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Wozu braucht es rechte Parteien

| 12. Juli 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Essay, Fazit 204

Foto: PoliconEin Essay von Robert Willacker. Bei den Wiener Festwochen wurden heuer in einer Art »Gerichtsperformance« die sogenannten »Wiener Prozesse« verhandelt. Auch die FPÖ war »angeklagt«. Politik- und Kommunikationsberater Robert Willacker erklärte als »Verteidiger«, warum es rechte Parteien brauche »wie das tägliche Brot«. Hier seine Rede im Wortlaut.

::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK

Robert Willacker, geboren 1989 in Brasilien, ist ein deutscher Politik- und Kommunikationsberater. In Franken aufgewachsen, studierte er nach dem Abitur Politikwissenschaften in Innsbruck. Er lebt in Wien und kommentiert regelmäßig das österreichische und internationale Politikgeschehen. Zudem ist er bei der Politik- und Kommunikationsberatungsagentur Policon in Wien tätig.   policon.at

Sehr geehrte Damen und Herren! Sie können sich sicher denken, dass ich als Politikberater, der sich eher im rechten Parteienspektrum bewegt, es nicht gewohnt bin, vor der Kunst- und Kulturszene Wiens politische Vorträge zu halten. Ich denke, es wird mir niemand im Saal böse sein, wenn ich diese Kulturszene eher dem linken politischen Lager zurechne. Dementsprechend groß war auch meine Verunsicherung vor dieser heutigen Rede. Was wird mich hier im Saal erwarten? Welches Publikum wird mich erwarten?

Ich habe jedoch bereits beim Hereinkommen gesehen, dass sich die ethnische Zusammensetzung hier im Saal in etwa in dem Rahmen bewegt, dem ich auch bei einer durchschnittlichen Aschermittwochsveranstaltung der FPÖ begegne. Sollte das ein Entgegenkommen des Veranstalters gewesen sein, so kann ich versichern: das wäre nicht nötig gewesen. Doch keine Sorge, liebe Damen und Herren, ich bin heute nicht gekommen, um Ihnen den Spiegel vorzuhalten. Den haben die meisten von Ihnen ja ohnehin abonniert. Gemeinsam mit dem Falter steckt er schließlich die weltanschaulich zulässige Norm ab, deren Abweichungen Sie an diesem Wochenende gerichtlich verhandeln wollen.

»Braucht man Parteien wie die AfD oder die FPÖ, braucht man Rechte?« lautete die Leitfrage, die ich seitens der Veranstalter für diese Rede mit auf den Weg bekommen habe. Ich unterstelle einmal, dass hier im Saal gar nicht wenige Menschen sitzen, die diese Frage mit einem klaren »Nein« beantworten würden. Doch es ist – um im Sprachbild des Theaters zu bleiben – wie mit dem Schauspielunterricht: den benötigen meist auch diejenigen am dringendsten, die am festesten davon überzeugt sind, ihn nicht zu brauchen.

Sie, werte Damen und Herren, die Sie beim Frühstück Ihrem Partner das »Einserkastl« aus dem Standard vorlesen, brauchen Parteien wie die AfD oder die FPÖ wie den Bissen Brot, auf den Sie gerade noch Ihre leckere Marmelade geschmiert haben. Und ja, ich als Deutscher benutze Wörter wie »lecker« und »Marmelade« – was wollen Sie schon dagegen machen? Abschiebungen wollen Sie ja nicht, also müssen Sie lernen, mich und meine Sprache zu tolerieren.

Warum brauchen Sie, liebe pensionierte Studienräte und solche, die es noch werden wollen, die AfD und die FPÖ? Die Antwort mag Sie ob ihrer Profanität enttäuschen: Sie brauchen diese Parteien, um Ihre Schuld kompensieren zu können. Nachdem wir hier in der Geburtsstadt der Psychoanalyse sind und fast jeder hier im Raum, mich eingeschlossen, irgendetwas Nutzloses studiert hat – nochmal etwas weniger profan: Sie brauchen diese Parteien, denn Ihr Ich ist nicht in der Lage, den Konflikt zwischen Ihrem Es und Ihrem Über-Ich zu kalmieren und konstruktiv zu kanalisieren. Sie sind zu weiß, Sie sind zu reich, Sie sind zu heterosexuell. Sie fahren zu viel Auto, Sie essen zu viel Fleisch und Sie heizen falsch. Und dann hatten Sie da ja auch noch diesen Großvater, über den in Ihrer Familie seit jeher deutlich mehr geschwiegen als gesprochen wird.

Und genau hier – am Gipfel Ihres schlechten Gewissens – kommen die Rechten ins Spiel. Nicht nur, dass diese schlimmer sind als Sie – die fahren noch mehr Auto, essen noch mehr Fleisch und sind noch heterosexueller –, die besitzen auch noch die Unverfrorenheit, sich nicht einmal ansatzweise für ihr Tun und ihr Sein zu schämen. Und damit haben Sie, meine Damen und Herren, endlich das ausgelagerte Feindbild, das Sie brauchen, um sich nicht länger dem Konflikt mit Ihrem eigenen Selbst stellen zu müssen. Ich mache es für Sie etwas greifbarer: Die eigenen Kinder nicht mit faktisch unbeschulbaren Migranten aus prekären Verhältnissen in dieselbe Klasse schicken zu wollen, macht Sie nicht zu einem schlechten Menschen, weil es ja dort noch diejenigen gibt, die Migranten samt und sonders abschieben möchten. Und besser als die sind Sie ja allemal. Wären die nicht rechts, wären Sie nicht links. Wären die nicht schlecht, wären Sie nicht gut. Und weil dieser Selbstbetrug das einzige Erlösungsversprechen ist, das Ihnen seit Ihrem Austritt aus der katholischen Kirche geblieben ist, haben Sie ihn unter dem Schlagwort des »Kampf gegen Rechts« sogar institutionalisiert.

Unter dem Dach unzähliger NGOs, Stiftungen und Initiativen versammelt sich heute das, was der große deutsche Antisemit, Schwarzenhasser, Gemeindebaunamensgeber und linke Übervater Karl Marx neben zahlreichen anderen gesellschaftlichen Gruppen seinerzeit noch zum Lumpenproletariat zählte: nämlich die verkommenen – ich zitiere wörtlich –, und abenteuerlichen Ableger der Bourgeoisie – und die Literaten.

Meine Damen und Herren, der moralische Ablasshandel im Kampf gegen Rechts ist dabei längst zu einer gigantischen Selbstbestätigungsmaschinerie geworden, die sich kilometerweit von den Interessen jener Minderheiten entfernt hat, die zu protegieren sie vorgibt. Dass ich mit dem, was ich sage, recht habe, wird dadurch offenbar, dass ich schon seit fünf Minuten zu Ihnen spreche und Sie noch immer keine Antwort auf die Frage gefunden haben, die Sie seit dem Moment umtreibt, in dem ich an dieses Podium getreten bin. Nämlich: »Was macht jemand mit meiner Hautfarbe bei den Rechten?«

Sie werden keine Antwort auf diese Frage finden, denn die Antwort verbirgt sich hinter einem positiven Zugang zur nationalen Identität, Geschichte und tradierten Kultur. Und diesen Zugang, den verwehren Sie sich selbst. Schließlich stünde ein Verständnis von Rechts Ihrem Kampf gegen Rechts im Weg, und ohne diesen frisst Sie Ihr Gewissen. Spätestens hier beißt sich also die Katze in den Schwanz. Es sind aber nicht nur Ihre Schuldgefühle, die den Kampf gegen Rechts am Laufen halten, sondern auch findige und geschäftstüchtige Linke, die daraus ein alles andere als antikapitalistisches Einkommensmodell entwickelt haben.

»Der Krieg ernährt den Krieg« wusste schon der olle Schiller und ließ es darum im zweiten Teil der Wallenstein-Trilogie den General Isolani in die Welt hinausposaunen. Und wie der Krieg den Krieg ernährt, so ernährt auch der Kampf gegen Rechts den Kampf gegen Rechts. Die Politik bestellt, und die steuergeldfinanzierte NGO-Industrie liefert. Zu Ihrer Ehrenrettung muss ich sagen: In Österreich sind diese bizarren Auswüchse noch nicht ganz so weit wie in Deutschland. Die Betonung liegt auf »noch«, und Wien möge da eine Ausnahme bilden.

Jedenfalls ist dieses Gegen-Rechts-Geschäft auch deshalb so einträglich, weil sich zu dem schlechten Gewissen noch der Gruselfaktor gesellt. Der Deutsche und der Österreicher gruseln sich gerne – anders ist es nicht erklärbar, warum sich Leute seit 140 Jahren jeden Sonntag denselben »Tatort« ansehen. Der Nachschub an düsteren Fernsehabendkrimis darf niemals abreißen, genau wie der Nachschub an Rechts niemals abreißen darf. Ob rechts, rechtsradikal oder rechtsextrem ist dem Gruselsüchtigen dabei übrigens einerlei. Medienseitig hat man sich auf diesen Konsumentenwunsch längst eingestellt und hält sich deshalb auch nicht länger mit einer differenzierten Darstellung auf.

Weil die Nachfrage nach dem rechten Grusel aber deutlich größer ist als das Angebot, schwärmen die Apologeten des Kampfes gegen Rechts regelmäßig aus, um auch noch aus dem hintersten Winkel der Republik neuen Stoff für ihre Gruselsüchtigen zu organisieren. Das jährliche Hochamt dieser Industrie ist die digitale Eiernockerlsuche am 20. April. Denn irgendein Trottel findet sich schließlich immer, der seine primitive Ausländerfeindlichkeit in irgendeiner unmoderierten Facebookgruppe zu ventilieren versucht. Und wenn es dann doch einmal keine frische Ware geben sollte, können Sie, werte Damen und Herren, natürlich auf Altbewährtes vertrauen. Sie sind Medienschaffender und Ihre Zeitung verkauft sich schlecht? Nehmen Sie einfach die AfD oder die FPÖ auf den Titel. »Sex sells« war gestern – »Rechts sells« ist heute. Publizistisch noch besser als die AfD oder die FPÖ verkaufen sich auf Titelseiten übrigens Hakenkreuze. Hier gilt das Motto: vom Spiegel lernen, heißt siegen lernen. Sollten Sie als Medienschaffender allerdings mit dem Gedanken spielen, der Abwechslung halber einmal den Anstieg des islamischen Antisemitismus und die damit zusammenhängende Rolle der Migrationspolitik näher thematisieren zu wollen, müssen Sie als Medium Absatzeinbußen in Kauf nehmen. Von linkem Antisemitismus möchte ich dabei gar nicht erst reden. Davon rate ich Ihnen zur Gänze ab. Absoluter Ladenhüter, verkauft sich nicht. Der Feuilleton-verliebte deutsche Halbintellektuelle, Österreicher mit gemeint, will seinen Antisemitismus rechts verortet wissen. Dort gehört er hin, alles andere verwirrt ihn auch nur.

Ein kleiner Einschub: Die Ihnen sicherlich wohlbekannte Historikerin Margit Reiter hat ein ganz hervorragendes, überaus informatives und Ihnen sicher bekanntes Buch mit dem Titel »Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ« geschrieben. Von derselben Autorin stammt auch das 516 Seiten starke Buch »Unter Antisemitismus-Verdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah«. Ich kenne die Verkaufszahlen dieser beiden Bücher nicht, nehme aber hier und heute Zehn-zu-eins-Wetten darüber an, welches der beiden Bücher sich um ein Vielfaches besser verkauft hat als das andere.

Meine Damen und Herren, es wird Sie freuen zu hören, dass ich mich nun langsam dem Ende meiner Ausführungen entgegenrede. Ich hatte Ihnen versprochen, Ihnen nicht den Spiegel vorzuhalten und an dieses Versprechen habe ich mich gehalten. Ich habe Ihnen, meine Damen und Herren, vielmehr das Angebot gemacht, sich für einen kurzen Moment selbst durch meine Augen zu betrachten. Ob Sie dieses Angebot annehmen, liegt ganz bei Ihnen. Vielen Dank.

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Vorliegender Text ist die trankskribierte Rede von Robert Willacker bei den Wiener Festwochen Ende Mai dieses Jahres. Der Text erschien am 11. Juni auf der Webseite des Onlinemagazins »Corrigenda«. Wir danken für die freundliche Genehmigung, ihn auch abdrucken zu dürfen.   corrigenda.online

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Essay, Fazit 204 (Juli 2024), Foto: Policon

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