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Frau, russische Oppositionelle und Künstlerin

| 13. Mai 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 202, Kunst und Kultur

Foto: Anna Jermolaewa

Bei der Biennale von Venedig wird heuer Anna Jermolaewa Österreich vertreten. Die politische Konzeptkünstlerin wird den Nationalpavillon bei der großen Weltkulturschau bespielen. Kuratorin ist die Kunsthistorikerin Gabriele Spindler.

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Geballte Frauenpower also und wider die Vormachtstellung der alten weißen Männer im Kulturbetrieb! Das bestätigt auch die Auswahl der Jurymitglieder, die für die Entscheidung verantwortlich zeichnen. Denn seit 2021 wird der Beitrag für die Biennale im Rahmen eines sogenannten »offenen Wettbewerbs« gesucht und gefunden. Die eingereichten Projekte der eingeladenen Kuratorinnen und Künstler werden in einem dreistufigen Auswahlverfahren einer Fachjury vorgelegt. Dem diesjährigen Gremium gehörten Lentos-Direktorin Hemma Schmutz, Felicitas Thun-Hohenstein, die Kuratorin des Biennale-Beitrags 2019, Mumok-Direktorin Karola Kraus, Dorit Margreiter, Professorin an der Akademie der bildenden Künste, sowie Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, an. Keck wäre natürlich eine Entscheidung für einen »männlich gelesenen« Künstler gewesen. Jedoch fiel die Wahl auf die in Russland geborene Jermolaewa … und objektiv gesehen ist das eine ausgesprochen gute Entscheidung. Jedoch schade eigentlich, dass gerade ihre künstlerische Tätigkeit sich über die momentan brüllendsten modischen Nebengeräusche definieren muss. Dass es sich bei Künstlerin, Kuratorin sowie der Fachjury nur (!) um Frauen handelt, sei allerdings kein bewusstes Statement, so Staatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) vor einiger Zeit in einer Aussendung. Wahrscheinlich Zufall, sozusagen.

Alles nur gemeinsam!
Die Entscheidung über die Nominierung des Siegerprojekts wie auch der Kuratierung erfolgte durch die Jury und der Staatssekretärin gemeinsam, wurde nachhältigst und mehrmals betont. Zudem eröffnet Mayer den Pavillon auch noch in Venedig, Kulturminister Kogler hält sich galant zurück. Viel mehr »Frau« geht nicht. Das Budget für den österreichischen Beitrag wurde im Übrigen von 460.000 Euro (2021) auf 550.000 Euro erhöht. Aber es soll nicht immer nur um Geld gehen. Lasst die Kunst sprechen und vor allem die künstlerische Praxis Jermolaewas: In ihren politischen Arbeiten verarbeitet die Konzeptkünstlerin Geschichten des menschlichen Zusammenlebens und sozialkritische Themen in Fotografien, Filmen, Zeichnungen und Installationen. Ihre Werke befinden sich in zahlreichen Sammlungen österreichischer und internationaler Institutionen, darunter das Mumok und das Belvedere in Wien sowie das Stedelijk Museum in Amsterdam.

Safari der Solidarität
Vergangenes Jahr zeigte das Wiener Mak die Ausstellung Tschernobyl Safari, mit der sich Jermolaewa mit der Ukraine solidarisierte und mit verkauften Editionen Spendengelder sammelte. Für das Fotoprojekt hatte sie das ukrainische Tschernobyl besucht und die in das verseuchte Gebiet zurückgekehrte Tierwelt dokumentiert. Die 53-Jährige engagiert sich für Geflüchtete aus der Ukraine, gilt als wichtige Integrationsfigur in der österreichischen Kunstszene und übte bereits vor dem Angriffskrieg scharfe Kritik am russischen Regime. Jermolaewa wurde 1970 in St. Petersburg geboren und floh mit 19 Jahren als politische Dissidentin aus der Sowjetunion über Polen nach Österreich. Dort erhielt sie politisches Asyl und lebt seit 1989 in Wien, wo sie bei Peter Kogler an der Akademie der bildenden Künste studierte. 2006 bis 2011 war sie Professorin für Medienkunst am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe.

Drehpunkte usw.
Staatssekretärin Mayer betonte bei der Präsentation, wie wichtig es sei, dass Österreich mit einem starken Beitrag auf der Biennale vertreten ist, denn »… es handelt sich um einen der wichtigsten internationalen Drehpunkte bildender Kunst.« Und der Jurybegründung entnehmen wir Folgendes: »Das künstlerische Werk von Anna Jermolaewa zeichnet sich durch genaue Beobachtungsgabe, gesellschaftspolitisches Interesse, konzeptuell-serielle Verfahrensweisen, Leichtfüßigkeit und Witz aus.«

Es wird jedenfalls spannend
Die Künstlerin selbst sieht das weitaus pragmatischer und spielt die Konnotate (Frau, Russland etc.), die wohl bei der Entscheidungsfindung eine kitzikleine Rolle gespielt haben dürften, herunter. »Für mich bedeutet die Nominierung, Österreich bei der Biennale Venedig 2024 zu vertreten, eine unglaubliche Ehre und Verantwortung. Im Jahr 1989 kam ich als politischer Flüchtling aus der Sowjetunion nach Österreich, das zu meiner Heimat wurde. Meine Arbeit basiert auf Konzepten und Installationen, die das Soziale und Politische, den Humor und den Ernst des Menschseins in der Gesellschaft sowie die Poetik des Alltäglichen berühren«, so Jermolaewa bei der Verkündung. Es wird wieder spannend. Auch sonst so in der überlaufenen Lagunenstadt, denn »alle Städte sind gleich, nur Venedig ist ein biss’l anders«, um mit Friedrich Torberg zu sprechen. Die 60. Kunstbiennale findet von 20. April bis 24. November 2024 in Venedig statt.

Biennale von Venedig 2024
»Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere – Überall Fremde«
20.4.–24.11.2024, labiennale.org

Alles Kultur, Fazit 202 (Mai 2024), Foto: Anna Jermolaewa

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