Politicks Juni 2024
Johannes Tandl | 6. Juni 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 203, Politicks
Drexler kann trotz Gegenwind gewinnen
Der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler hat weiterhin mit starkem bundespolitischem Gegenwind zu kämpfen. Der Aufbau eines echten LH-Bonus blieb ihm angesichts der komplexen Themenlage – von Corona über die Teuerung bis zur Wirtschaftskrise – bisher verwehrt. Doch es ist noch lange nicht zu spät, das Ruder in seinem Sinne herumzureißen.
Sowohl die Stadiondiskussion als auch die Forderung nach einem dreispurigen A9-Ausbau und einem Koralmbahnhof beim Grazer Flughafen werden von vielen Wählerinnen und Wählern als relevant wahrgenommen und zahlen beim Ersten ein. Spätestens wenn der SK-Sturm im Herbst seine Champions-League-Heimspiele in Klagenfurt und der TSV Hartberg wahrscheinlich in Linz austragen muss, werden Hundertausende steirische Fußballfans Drexlers Überzeugung von einem Nationalstadion im Grazer Süden teilen.
Vor allem bei der Leitspitalsdiskussion hat der Landeshauptmann bessere Karten, als man angesichts der aufgeschaukelten Diskussion vermuten würde. Denn immer mehr Bewohnern des Bezirkes Liezen ist inzwischen klar, dass die bestehenden drei Krankenhäuser angesichts der geringen Fallzahlen und der Personalprobleme nur mehr für die allernotwendigste Versorgung aufrechterhalten werden können. Die Bevölkerung hat sich bei einer Volksbefragung zwar mit 67 Prozent der Teilnehmenden gegen das Leitspital ausgesprochen, bei genauerer Betrachtung waren das aber nur 28 Prozent der Wahlberechtigten.
Zudem kann das steirische Wohnpaket, das mit 1. September in Kraft treten wird, aufgrund des Fokus, den die Regierung auf Eigentumsbildung und Sanierung von Wohneigentum legt, dem Landeshauptmann nützen. Dazu kommt der Umstand, dass die ÖVP bei allen größeren Wahlen der letzten beiden Jahre deutlich besser abgeschnitten hat als in den Umfragen. Zuletzt sah eine Umfrage der Kleinen Zeitung zur Landtagswahl die FPÖ deutlich vor ÖVP und SPÖ. Doch die FPÖ gewann zuletzt eben nur in den Umfragen. Außerdem dürfte die steirische FPÖ angesichts neuer Entwicklungen in der FPÖ-Finanz-affäre – Stichwort Würstelstandgate – vor neuen Problemen stehen. Und in der Wählergunst kann es bekanntlich schnell nach unten gehen. Aber nur wenn die Vorwürfe nachvollziehbar und nicht aus der Luft gegriffen erscheinen. Wie schnell, sieht man gerade bei der grünen EU-Spitzenkandidatin.
Worum geht es eigentlich bei der Europawahl?
Bei der Europawahl am 9. Juni sollten weder die Verbesserung der Ausgangsposition für die Nationalratswahl noch die Abrechnung mit der unbeliebten schwarzgrünen Bundesregierung als Wahlmotiv herhalten müssen. Es geht darum, welche gemeinsamen Wege die EU-Mitgliedsstaaten in den kommenden fünf Jahren beschreiten werden und welche EU-Richtlinien danach von den nationalen Parlamenten, Landtagen und Regierungen als Gesetze und Verordnungen beschlossen werden müssen.
Das Europäische Parlament (EP) war lange Zeit nur das demokratische Feigenblatt der supranational aufgestellten EU, in dem die Beschlüsse des Rates abgenickt wurden. Doch das ist längst vorbei. Das EP teilt sich die Gesetzgebungskompetenz mit dem Rat der Staats- und Regierungschefs und ist zum zentralen Gestalter der europäischen Politik geworden. Denn das EP muss allen Verordnungen und Richtlinien zustimmen. Außerdem wählt das Parlament die Kommission. Durch diese Befugnisse nimmt es die zentrale Rolle im institutionellen Gefüge der EU ein.
Trotzdem gibt es deutliche Unterschiede zu den meisten nationalen Parlamenten. Im EP gibt es nämlich keine traditionellen Regierungs- und Oppositionsfraktionen. Derzeit ist das Europäische Parlament in sieben politische Fraktionen unterteilt, die sich aus mindestens 23 Abgeordneten aus mindestens sieben Mitgliedstaaten zusammensetzen müssen. Die Fraktionen basieren auf gemeinsamen politischen Überzeugungen und Ideologien. Nach der letzten Wahl bildete die Europäische Volkspartei (EVP) mit 176 der 705 EU-Parlamentarier die größte Fraktion. Ihr gehören die meisten konservativen und christdemokratischen Parteien Europas, darunter auch die ÖVP, an. Mit 144 Abgeordneten bildet die Progressive Allianz der Sozialisten und Demokraten (S&D) die zweitgrößte Fraktion. Zu ihr gehört die SPÖ. Danach folgt mit 105 Abgeordneten Renew Europe (RE), welche die liberalen und zentristischen Parteien, darunter die Neos, umfasst. Die Grünen gehören zur Fraktion Grüne/EFA und die FPÖ gemeinsam mit anderen europäischen rechtpopulistischen Parteien zu Identität und Demokratie (ID). Da die Europäische Union keine klassische Regierung im Sinne eines Nationalstaates hat, gibt es im Parlament auch keine feste Regierungskoalition. Die Europäische Kommission wird zwar vom Parlament gewählt und kann von diesem durch ein Misstrauensvotum abgesetzt werden, jedoch werden die Kommissare von den Mitgliedstaaten und nicht vom EP nominiert.
Trotz der EVP-Suspendierung der mittlerweile fraktionslosen ungarischen Fidesz – der Orban-Partei – dürfte die EVP nach europaweiten Umfragen dazugewinnen. Ebenfalls zu den Gewinnern dürfte die rechtspopulistische ID zählen. Deutlich verlieren dürften hingegen die Europäischen Grünen und die zentristischen Liberalen von Renew Europe.
Der Pandemievertrag als Schwurbler-Reibebaum
Während sich die meisten Länder der Welt darin einig sind, dass es besser sei, bei der Bekämpfung zukünftiger Pandemien und der Entwicklung und Verteilung von Impfstoffen gemeinsam vorzugehen, sehen die FPÖ und die Corona-Maßnahmen-Gegner weltweit die Gefahr einer Fremdbestimmung durch die WH. Die Freiheitlichen befürchten, dass ein von der WHO initiiertes Pandemieabkommen mit dem Verlust der nationalen Souveränität einhergeht. Die WHO und die EU könnten dann einen globalen bzw. europaweiten Lockdown oder eine Impfpflicht verordnen. Daher appellierte FPÖ-Chef Herbert Kickl in einem offenen Brief an die schwarz-grüne Bundesregierung, dem Vertrag nicht zuzustimmen. In Deutschland ist die AfD dagegen. Auch die britischen Konservativen sind skeptisch und einige afrikanische Staaten fürchten sich vor einem neuen Imperialismus durch die Hintertür.
Im Vertragsentwurf, der Anfang März präsentiert wurde, ist jedenfalls nichts enthalten, was auch nur annähernd einer Souveränitätsbeschränkung nahekäme. Um den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde sogar ein neuer Vertragsabschnitt eingefügt, wonach keinerlei Bestimmungen des Pandemieabkommens so auszulegen seien, dass sie die WHO dazu ermächtigen, irgendwelche innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu ändern oder Anordnungen zu treffen. Die WHO darf den Mitgliedern daher auch nicht vorschreiben, Maßnahmen wie Einreiseverbote, Impfvorschriften oder Lockdowns zu treffen.
Im Gegensatz zu früheren Vertragsversionen dürfen die Staaten auch nicht mehr dazu angehalten werden, falsche und irreführende Fehlinformationen zu bekämpfen, weil ihnen das von den Maßnahmengegnern als Zensur ausgelegt werden könnte. Stattdessen heißt es nun, die Länder sollen den rechtzeitigen Zugang zu glaubwürdigen und faktengestützten Informationen ermöglichen, um Fehlinformationen oder Desinformationen entgegenzuwirken.
Eigentlich sollte der Vertrag bereits unterschriftsreif vorliegen, doch derzeit streitet der globale Süden gegen den Norden wegen der Rolle der Pharmaindustrie. Die soll nämlich den Patentschutz gegenüber armen Ländern lockern, damit sich auch diese die Impfstoffe leisten können. Daher wird es wohl noch eine Zeit lang dauern, bis mit dem Pandemiepakt eine global verbindliche Grundlage vorliegt, die es den Regierungen ermöglicht, bei der Seuchenbekämpfung besser zusammenzuarbeiten, indem internationale Frühwarnsysteme gestärkt, Informationen über neue Erreger rascher gemeldet und die erhaltenen Informationen schneller und freier global geteilt werden.
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