt wird, das bei allen Wahlen mehrheitlich rechts der Mitte steht.
Bei privaten Medien ist es nur eine betriebswirtschaftliche Dummheit, wenn solcherart die Konsumenten zusätzlich Richtung Internet vertrieben werden. Bei einem öffentlich-rechtlichen Medium wie dem ORF, für den alle Österreicher Gebühren zahlen müssen, ist das aber viel dramatischer: Diese Einseitigkeit ist fundamental undemokratisch, ist eine Verletzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit, die eine staatliche Manipulation ausschließen müsste. Der ORF hätte die Pflicht, in der Zusammensetzung seiner Redaktionen etwa die politische Pluralität der Österreicher widerzuspiegeln. In der ORF-Realität sieht es jedoch so aus: Zahlen müssen alle, aber die gesamte ideologische Orientierung des ORF liegt einzig in den Händen der Basis. Und diese ist, wie Arbeiterkammer-Wahlergebnisse zeigen, zu mindestens 80 Prozent links. Diese Strukturen im ORF sind inzwischen schon so verhärtet, dass es wohl nicht einmal einer Totalreform wie jener der 60er Jahre samt einem führungsstarken Generaldirektor wie Gerd Bacher gelänge, sie wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Denn inzwischen haben die erfolgreich durch den ORF marschierten Linken sich mit gleich mehreren Mechanismen extrem erfolgreich abgesichert:
1. Die wichtigste Absicherung besteht darin, dass sie beim Nachwuchs nur Gleichgesinnte hereingeholt haben, was eben angesichts des einseitigen Ansturms von außen sehr leicht gewesen ist.
2. Dazu kommt die Argumentation von der »Unabhängigkeit«, die ziemlich genau zu jenem Zeitpunkt eingesetzt hat, als die linke Mehrheit in allen Redaktionen stabil geworden war. Seither wird jede Kritik an der schweren Schlagseite immer sofort als Angriff auf die Unabhängigkeit gewertet.
3. Das Redaktionsstatut ist im Juli 2022 vom derzeitigen Generaldirektor unterschrieben worden. Es zementiert die redaktionelle Basisdemokratie und eine fast unumschränkte Macht der Räte (auf russisch: Sowjets) endgültig ein: Vorgesetzten kann von ihren Untergebenen das Misstrauen ausgesprochen werden, was sie den Job kosten kann! So kann jedoch in Wahrheit kein Unternehmen der Welt funktionieren. Im Wortlaut dieses Statuts heißt es: »Gegen kritikwürdiges Verhalten einer journalistischen Führungskraft, das geeignet erscheint, die journalistische Qualität der Berichterstattung zu beeinträchtigen, kann jedes Redaktionsmitglied dieses Bereichs Beschwerde an den Redaktionsrat führen. Bei Vorliegen dreier voneinander unabhängiger und substantiierter Beschwerden hat der Redaktionsrat das Recht, eine Redaktionsversammlung einzuberufen, in der diese der Führungskraft mehrheitlich das Vertrauen versagen kann.« Damit kommt eine Lawine ins Rollen, die letztlich zur Absetzung führt. Es ist absolut undenkbar, dass angesichts eines solchen »Statuts« irgendeine Führungskraft im ORF noch wirklich führen kann und will.
4. Zu Jahresende 2023 wurden drei gleichberechtigte Chefredakteure eingesetzt. Damit ist zusätzlich abgesichert, dass es keinen Chef gibt, der führt, der etwas ändern könnte.
5. Zusätzlich entmachtet ist die gesamte ORF-Führung durch einen sogenannten »Ethikrat«. Dieser stellt eine drohende graue Instanz hinter den Kulissen dar. Er setzt sich aus ORF-Redakteuren zusammen, ist also eine Kopie eines schwer schlagseitigen Vorbilds. Er ist von seiner Zusammensetzung her massiv linkslastig. Das hat etwa zu einem offiziellen Ausspruch des Tadels für den ORF-Korrespondenten Christian Wehrschütz geführt, weil dieser bei einer ÖVP-Veranstaltung aufgetreten ist. Linke Redakteure wie ein Armin Wolf konnten hingegen unkritisiert bei Dutzenden Veranstaltungen auftreten.
6. Die Frauenbeauftragten bilden ein weiteres starkes Netzwerk hinter den Kulissen. Einst schien ihr Hauptzweck, Hilfe für diskriminierte oder belästigte Frauen im ORF zu sein. Heute, so berichten ORF-Redakteure, sind sie eine aktive Pressure Group, die sofort Beiträge monieren, die nicht gegendert sind, die sofort Redakteure tadeln, wenn sie männliche Gegenargumente gegen die Doktrin der Frauendiskriminierung zu erwähnen wagen.
7. Ähnlich aktiv sind die Klimabeauftragten. Sie sind so wirkungsvoll, dass kein Redakteur es mehr wagt, Berichte zu gestalten, in denen die Behauptung von der »menschengemachten« Klimaveränderung kritisiert oder relativiert würde. Selbst ein neuer Kinderkanal hat sofort den Auftrag bekommen, sich besonders um das Thema »Klima« zu kümmern, also die Kleinsten grün zu indoktrinieren.
8. Noch viel wichtiger sind die ideologischen Leithammel in Redaktionssitzungen, selbst wenn sie formal nur normale Redakteure sind. Sie bügeln jeden Kollegen nieder, der aus dem linken Gleichschritt auszubrechen versucht.
9. Eine wirksame Strategie zur Vervielfachung der ideologischen Propaganda der besonders weit linksstehenden ORF-Journalisten wie Wolf und Kappacher sind die »sozialen Medien«. Dort missbrauchen sie die Bekanntheit durch den zwangsgebührenfinanzierten ORF ganz massiv zur politischen Massenpropaganda. Das tun sie auch über Buchpublikationen oder Auftritte in Theatern und Schulen.
10. Während in Journal-Sendungen und der Zeit im Bild noch hie und da versucht wird, die Ideologie zu tarnen, findet diese vor allem in zwei Radiosendern absolut ungehemmt statt, wo sie völlig unter dem öffentlichen Radar durchsegeln kann. Ö1 ersetzt außerhalb der Journale de facto die (nicht vorhandene) Kulturabteilung der KPÖ. Noch schlimmer ist der sogenannte Jugendsender FM4. Hier agiert nur noch der linksradikale Rand aus dem grünen Biotop. Die dortigen Themen haben nur zwei Schwerpunkte: Entweder LGBT-Propaganda oder Klimapanik.
11. Auch Meinungsforschungsinstitute und andere Medien wurden von der ORF-Strategie massiv unter Druck gesetzt. So berichten mehrere von ihnen, dass ihnen bedeutet worden ist, keine Umfragen mehr durchzuführen, beziehungsweise in Auftrag zu geben, bei denen die Unzufriedenheit der ORF-Konsumenten mit der politischen Schlagseite der Berichterstattung abgefragt würde. Diese ORF-Interventionen haben offenbar weitgehend Erfolg. Denn angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage aller Printmedien glaubt keines, auf gelegentliche Auftritte seiner Redakteure im ORF verzichten zu können, etwa in der Pressestunde oder bei Diskussionsrunden (Die Bedeutung solcher ORF-Auftritte dürfte freilich maßlos überschätzt werden. Ich selbst hatte als Chefredakteur jedenfalls ausgerechnet in jenen Perioden die besten Media-Analyse-Ergebnisse, da ich wegen Unbotmäßigkeit vom ORF boykottiert worden bin). Die meiner Beobachtung nach letzte Umfrage, die dieses Thema wenigstens indirekt verfolgte, war im März 2022 für den »Kurier« gemacht worden. Sie ergab für die ZIB 2, also für die von Armin Wolf dominierte Sendung, ein deutlich schlechteres Vertrauensergebnis als für »Bundesland Heute«, also jene Sendereihe, wo in manchen Bundesländern auch nicht-linke Redaktionen am Werk sind.
Die Einschüchterung der Print-Redaktionen geht so weit, dass wiederum nur im »Kurier« massive Kritik an der Ausdehnung der ORF-Haushaltsabgabe auf Hunderttausende nunmehr zusätzlich Gebührenpflichtige zu finden war. Die Printredaktionen nahmen ansonsten – teils aus ideologischer Sympathie, teils aus Angst vor dem ORF – nicht nur diesen Millionen-Jackpot für den ORF relativ reaktionslos hin, sondern auch, dass ihnen wider alle Versprechungen rund um das neue Gesetz der ORF mit seinem Online-Auftritt eine provokant verbesserte Konkurrenz vor die Nase setzt, welcher die von Werbung abhängigen Zeitungen nichts Gleichwertiges entgegenhalten können. Die entlarvendste Umfrage der letzten Jahre ist eine, die der ORF selbst in Auftrag gegeben hat – auch wenn das SPÖ-nahe Institut Sora die wahre Bedeutung der Publikumsratsstudie 2019 in seinen Berichten zu verwischen versucht hatte. Dennoch sind die Ergebnisse erschütternd. So sagten:
– nur 12 Prozent, dass der Vorwurf, dass sich Moderatoren und Journalisten des ORF »parteiisch verhalten« würden, »gar nicht zutrifft«;
– nur 17 Prozent, es treffe »sehr« zu, dass Meinungskommentare »klar und deutlich als Kommentare ausgewiesen« werden;
– die Mehrheit, dass »in Diskussionssendungen die Auswahl der Gäste nicht ausgewogen« sei;
– nur 22 Prozent, es treffe »sehr« zu, dass »unterschiedliche politische Meinungen vorkommen«;
– nur 19 Prozent, es treffe »sehr« zu, dass »die Berichterstattung nicht nur aus einem Blickwinkel« erfolge.
Es würde den Rahmen dieses Textes sprengen, die zahlreichen Beweise für die stets nach links neigende Schlagseite des ORF mit konkreten Beispielen zu beweisen. Daher seien nur drei aktuelle kurz erwähnt:
1. Die Absurdität, dass regelmäßig der Regierung grünnahe Vorfeldvereine wie Greenpeace nicht nur als gleichrangig, sondern sogar als »Experten«, damit also als weit überlegen, gegenübergestellt werden.
2. Die empörte Aufregung, die in zahlreichen ORF-Redaktionen ausgebrochen ist und die auch nach außen gespielt worden ist, als der FPÖ-Vorsitzende im Radio eine Stunde lang einen Auftritt bekommen hatte, während die Tatsache, dass der Vorsitzende des linksradikalen Migrationsförderungsvereins »SOS-Mitmensch« ebenfalls eine ganze Radio-Stunde bekommen hat, überall als selbstverständlich hingenommen worden ist.
3. Die mehr als dubiosen Tonaufnahmen des verstorbenen Justiz-Sektionschefs Pilnacek wurden post mortem in zahllosen Sendungen veröffentlicht – hingegen wurden die viel gravierenderen, viel konkreteren, weil eindeutig zuordenbaren und gegen Teile des Justizministeriums gerichteten Vorwürfe der Witwe (immerhin eine hochrangige Gerichtspräsidentin) »Pilnacek wurde das Leben genommen«, totgeschwiegen.
Hunderte ähnliche Vorwürfe können auf der Seite orf-watch.at nachgelesen werden.
Es macht absolut fassungslos, dass es den ORF-Redakteuren gelungen ist, sich völlig unabhängig von jedem Vorgesetzten und jedem Gesetz, unabhängig von allen Kunden und Wählern zu einem Über-Ich der Nation aufschwingen zu können. Ihre Stellung ist praktisch unbezwingbar geworden. Als ich vor Jahren mit dem damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz über den Zustand des ORF gesprochen habe, sagt der: »Das macht aber nichts. Ich gewinne ja jedes Interview mit dem Armin Wolf.« Auch wenn das stimmen dürfte, betrifft das ja nur ein Promille der ganzen ORF-Aktivitäten. Aber weder Kurz noch die Parteiobmänner vor oder nach ihm hatten eine professionelle und kritische Beobachtung aller ORF-Inhalte, geschweige denn eine durchdachte ORF-Strategie. Wer nach wirksamen Gegenmaßnahmen sucht, wird in der Theorie nur eine finden: einen absoluten Stopp des Gebührenmonopols. Nur dann wäre die ORF-Schlagseite keine massive Grundrechtsverletzung mehr. Im wirklichen Leben ist dieses Monopol jedoch 2023 von der Regierung massiv ausgeweitet worden.
PS: Kein wirklicher Trost, aber dennoch frappierend ist es, wie sehr die Machtergreifung linker Redakteure auf ihrem Marsch durch die Institutionen auch in vielen anderen Medien stattgefunden hat. Die weltweit größte Aufmerksamkeit hat 2023 der Hinauswurf des für die Meinungsseite verantwortlichen Redakteurs der »New York Times«, James Bennet, ausgelöst. Sein ganzes Delikt war die Veröffentlichung eines Gastkommentars eines republikanischen Abgeordneten mit Inhalten, die – wenig überraschend – einen Gutteil der Redakteure ärgerte. Wer Zugang zum »Economist« hat, sollte dies (» When the New York Times lost its way«, Link: econ.st/3xCX467 ) dort unbedingt lesen. Es ist genau das, was sich in vielen Redaktionen weltweit abspielt.
***
Vorliegender Text wurde am 14. April d.J. auf Andreas Unterbergers Webseite (Das Tagebuch) veröffentlicht. Ein ähnlicher Text von Andreas Unterberger ist auch im »Österreichischen Jahrbuch für Politik 2023« erschienen. Wir danken für die freundliche Genehmigung zum Abdruck. politische-akademie.at andreas-unterberger.at
***
Essay, Fazit 202 (Mai 2024), Foto: Archiv
Kommentare
Antworten