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Politicks Mai 2024

| 13. Mai 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 202, Politicks

Kopf an Kopf in der Steiermark
Sowohl ÖVP, als auch SPÖ und FPÖ sprechen in Bezug auf die Steirische Landtagswahl von einem Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz eins. Und die Umfragen bestätigen das auch. M-Research sieht die SPÖ knapp vor FPÖ und ÖVP, Market und OGM sehen die FPÖ knapp vor SPÖ und ÖVP. Bei M&R liegt die ÖVP vor FPÖ und SPÖ.

Aus heutiger Sicht wird das bundespolitische Momentum nach der Nationalratswahl die steirische Landtagswahl wohl mindestens so stark beeinflussen wie Landesthemen, Intensivwahlkampf und die jeweiligen Mobilisierungskampagnen. Der zu erwartende Absturz der ÖVP bei der Nationalratswahl wird es für Amtsinhaber Christopher Drexler nicht einfacher machen, den Landeshauptmann zu verteidigen. Obwohl ihm von vielen Seiten dazu geraten wird, sich stärker von Bundeskanzler Karl Nehammer abzugrenzen, verweigert Drexler jegliche Form der Illoyalität. Derzeit dominieren zwar überregionale Themen wie die Teuerung und die Migration die Politikwahrnehmung, es könnte aber durchaus sein, dass sich das mit der Nationalratswahl ändert, weil die Wähler einfach genug davon haben. Dann würde Drexler auch mit seinen landesspezifischen Themen, wie dem Leitspital im Bezirk Liezen oder dem Erhalt der flächendeckenden 24/7-Notfallmedizin-Versorgung mit »Steirerambulanzen«, besser durchdringen. Noch vor dem Sommer wird die Landesregierung ein weiteres Wohnpaket präsentieren. Drexlers Ziel sind leistbare Mieten und die Möglichkeit für junge Menschen, sich wieder Wohneigentum zu schaffen. Außerdem ist es dem Landeshauptmann gelungen, den Ausbau der A9 bzw. eines Koralm-Bahnhofs beim Flughafen Graz auf die politische Agenda zu setzen. Aber auch die sinkende Wettbewerbsfähigkeit einiger großer steirischer Industrieunternehmen könnte noch vor der Landtagswahl schmerzhaft mitten unter den Wählern aufschlagen. Die abstürzende Attraktivität von Graz als Handels- und Wirtschaftsstandort ist zwar der Politik der kommunistisch-grünen Stadtregierung geschuldet, belastet aber natürlich auch die Landespolitik. Um seine Wirtschaftskompetenz zu untermauern, muss sich Drexler in den kommenden Monaten wohl deutlich stärker als Manager an der Spitze des Landes positionieren.

Für die SPÖ spricht der Umstand, dass LH-Vize Anton Lang im Gegensatz zu seinem Bundesparteivorsitzenden auch bei bürgerlichen Wählerschichten recht gut ankommt. Ob die steirische SPÖ-Kampagne kompakt genug sein wird, um den erwartbaren Babler-Absturz bei der Nationalratswahl aufzufangen, bleibt abzuwarten. Die wenig zugespitzten steirischen SPÖ-Botschaften scheinen eher darauf ausgerichtet zu sein, niemanden von der Wahl der SPÖ abhalten zu wollen, als mit markanten linkspopulistischen Botschaften bei Kommunisten und Grünen zu wildern. Lang hat zweifellos Erfolge beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs erzielt. Als Regierungspartner der ÖVP hat die SPÖ natürlich auch an allen anderen Beschlüssen der Landesregierung ihren Anteil. Aber die werden von den Wählern beim Landeshauptmann verortet und nicht beim Vize.

Am bequemsten hat es trotz der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, sein Haus in Fernitz nicht selbst bezahlt zu haben, der steirische FPÖ-Chef Mario Kunasek. Er wird wohl Herbert Kickls Nationalratswahlkampagne mit den Themen Corona, Teuerung und Migration fortsetzen und darf darauf warten, ob der Bundespräsident einem etwaigen Nationalratswahlsieger Herbert Kickl tatsächlich den Regierungsbildungsauftrag verweigert. Denn dann wäre die Empörung im FPÖ-affinen Lager zu Recht riesig. Und mit »Alle gegen uns« würde Mario Kunasek die Landtagswahl dann wohl gewinnen. Wie Herbert Kickl gefällt sich auch Kunasek als »Underdog«, den das System an den sozialen Rand der Gesellschaft zu stellen versucht. Mit »Alle gegen uns« kann er die Proteststimmen aus allen Gesellschaftsschichten abschöpfen.

Umfragekaiser FPÖ – von der Unterdeklaration zur Überdeklaration
Meinungsumfragen sind ein komplexes Thema. So kann ihre Veröffentlichung das tatsächliche Wahlverhalten beeinflussen, denn viele Menschen gehören am Wahlabend lieber zu den Wahlgewinnern als zu den Wahlverlierern und tendieren daher in der Wahlzelle zur Partei, die gerade bei den Umfragen vorne liegt. Außerdem beeinflusst die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen auch die Mobilisierungskraft der Parteien, die ihre Klientel und ihr Stammpublikum mit großem Einsatz zur Stimmabgabe motivieren wollen. Die Parteien präferieren daher Umfrageergebnisse, die sie knapp über den von den Politikanalysten erwarteten Werten ausweisen. Zu gut sollen die Umfragen nämlich auch nicht ausfallen, weil das die Stammwähler demobilisieren könnte.

In der Vergangenheit waren die Umfragewerte für die FPÖ und die Grünen häufig unrichtig. Die FPÖ schnitt bei Wahlen sehr oft deutlich besser ab, als kurz zuvor vorhergesagt. Die Grünen kamen hingegen oft nicht an die prognostizierten Werte heran. Um realistischere Umfrageergebnisse zu erzielen, mussten die Demoskopen daher die Rohdaten für FPÖ aufwerten, um die Unterdeklaration der Befragten auszugleichen. Die Werte für die Grünen mussten hingegen abgewertet werden. Solche Aufund Abwertungsfaktoren wurden für alle Parteien ermittelt und ergaben sich aus den geglätteten Abweichungen zwischen den abgefragten und tatsächlichen Ergebnissen der letzten Wahlgänge.

Weil sich auch dadurch mitunter keine richtigen Prognosen erzielen lassen, wird die Unter- und Überdeklaration inzwischen ausgeglichen, indem die Prognoseergebnisse für eine Partei mit der Wahrscheinlichkeit der sich zu ihr Bekennenden gewichtet werden, überhaupt an der Wahl teilzunehmen. Dabei wurde folgende Entwicklung festgestellt: Seit einigen Jahren steigt der Anteil der Wählerinnen und Wähler, die sich zur FPÖ bekennen und ganz sicher an der Wahl teilnehmen wollen. Bei anderen Parteien steigt hingegen der Anteil jener, die nur »wahrscheinlich« oder »vielleicht« an der Wahl teilnehmen werden. Das Phänomen der Unterdeklaration zur FPÖ hat sich damit zu einer Überdeklaration gewandelt. Bei Umfragen geben also inzwischen mehr Wähler an, die FPÖ wählen zu wollen, als das dann tatsächlich tun.

Die FPÖ punktet mit »Alle gegen uns«
Die FPÖ-Wähler haben auf einmal keine Angst mehr vor dem Schmuddel-Image ihrer Partei als angeblich Rechtsradikale. Wie es dazu kommen konnte, findet man am besten heraus, wenn man einmal an einer großen FPÖ-Veranstaltung teilnimmt. Die laufen alle nach dem gleichen erfolgversprechenden Muster ab. Zuerst heizt die John-Otti-Band den mit Bussen angereisten Anhängern aus den Orts- und Bezirksgruppen mit unglaublich lauter, basslastiger Ballermann-Musik ein und bringt damit die Stimmung zum Kochen. Danach folgen zwei bis drei aufstrebende FPÖ-Politiker als Einpeitscher und zum Schluss spricht der »Volkskanzler« Herbert Kickl. Bei sämtlichen Reden geht es ausschließlich um das Thema »Alle gegen uns«. Im Mittelpunkt stehen dabei der sogenannte »Impfzwang«, die illegale Massenzuwanderung seit 2015, die anhand besonders bestialischer Verbrechen von Migranten ausgebreitet wird. Zum »Alle gegen uns« gehört natürlich auch die ungerechte Behandlung der FPÖ in den »Systemmedien« – damit dürften alle, außer den FPÖ-eigenen Social-Media-Kanälen, dem Propagandakanal »FPÖ-TV« und dem Fellner-Fernsehen »OE24-TV« gemeint sein, das FPÖ-Anhängern wie Gerald Grosz oder Peter Westenthaler regelmäßig überproportional viel Sendezeit einräumt. Völlig egal ob es sich um das FPÖ-Neujahrstreffen, um den „politischen Aschermittwoch“ oder um große FPÖ-Wahlkampfveranstaltungen handelt – das Prinzip »Alle gegen uns« funktioniert umso besser, je hysterischer sich die anderen Parteien von der Kickl-FPÖ“ distanzieren und diese als rechtsextrem diffamieren. „Alle gegen uns“ wird über die Social-Media-Kanäle – das sind die Stammtische des digitalen Zeitalters – meist kritik- und widerspruchslos in den Bubbles von Millionen österreichischen Handy- und Computer-Usern verteilt.

Auch die Themenkonjunktur spielt der FPÖ in die Hände
Der Politikberater Thomas Hofer sieht weitere Gründe dafür, dass sich die Unterdeklaration zur FPÖ in eine Überdeklaration gewandelt hat. So spiele der FPÖ natürlich auch die Themenkonjunktur (Teuerung, Krieg, Migration und Corona) in die Hände. »Die Leute haben das Gefühl, dass viele denken wie man selbst, was zu einem größeren Selbstbewusstsein und damit einer höheren Deklarationsbereitschaft führt«, erklärt Hofer im »Standard«. Auch die guten FPÖ-Umfragewerte steigern die Bekennerquote unter jenen, die zu den Wahlsiegern gehören wollen. Außerdem schneidet die FPÖ bei den immer häufiger werdenden anonymen Onlineumfragen tendenziell besser ab als bei persönlich geführten Telefoninterviews.

Bei den Wahlumfragen im Superwahljahr 2024 liegt die FPÖ bereits so weit voran, dass ihr der Sieg auch dann nicht zu nehmen sein dürfte, wenn sie um ein bis zwei Punkte schlechter abschneidet als abgefragt. Das gilt sowohl für die Europa- als auch für die Nationalratswahl. Ohne weiteren »Ibiza-Moment« wird Herbert Kickl mit seiner FPÖ bei diesen Wahlgängen wohl als Erster durchs Ziel gehen.

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Politicks, Fazit 202 (Mai 2024)

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