Paradies für alle Fleischtiger
Josef Schiffer | 12. Juli 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 204, Fazitportrait
Als der Bosnier Irfan Alisic 2012 seine Fleischerei im Grazer Bezirk Gries eröffnete, fand er unter Landsleuten schnell eine große Fangemeinde. Man konnte nicht ahnen, dass dieses Geschäft binnen kurzer Zeit zu einem Mekka für alle Liebhaber von Cevapcici & Co aus nah und fern werden würde. Als der Laden altersbedingt schließen sollte, entschied sich der Sohn Ibrahim Alisic zu übernehmen und hängte seine Basketballkarriere an den Nagel.
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Doch zurück an den Beginn der Familiengeschichte, die in Nordbosnien ihren Ursprung hat. Man schrieb das Jahr 1988 und zunehmend wurden an vielen Orten im ehemaligen Jugoslawien die Spannungen zwischen den Volksgruppen immer deutlicher spürbar. Auf Anraten seines Umfeldes zog der Ingenieur Irfan Alisic aus Prijedor auf Arbeitssuche zunächst in die Schweiz, aber bereits ein Jahr später fand er gemeinsam mit seiner jungen Ehefrau sein Glück in der Steiermark, wo er zunächst als Schlosser, später als Lkw-Fahrer tätig war. Mit Anfang 50 wagte er, nachdem er auch Erfahrungen in der Gastronomie gesammelt hatte, den Sprung in die Selbstständigkeit und legte den Grundstein für die heutige Fleischerei. Seine Erfolgsformel war von Anfang an von bestechender Einfachheit: Das Fleisch von Rind, Kalb und Lamm ist nur von bester Qualität, stammt aus der Region und wird nach traditionellen Familienrezepten verarbeitet. Das gilt vor allem für die bei jeder Grillerei auch hierzulande inzwischen unverzichtbaren Cevapcici. Dazu muss man wissen, dass die am Balkan Cevapi genannte Spezialität mehr sind als nur die Nationalspeise einer Reihe von Regionen, die vom Balkan bis in die Türkei und weiter in den Iran reichen, sondern deren Zubereitung geradezu eine Glaubensfrage darstellt. Ähnlich wie beim Kebab leitet sich das Wort »cevap« von der Bezeichnung für gegrilltes Fleisch her. Jede Region, jede Stadt, ja jede Familie hat ihre über Generationen hinweg überlieferten Auffassungen von Zutaten, Gewürzmischungen und Zubereitungsprozeduren. Aber da gibt es, um den Bogen zu spannen, natürlich noch viele weitere typische Spezialitäten mit Fleisch, wie Pljeskavica, Sudzuk und Burek.
Mutiger Neuanfang
Wie einleitend bemerkt, wollte sich Alisic Senior vor einigen Jahren langsam aus dem Geschäftsleben zurückziehen, obwohl er und seine Frau freilich auch heute weiterhin mithelfen. Die Nachfolge im Betrieb blieb zunächst im Ungewissen, denn ihr Sohn Ibrahim besuchte die Handelsakademie in Fürstenfeld, dann in Bruck an der Mur, wo er die Matura ablegte. Daneben verfolgte der 2,01 Meter baumlange und Schuhgröße 49 tragende ehrgeizige junge Mann eine Sportlerkarriere als Basketballspieler schon als Jugendlicher bei Vereinen in Fürstenfeld und Kapfenberg, zuletzt beim UBSC Raiffeisen Graz. Diesem Verein ist er bis heute ein-, zweimal in der Woche quasi im »Amateurstatus« treu geblieben, jedoch dort auch als Sponsor äußerst engagiert. Dass ein Probetraining in Stuttgart für den ehrgeizigen Sportler nicht von einer Verpflichtung gekrönt war, erlebte er zunächst als große Enttäuschung. Das Ereignis beschleunigte seine Entscheidung, das väterliche Geschäft zu übernehmen, nicht zuletzt weil durch die Mithilfe im Unternehmen seine Leidenschaft für das Lebensmittel Fleisch weiter gewachsen war. Als er im Jahr 2018 schließlich die Geschäftsführung übernahm, war er gerade mal 21 Jahre alt und dachte bereits intensiv an die Vergrößerung des Unternehmens.
Zum »Sprung ins kalte Wasser« gesellte sich für ihn zur richtigen Zeit auch eine Portion Glück, denn die Nachfrage nach Fleischereiprodukten nahm sprunghaft zu, als sich während der Corona-Pandemie viele Menschen wegen des Lockdowns, als Restaurants und Gaststätten geschlossen waren, für das Kochen zu Hause mit Lebensmitteln eindeckten. Auch das gemeinsame Grillen, ob im Garten oder am Balkon, erlebte in dieser Zeit einen ziemlichen Aufschwung. Ibro Alisic erinnert sich: »Damals bildeten sich immer längere Schlangen vor unserem Geschäft und das zog in weiterer Folge wieder neue Kunden an, den Rest besorgte die Mundpropaganda, als sich die herausragende Qualität unserer Ware immer mehr herumsprach.« Als Nächstes wurde die Verlegung an einen neuen Standort geplant − im Oktober 2021 war es so weit und das neue Geschäft wurde in der Kärntner Straße gegenüber dem bekannten Steakrestaurant Clocktower eröffnet. Der Ruf der Fleischerei hatte sich mittlerweile so gut etabliert, dass auch viele Kunden aus dem Großraum Graz und darüber hinaus hier einkaufen. Viele darunter, rund die Hälfte, schätzt Alisic, sind Menschen mit Wurzeln in den Balkanländern, aber fast ebenso groß ist der Anteil »autochthoner« Österreicher. Sprachbarrieren sind im Umgang mit den Kunden auf jeden Fall kein Thema, da sowohl Alisic als auch seine Mitarbeiter ebenso fließend Bosnisch-Kroatisch-Serbisch wie perfekt Deutsch sprechen können. Zusätzlich zum Ladengeschäft wird ein recht günstiger Zustellservice für Graz und Graz Umgebung angeboten, den neben Privatkunden auch Gastronomiebetriebe gerne in Anspruch nehmen. Abgesehen vom benachbarten Clocktower zählt zum Beispiel das renommierte Gösser-Restaurant in der Grazer Innenstadt zu seinen Abnehmern.
Fleisch aus der Oststeiermark
Was macht nun die besondere Anziehungskraft der fleischlichen Genüsse in den Vitrinen von Alisic aus? Es begann so, erzählt er, dass sein Vater schon während seiner Arbeit in der Oststeiermark mit den Erzeugnissen der Weizer Bauern Bekanntschaft machte. Er war von Konsistenz und Geschmack von deren Fleischprodukten dermaßen begeistert, dass er es ausschließlich von dort bezog und bis heute bezieht. Es bildet auch nach Meinung vieler seiner Kunden die ideale Basis für die Zubereitung als Grillgut, Steaks und vieles mehr. Fast täglich rollen die Transporte vom Weizer Schlachthof in die Verarbeitungsräume der Fleischerei Alisic. Dabei handelt es sich in erster Linie um Rind-, Kalb- und Lammfleisch von Bauern aus dem Weizer Bergland; Schweinefleisch wird nicht angeboten.
Beim Hühnerfleisch setzt Alisic, obwohl er die Qualität der steirischen Betriebe zu schätzen weiß, auf die Produkte der Perutina Ptuj in Slowenien. Das Angebot an der Theke ist appetitlich und gut überschaubar angeordnet, dennoch sehr vielfältig: Neben den klassischen Cevapcici gibt es die Ćevaps am Spieß, Pljeskavica, Hühnerfleischspieße und -filets, alle Teile von Kalb und Lamm, Fleisch für Steaks und Rinderbraten, ebenso die erwähnte Sudzuk als Grillwurst sowie Käsekrainer. Auf Bestellung erhältlich sind auch im Handel rar gewordene Spezialitäten von Innereien, wie Kalbsbries, die andernorts heutzutage fast nicht mehr zu bekommen sind. Es liegt in der islamischen Tradition vieler bosnischer Familien, dass kein Schweinfleisch verwendet wird, trotzdem möchte er kein großes Thema daraus machen: »Wir sind hier so integriert, dass wir das nicht brauchen, Religion spielt für unser alltägliches Leben hier keine große Rolle im Gegensatz zur Kultur und Kulinarik des Heimatlandes meiner Eltern. Menschen aus allen Konfessionen kommen jedenfalls gern zu uns einkaufen.«
Das streng geheime Familienrezept für seine beliebten Cevapcici will Alisic natürlich nicht preisgeben, aber so viel sei verraten: »Das Besondere liegt weniger an der Würzung als an der Qualität des Fleisches, wir verwenden dafür nur Rind- und Kalbfleisch in einem bestimmten Mischungsverhältnis, es muss gut abgelegen sein. Schaf- bzw. Lammfleisch kommt bei uns nicht rein, es hat einen zu intensiven Eigengeschmack, den viele nicht so mögen.« Unverzichtbar als Zutat sind große Mengen an gepressten Knoblauchzehen, Zwiebel dagegen werden bei seiner Variante nicht verwendet. Die Cevapi am Spieß fallen deutlich schärfer im Geschmack aus, da hier die Grundmasse zusammen mit Peperoni faschiert wird. Fleisch spielt in der bosnischen Küche überhaupt die zentrale Rolle, so Alisisc: »Es ist in Bosnien kein Essen, wenn nicht Fleisch dabei ist, und wenn es nur ein bisserl was in der Suppe ist.«
Neue Filiale in Leoben
Anfang dieses Jahres war es so weit und Alisic konnte seinen schon seit einiger Zeit gefassten Plan umsetzen, die Eröffnung einer zweiten Filiale in Leoben. Amüsantes Detail am Rande: Diese liegt ebenso wie das Grazer Geschäft in der Kärntner Straße. Die Zahl traditioneller Fleischereien ist allerorts im Abnehmen begriffen, so auch in Leoben. Die Gründe dafür sind vielfältig so Alisic: »Einerseits ist es die Konkurrenz durch die Supermärkte, andererseits fehlt es am Nachwuchs, weil immer weniger den Fleischerberuf ergreifen.« Selbst in den großen Fleischverarbeitungs-Unternehmen stammt der Großteil der Fleischhauer vom Balkan oder aus Osteuropa. Mit seinem Angebot füllt Alisic in Leoben eine echte Marktlücke, der Umsatz entwickelt sich entsprechend positiv, betont er stolz: »Wir hatten vorher schon einen großen Kundenkreis aus Leoben und Umgebung«, erklärt er den Grund für die Entscheidung, in der Obersteiermark Fuß zu fassen: »Unsere Stammkunden sind davor immer nach Graz gefahren, um bei uns Fleisch und Cevapcici einzukaufen.« Hier in Leoben geht im Geschäft von Alisic sehr viel Kalbfleisch über den Ladentisch, da es auch aus gesundheitlichen Gründen im Trend liegt, und es kaum mehr Fleischerbetriebe gibt, wo es in dieser Qualität und zu erschwinglichen Preisen erhältlich ist. Obwohl auch in Leoben zahlreiche Kunden bosnischen Familienhintergrund haben, wird deren weitaus überwiegende Mehrheit – Alisic schätzt mehr als 90 Prozent – von österreichischer Klientel gestellt.
Produkte aus der alten Heimat
Aufgrund der auch weiterhin absehbaren regen Nachfrage kann es sich Alisic bereits vorstellen, eine dritte Filiale im Osten der Stadt Graz, etwa in St. Peter oder Liebenau zu eröffnen. Die bei ihm umgesetzten Mengen sind beachtlich, allein von den Cevapcici werden im Sommer zur Grillhochsaison monatlich rund zehn Tonnen verkauft. Großer Beliebtheit erfreut sich auch hochwertiges Steakfleisch vom Rind, zunehmend auch Lamm, das sich in unseren Breiten als Basis regionaler Schmankerln etabliert hat. Neben seiner Palette an Fleischwaren führt Alisic in seinem Laden eine breite Auswahl von Lebens- und Genussmitteln, die aus Kroatien und Bosnien kommen. Dazu zählen auch hierzulande bekannte Dinge wie Gemüsepulver von Podravka, Aufstriche von Argeta, natürlich auch Ajvar, verschiedene Kaffeesorten und Süßigkeiten. »In Summe bringt diese Schiene nicht allzu viel für den Umsatz und manches davon bekommt man inzwischen auch in Supermärkten«, erklärt Alisic. Sie tragen nicht nur zum Lokalkolorit im Geschäft bei, sondern vermitteln den Kunden aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens Heimatgefühle und werden nach wie vor gern konsumiert. In den Kühlkästen stehen reihenweise Softdrinks, die an die Zeit erinnern, als im Nebenraum noch ein Grill betrieben wurde, mit ein paar Tischen zum Verzehr der frisch zubereiteten Ćevaps und Spieße vor Ort. Obwohl diese in der Mittagszeit fast immer ausgebucht waren, wurde für Alisic der Parallelbetrieb zur Fleischerei räumlich doch zu beengt. Es ergab aus vielen Gründen mehr Sinn, die Bereiche Fleischerei und Gastronomie zu trennen. Daher ist er gemeinsam mit einem Geschäftspartner schon dabei, ein nahegelegenes geräumiges Lokal in der Kärntner Straße in einen authentischen Balkangrill umzugestalten, der nach umfangreichen Umbauarbeiten noch im September dieses Jahres eröffnen soll.
Lebensmittel Alisic
8053 Graz, Kärntner Straße 176
8700 Leoben, Kärntner Straße 165
Telefon +43 676 4458475
bit.ly/LebensmittelAlisic (auf Facebook)
Fazitportrait, Fazit 204 (Juli 2024) – Fotos: Heimo Binder
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