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Außenansicht (53)

| 6. Juni 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 203

Das europäische Parlament. Teuerste Politshow der Welt. Ganze 720 Abgeordnete werden in das EU-Parlament gewählt, 20 davon aus Österreich. Othmar Karas, der es bis zum ersten Vizepräsidenten dieses Parlaments geschafft hatte, verabschiedete sich vor ein paar Wochen von den Abgeordneten und will nicht mehr kandidieren. Er wird gerne als der erfolgreichste und einflussreichste Österreicher im Vergleich zu den anderen Abgeordneten im EU-Parlament hervorgehoben. Seine ewig mahnenden Worte vermitteln allerdings eine inhaltliche Leere, die nur mehr in Richtung eines möglichen letzten Karrieresprungs seines politischen Lebens verstanden werden könnte – Bundespräsident von Österreich.

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Weniger seine Abschiedsrede beeindruckte den aufmerksamen Beobachter und Zuhörer, eher der Hinter- und Vordergrund seines Auftritts. Als die Kamera ihm folgte, er vom Eingang des Parlaments zum Podium schritt, um dort das Mikrophon zurechtzurücken, zeigt das Bild kurz das Plenum. Es war völlig leer. Kaum jemand hatte Interesse, seine Worte des Abschieds zu hören. Ein durchaus übliches Schicksal österreichischer Vertreter, wenn sie im Parlament sprechen, egal welche Position sie repräsentieren. In dem riesigen Saal reihen sich leere Sitzreihen aneinander und die wenigen Anwesenden warten geduldig, bis sie ihre Rede halten dürfen. Einfach nur zuhören, das sind die Ausnahmen.

Die zugeteilte Redezeit für Abgeordnete liegt zwischen einer und drei Minuten. Die Begrüßung des Präsidenten, der Kollegen und Kolleginnen zu Beginn einer einminütigen Rede verschlingt gut ein Viertel der gesamten Redezeit. Das EU-Parlament ist wie ein dickflüssiger, zäher Sumpf, in dem alle irgendwann einmal versinken. TV-Star Eugen Freund verschwand dort unerkannt im Dickicht, auch von anderen heimatlichen Kandidaten und Kandidatinnen, die mit großem Aufwand vor den EU-Wahlen von den Parteien präsentiert wurden, hörte man nie wieder etwas. Auch ich verschwand trotz des Wirbels, den meine Kandidatur einst in Österreich auslöste, und erreichte nur die Aufmerksamkeit der Medien, wenn es innenpolitische Bedeutung hatte.

Alles in Brüssel ist zu groß, zu kompliziert, zu bürokratisch und zu langwierig. Entscheidungen werden letztendlich durch die großen Fraktionen beeinflusst, in denen wiederum nur die großen Länder der EU Entscheidungen beeinflussen können. Der Nachrichtenteil heimatlicher Medien beschäftigt sich kaum mit Entscheidungen des EU-Parlaments, höchstens mit jenen der EU-Kommission und des Rates.

Dazu kommt der ewige Konflikt zwischen nationaler und europäischer Verantwortung, der die Vertreter im Parlament in einen ausweglosen Konflikt drängt. Entweder man wirft ihnen vor, die nationalen Interessen nicht entsprechend zu vertreten, oder sie werden kritisiert, den europäischen Gedanken nicht genügend zu unterstützen. Sitzen sie dort als Stimme des Landes, das sie entsendet, oder als Interessenvertreter der europäischen Einheit? Was ist wichtiger, was hat Vorrang?

Parteien werden bei EU-Wahlen nicht aufgrund der Ideen, Programme und Leistungen ihrer Abgeordneten in Brüssel bewertet und gewählt. EU-Wahlen sind Hinweise auf die aktuelle Popularität im Inland, Abmahnung oder Lob für die nationale, nicht die europäische Performance. Was für eine Zerrissenheit. Der oder die EU-Abgeordnete wird gewählt oder nicht gewählt, je nachdem wie die Partei im Inland beurteilt wird, und soll in Brüssel im Sinne der europäischen Idee Entscheidungen fällen – die dann niemanden in der Heimat interessieren. Doch es gibt andere Vorteile. Man erreicht zum Beispiel Paris mit dem Zug in zwei Stunden, könnte sich am Morgen in die Anwesenheitsliste im Parlament eintragen, genießt das Mittagessen in Paris, geht am Nachmittag spazieren und ist abends wieder in Brüssel. Die wunderbaren Städte Bruges, Ghent und Dinant sind mit Tagesausflügen erreichbar.

Der gigantische Apparat des EU-Parlaments könnte jedoch eine wichtige Verantwortung in Bezug auf die Regierbarkeit der EU übernehmen. Doch die Mitgliedsländern, die Kommissare entsenden, haben wenig Interesse, das Parlament zu stärken. So lange jedes Land durch ein Mitglied in der Kommission vertreten ist, kann das EU-Parlament keine EU-Regierung wählen, die den demokratischen Mehrheitsverhältnissen der EU entsprechen würde.

Außenansicht #54, Fazit 203 (Juni 2024)

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