Anzeige
FazitOnline

Fazitthema Arbeitszeitverkürzung

| 13. Mai 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 202, Fazitthema

In Wahlkampfzeiten überschlagen sich die Parteien mit Forderungen nach gerechtem Lohn für Leistung. Die Forderung fällt allerdings auf immer weniger fruchtbaren Boden. Denn die Erde ist verbrannt: In unserer Gesellschaft setzt sich immer mehr die Ansicht durch, dass man auf Leistung verzichten könne. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ein Text von Johannes Roth.

::: Hier im Printlayout online lesen

Rund um den Tag der Arbeit ist er wieder da, der Leistungsgedanke. Schließlich bemüht die Sozialdemokratie auch heute noch gerne den Refrain aus dem Lied der Arbeit, wenn es darum geht, die eine oder andere Masse zu mobilisieren: Die Arbeit hoch! Abseits davon dient der Begriff Arbeit nicht zuletzt durch den Populismus des SPÖ-Parteivorsitzenden derzeit mehr der Folklore: Wer arbeitet, ist irgendwie ein Opfer. Moderne Helden arbeiten so wenig wie möglich und pressen den Umverteilungssystemen und Arbeitgebern dafür so viel wie möglich ab. 38,5 der insgesamt 168 Stunden einer Woche mit Lohnarbeit verbringen zu müssen, wird bereits als Zumutung empfunden.  

Unstrittige Forderung
Darum ist Leistung, die sich lohnt eine Forderung, die so ziemlich jede Ideologie leichten Herzens unterschreiben kann – eine These, die schon nach einer kurzen Überprüfung mittels Google ihre Bestätigung erhält. Hier setzt das rote Momentum-Institut ebenso ein Rufzeichen dahinter wie die konservative Agenda Austria, die WKO ebenso wie die IV, die Freiheitlichen Arbeitnehmer und auch die Grünen: Alle sind voll dafür. Strittig ist lediglich, wie das gelingen soll, denn Arbeit ist nämlich nicht gleich Leistung. Die Konzepte hängen zwar unmittelbar miteinander zusammen, der Unterschied könnte aber fundamentaler nicht sein. Arbeit beschreibt die Menge an Energie, die benötigt wird, um eine bestimmte Aufgabe zu erledigen, und ist damit per se mit Anstrengung für Mensch und Maschine verbunden: Ein permanentes Heraustreten aus der Komfortzone, denn Anstrengung will der Mensch eher vermeiden.

Leistung braucht Energie
Leistung hingegen zielt darauf ab, die Zeit, die gebraucht wird, um eine bestimmte Arbeit zu erledigen, möglichst kurz zu halten. Je kürzer die Zeit, desto größer die Leistung; wer mehr Arbeit in gleicher oder kürzerer Zeit erledigt oder wer im selben Zeitraum mehr Arbeit verrichtet, der leistet mehr. Um das zu erreichen, bedarf es eines gewissen Antriebs. Manche nennen es Ehrgeiz, andere Motivation, jedenfalls ist es die persönliche Bereitschaft, Unbequemes in Kauf zu nehmen, die berühmte Extrameile zu gehen, um etwas zu erreichen. Es ist nicht lange her, da galten die Folgen solchen Bemühens gesellschaftlich als etwas Erstrebenswertes. Etwas mit eigener Hände Arbeit Erschaffenes war besonders wertvoll. Aus eigener Kraft den sozialen Aufstieg geschafft zu haben unterschied die Smarten, Schlauen, Fleißigen von denen, die mit einem silbernen Löffel im Mund geboren waren. Wer abends auf den Tag zurückblickte und darauf verweisen konnte, heute etwas geleistet zu haben, der schlief nicht nur besser, sondern konnte sich in den darauffolgenden Tagen auch etwas leisten. Kurz: Leistung zu erbringen war für die meisten Menschen der Weg in ein erfülltes, sicheres Leben. Das hat sich geändert.

Kein Bock auf Anstrengung
Jedes Jahr befragt das Unternehmen Great Place To Work nach eigenen Angaben mehr als 20 Millionen Mitarbeitende weltweit, um zu definieren, was einen großartigen Arbeitsplatz ausmacht. Die gewonnenen Daten und Umfrageergebnisse verdichten sich zu einem ziemlich scharf gezeichneten Bild davon, wann Arbeitnehmer leistungsbereit sind. In diesem Kontext ist es Great Place To Work auch möglich, Arbeitnehmergruppen treffsicher zu charakterisieren. Zum Beispiel die vielzitierte Gen Z (13 bis 24 Jahre alt), die wie kaum eine andere Generation vor ihr den Wechsel vom Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt verdeutlicht. Eine jüngst publizierte Studie des Unternehmens listet auf, was sich die Gen Z von ihrem Arbeitgeber erwartet: Angemessene Entlohnung natürlich, aber auch wertschätzende Führung mit regelmäßiger Anerkennung guter Leistung ist wichtig. Nicht fehlen dürfen Spaß bei der Arbeit, die sinnstiftend sein muss, wobei sie so gestaltet sein soll, dass die psychische und physische Gesundheit gefördert wird. Das schließt natürlich eine Reihe von Tätigkeiten von vornherein aus. Im Straßenbau zum Beispiel kann man lange nach Spaß bei der Arbeit und gutem Teamgeist suchen. Klima-Ängstliche werden darüber hinaus den Purpose vermissen und sonderlich gesund ist das Applizieren von Asphalt auf stark befahrenen Fahrbahnen auch nicht. Bleibt zu hoffen, dass der durchschnittliche STRABAG-Polier sich wenigstens durch glaubwürdige, wertschätzende Führung auszeichnet und die Bezahlung angemessen ist, ansonsten über kurz oder lang einfach keine Straßen mehr gebaut werden. Weil sich aus der Gen Z für diese und unzählige andere unangenehme, stressige, fordernde Berufe kaum mehr Arbeitskräfte rekrutieren lassen werden.

Gen Z auf Sinnsuche
Auch wenn die zitierte Studie (Mitarbeiterbefragungen von Great Place To Work) sich eher weniger mit Blue-Collar-Worker beschäftigt haben dürfte: Als alarmierendes Ergebnis bleibt die Erkenntnis, dass weniger als die Hälfte (46 %) der Befragten einen Sinn in ihrer Tätigkeit erkennt. Das ist insofern von Bedeutung, als diese Generation besonders gerne den Arbeitsplatz wechselt, wenn sie nicht zufrieden ist. Weitere Forschungsergebnisse des Unternehmens zeigen, dass Arbeitnehmende der Generation Z, die der Meinung sind, dass ihre Arbeit eine besondere Bedeutung hat, mit 1,5-mal so hoher Wahrscheinlichkeit noch lange bei ihrem Unternehmen arbeiten möchten, und sich 1,6-mal stärker am Unternehmenserfolg beteiligt fühlen, ohne dass es einer tatsächlichen monetären Erfolgsbeteiligung bedarf.  Great Place To Work-Österreich-Chef Jörg Spreitzer leitet daraus ab: Sinn- oder Purpose-Maximierung hat eine transformative Wirkung auf das gesamte Unternehmen. Diese Arbeitsplätze ziehen großartige Talente an und entwickeln sie weiter, schaffen florierende und agile Kulturen und fördern so Wachstum und Leistung!

Bedürfnisse berücksichtigen
Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt hilft das nur bedingt. Denn nicht jedes Unternehmen ist für Sinn- oder Purpose-Maximierung geschaffen. Es gibt Arbeiten, die sind ohne Wenn und Aber zu erledigen. Dazu gehören zum Beispiel Fließbandarbeiten – wer an einer Montagelinie steht und ein konventionelles KFZ zusammenbaut, dem wird eine Purposemaximierung genauso schwerfallen wie dem Medienberater, der sein Geld damit verdient, möglichst erfolgreich Display-Ads zu verkaufen. Zum Thema werden die Befindlichkeiten der Jugend jedenfalls für Konzerne, die sich ein eigenes HR-Management leisten. Es ist hoch an der Zeit, dass HR-Manager und Führungskräfte in einer Ära rasanter Veränderungen beginnen, die spezifischen Bedürfnisse und Erwartungen der Generation Z zu verstehen und zu berücksichtigen, fordert also Jörg Spreitzer auch im Hinblick darauf, dass eine der größten Herausforderungen unserer Zeit darin besteht, qualifiziertes Personal nicht nur zu finden, sondern auch zu halten.

Problem Pädagogik
Die Berücksichtigung von Befindlichkeiten ist eine zunehmende Herausforderung vor allem dort, wo es um systemrelevante Arbeitsplätze geht. Also Arbeitsplätze, die mit einem intrinsischen Purpose ausgestattet sind und daher per se sinnstiftend sind. Dazu gehören zum Beispiel Lehrer und Pädagogen. Sie sind eine Berufsgruppe, denen seit jeher ein überdurchschnittliches Engagement nachgesagt wird – das sicher nicht zuletzt dadurch zustande kommt, dass die Arbeit im Bildungsbereich ebenso sinnstiftend ist. Gleichzeitig leidet die Republik seit geraumer Zeit unter einem eklatanten Mangel an vollqualifizierten Lehrkräften: Rund 45 Prozent der Schulleiter in Österreich haben zu wenige Lehrer an ihrer Schule – mit gravierenden Folgen für die Schüler, aber auch für die verbleibenden Lehrkräfte. Diese stöhnen unter dem Mehraufwand und der Flut an Verwaltungstätigkeiten, in der sie untergehen. Dazu kommt die Situation in migrantisch geprägten Gegenden, die den schwindenden Leistungswillen des Lehrpersonals immer weiter verstärkt. Dabei müsste dringend Ersatz geschaffen werden, nur um den natürlichen Abgang zu kompensieren: In den nächsten zehn Jahren werden von den 120.000 Lehrenden die Hälfte in Pension gehen. Diese Stellen nachzubesetzen erweist sich als schwierig – obwohl der Lehrerberuf durchaus seine Vorzüge hat.

Gesundheitsversorgung am Kipppunkt
Noch deutlicher als bei den Lehrern zeigt sich eine Veränderung der Haltung zum Thema Arbeit und Leistung in den Gesundheitsberufen. Auch hier ist das Berufsbild in hohem Maße sinnstiftend – was könnte befriedigender sein, als Menschen dabei zu helfen, gesund zu werden oder zu bleiben? Die Arbeit ist fordernd, aber auch die Entlohnung ist überdurchschnittlich. Trotzdem fehlt Personal an allen Ecken und Enden. Das weiß niemand besser als KAGes-Vorstand Gerhard Stark, der sich berufsbedingt intensiv mit dem Thema Leistung und Arbeit auseinandersetzt. Stark ist letztverantwortlich für rund 18.300 Mitarbeiter, die den Kern der steirischen Gesundheitsversorgung bilden; die KAGes ist größter steirischer Arbeitgeber, die Motivation und Qualifikation der Mitarbeiter ist oft entscheidend über Leben und Tod. Die geänderten gesellschaftlichen und legistischen Rahmenbedingungen machen ihm seine Aufgabe nicht leichter. Beides hänge unmittelbar miteinander zusammen, der Leistungsbegriff werde durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen mitbestimmt – und vice versa, so Stark.  Vor einigen Jahren waren für Ärzte im Krankenhaus noch 60- bis 70-Stunden-Wochen normal. Das ist heute nicht mehr so. Das hat mit der Veränderung in der Gesetzgebung in den Jahren 2014/15 zu tun, wir haben laut Arbeitszeitgesetz heute 48 Stunden, mit Opt-out maximal 55 Stunden im Krankenhaus. Es ist nun so, dass diese Gesetzgebung natürlich auch ein Resultat von Veränderungen in der Gesellschaft ist. Vor 20 Jahren hatte Arbeit noch einen anderen Stellenwert. Heute wird Arbeit ein anderer Wert zugemessen.

Leistung braucht Energie und Zeit
An dieser Stelle zeigt sich, dass Physik und das Leben tatsächlich große Parallelen haben. Wenn nämlich Leistung als Verhältnis von Energie zu einer Zeitspanne, in der diese Energie umgesetzt wird, definiert wird, dann wird klar: Wenn die Arbeitszeit sinkt, muss der Leistungsdruck steigen. Gerhard Stark bestätigt das: Mit der Verkürzung der Arbeitszeit geht auch eine Verdichtung dieser verkürzten Arbeitszeit einher. Denn die Arbeit wird ja nicht weniger und wenn weniger Stunden zur Verfügung stehen, dann muss dieselbe Arbeit eben in kürzerer Zeit verrichtet werden. Das Teilzeitphänomen ist unter anderem eine direkte Folge dieser Belastung, auf die die Gesellschaft offenbar auch mit einer Erhöhung der Teilzeitquote reagiert hat. Und die ist mittlerweile tatsächlich ein Problem geworden, nicht nur in der Gesundheitsversorgung, sondern quer über alle Branchen hinweg. Das Phänomen wird zusätzlich von einem Staat beflügelt, der, wie Franz Schellhorn von der Agenda Austria es ausdrückt, dieWork-Life-Balance allzu großzügig subventioniere. Das hat natürlich auch gravierende Folgen für den Sozialstaat. Die Produktivität je Beschäftigten wächst seit zehn Jahren nicht mehr. Weil immer mehr Menschen immer weniger arbeiten. Das hat auch, aber nicht nur mit der fehlenden Kinderbetreuung zu tun. Wäre das der einzige Grund, hätte die Stadt Wien nicht die niedrigste Frauenerwerbsquote im Land, sondern die höchste. Fast die Hälfte aller Frauen über 45 ohne Betreuungspflichten arbeitet Teilzeit, auch immer mehr Männer reduzieren ihre Stundenzahl. Weil sie es sich leisten können. Das zeige auch die Mikrozensuserhebung der Statistik Austria. Nur 15 Prozent der Teilzeitbeschäftigten würden gerne Arbeitsstunden aufstocken. 85 Prozent wollen das nicht, während unter den Vollzeitbeschäftigten jeder Fünfte gerne weniger arbeiten würde.

Populismus fördert Belastung
In diesem Kontext klingt die sozialdemokratische Zeitgeistforderung nach einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich – weil ja die Produktivität in den vergangenen Jahrzehnten so enorm gestiegen sei – absurd. SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler sieht das anders. In einem Interview begründete er die Forderung unter anderem damit, dass dies „eine Frage des Respektes gegenüber arbeitenden Menschen“ sei. Dass diese Absage an die Leistungsgesellschaft naturgemäß von liberaler und konservativer Seite heftig kritisiert wird, liegt auf der Hand. Denn das Argument, dass auch gesamtgesellschaftlich gesehen die gleiche Menge Arbeit in kürzerer Zeit verrichtet zu höherer Belastung führt, ist ebenso wenig zu widerlegen, wie es von der SPÖ schlicht nicht zur Kenntnis genommen wird.

Belastung steigt
Wer hingegen Praktikern wie KAGes-Vorstand Gerhard Stark zuhört, der ahnt, dass sich das nicht ausgehen wird. An welcher Schraube man auch dreht, über das Entstehen einer Arbeitsverdichtung lässt sich kaum mehr streiten. Man konnte bis vor einiger Zeit darauf reagieren, indem man den Personalstand erhöht. Das ist nun bedingt durch den demografischen Wandel nicht mehr möglich. Klar ist, dass die Leistungsverdichtung zu einer erhöhten Belastung wird. Es ist ganz schön zu sagen, ihr müsst weniger arbeiten im Sinne von ihr müsst kürzer arbeiten, aber wichtige Fragen bleiben dann unbeantwortet. So muss man sich zum Beispiel die Frage stellen: Was hält ein Mensch aus? Denn die Belastung steigt ja, wenn eine Gesellschaft oder ein Individuum immer weniger Stunden für die gleiche Arbeitsmenge zur Verfügung hat. Zieht man ins Kalkül, dass den Arbeitgebern also gar nicht anderes mehr übrigbleiben wird, als ihre Arbeitnehmer bis an die Belastungsgrenzen zu bringen, wird man sich die Frage stellen müssen, was es kosten wird, will man den Leistungswillen dennoch aufrechterhalten. Für viele Unternehmer aber kommen diese Überlegungen zu spät. Wenn die Menschen keine Veranlassung mehr sehen, die Arbeit als Wert hochzuhalten, wird es schnell für manche Branchen sehr eng. Eine davon sind naturgemäß die Personalbereitsteller, wie der Villacher Unternehmer David Krall, über dessen DPG Personalbeistellung GmbH kürzlich ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Begründung laut Krall: Die Leute wollen einfach nicht mehr arbeiten.

Fachkräftemangel als Managementfehler
Das ist auch im Tourismus ein Problem. Einer aktuellen Studie des Beratungsunternehmens EY (Beschäftigung und Fachkräftemangel in Österreich 2024) zufolge gehört der Tourismus neben den Branchen Gesundheit/Life Science und Industrie zu denen, die am meisten mit Rekrutierungsschwierigkeiten zu kämpfen haben. 60 Prozent der befragten Touristiker gaben an, geeignetes Personal nur sehr schwer zu finden, 27 Prozent finden eher schwer Fachkräfte. Philip Borckenstein-Quirini, Geschäftsführer der Therme Loipersdorf, hat als Vollblut-Touristiker aber eine differenzierte Meinung zum Fachkräftemangel. Zunächst einmal müsse man zwischen Ganzjahresbetrieben und Saisonbetrieben unterscheiden. Als Arbeitgeber ist die Therme Loipersdorf (210 Mitarbeitern ganzjährig) in einer glücklichen Position. Unser Standort bietet, neben der sicherlich praktischen Lage nahe Ungarn und Slowenien, attraktive Karrieremöglichkeiten innerhalb unserer Einrichtungen. Viele unserer Mitarbeiter ziehen eine Arbeitsstelle ‚am Land‘ dem Pendeln vor. Dies stellt einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen, entlegeneren Gegenden dar. Wir haben das Glück, alle Stellen voll besetzt zu haben, und suchen lediglich Ersatz für natürliche Fluktuationen. Hinsichtlich der Ansprüche habe sich sicherlich viel verändert, so Borckenstein-Quirini. Es ist jedoch unsere Aufgabe, diesen Wandel positiv zu gestalten und als Vorbild zu agieren. Ich persönlich sehe diese Entwicklung als eine Gelegenheit zur Selbstverbesserung und nicht als Kritik an jüngeren Generationen.

Fachkräftemangel als Managementfehler
Dass es anderen Betrieben nicht so gut gehe, liege oft am Management, aber auch an den Umständen. Natürlich haben jetzt etliche Skigebiete ein Riesenproblem mit den Saisonbetrieben. Die fangen jedes Jahr von Neuem an und das oft zweimal. Diesen Nachteil haben wir als Ganzjahresbetrieb nicht. Wenn du bei uns beschäftigt bist, dann musst du nicht wie auf Saison 60, 70 Stunden die Woche ‚hakln‘, sondern du hast konstant deine, plus-minus 40 Stunden. Grundsätzlich sei Personalmanagement auch Aufbauarbeit, er selbst habe sieben Jahre gebraucht, um sich genau das Team aufzubauen, mit dem er gerne arbeite. Wenn man allerdings zu tief im Operativen versinke, dann könne man schnell den Fokus verlieren – und dann wird die Situation sehr schnell komplex. In Loipersdorf jedenfalls gäbe es nur die natürliche Fluktuation, sicher auch den Arbeitsbedingungen und Benefits geschuldet: übertarifliche Bezahlung und elektronische Zeiterfassung.

Komplexes Prozessmanagement
In den Gesundheitsberufen ist es damit nicht getan. Denn die Belastung ist dort bereits überproportional. Wie also soll ein Arbeitgeber wie die KAGes darauf reagieren, wenn die üblichen Rezepte – mehr Geld und Personal – an ihre natürlichen Grenzen stoßen? Man optimiert Prozesse, man steigert die Effizienz, kurz man tut alles, um eine Nivellierung der Belastung zu erreichen. Eine von vielen Maßnahmen, die eben das bewirken sollen, ist, dass man immer mehr Menschen in tagesklinische Versorgung bringt. Das ist aufgrund des medizinischen Fortschritts heute gut möglich, sagt Gerhard Stark. Unterm Strich bleibe jedoch, dass die Demografie nicht nur den Fachkräftemangel an sich, sondern auch die Veränderung in der Haltung zur Arbeit verstärke. Stark: Die Baby-Boomer-Generation, also die 1965er- bis 1968er-Jahrgänge, die hat um Arbeitsplätze noch ringen müssen. Heute sucht der Arbeitsplatz seinen Beschäftigten, nicht mehr umgekehrt. Man reagiert darauf, indem man unter anderem Arbeitszeiten flexibler gestaltet, Gehälter adaptiert und zum Beispiel, zusätzlich auf Fortbildung und Weiterbildung und neue Karrierewege setzt.

Demografie macht es schlimmer
Ein Licht am Ende des Tunnels sieht der Vorstandsvorsitzende des größten steirischen Arbeitgebers nicht. Mittelfristig wird sich wenig ändern: Die geburtenreichsten Jahrgänge waren zwischen den 1950 und 1968 – die gehen zum Großteil aber alle erst in Pension. Das heißt, wir werden noch mindestens fünf Jahre lang eine Zuspitzung der Situation erleben. Auch das derzeitige Verhältnis von Geburten und Sterbefällen ist eine Negativentwicklung. Das heißt: In der langfristigen Perspektive wird es ohne Zuwanderung nicht gehen, aber auch Zuwanderung kann nicht alles regeln. Entspannung kann es nur geben, wenn die Arbeitswelt insgesamt anders gestaltet wird. Dazu gehört, dass Arbeit in unserer Gesellschaft wieder anders bewertet werden muss.

Fazitthema Fazit 202 (Mai 2024), Foto: Josh Olalde

Kommentare

Antworten