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Auf den Spuren der namenlosen Toten

| 14. August 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 205, Kunst und Kultur

Die beiden Steinsäulen sind die sichtbaren Überreste der Richtstätte im Birkachwald

Die archäologische Aufarbeitung von frühneuzeitlichen Richtstätten ist in Österreich ein relativ junges Forschungsgebiet. Ein von der Arbeitsgemeinschaft Geschichte & Archäologie (AGGA) initiiertes multidisziplinäres Projekt widmet sich nun der Erforschung der sterblichen Überreste der hingerichteten Menschen in Verbindung mit den dazu überlieferten Gerichtsprotokollen.

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Im Birkachwald im Pölstal nahe Unterzeiring befindet sich die ehemalige Richtstätte des Landgerichts Offenburg-Reifenstein, die zumindest vom 16. bis weit in das 18. Jahrhundert für die Vollstreckung von grausamen Todesurteilen genutzt wurde. Heute sind an dieser Stelle nur noch zwei mächtige Steinsäulen des gemauerten Galgens erhalten, die früher wohl mit einem massiven Holzbalken verbunden waren, an dem die Verurteilten gehängt wurden. Neben dem Hängen warn das Rädern – das Zertrümmern der Knochen des Delinquenten bei lebendigem Leib – sowie das Enthaupten mit dem Schwert gängige Methoden. Zur Entstehung des Galgens sind brauchbare historische Quellen vorhanden, aber nur wenig ist bekannt über die praktischen Nutzung der Richtstätte und den Umgang mit den Toten nach den Hinrichtungen, erklärt Peter Koch, der das Projekt »Die Namenlosen von Birkachwald« ins Leben gerufen hat. Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass die Leichen meist in unmittelbarer Nähe der Richtstätte im felsendurchwachsenen Untergrund einfach verscharrt wurden. Ein christliches Begräbnis in geweihter Erde – und damit die Auferstehung − war diesen Schwerverbrechern nach den herrschenden Glaubensvorstellungen verwehrt. Davor wurden sie, bzw. Teile davon wie abgeschlagene Köpfe, oft wochenlang zur Abschreckung vor dem Galgen an Spießen ausgestellt.

Erste archäologische Sondierung
Viele der zahlreichen Richtstätten in allen Landesteilen wurden bereits in den Siebzehnachtzigerjahren auf Anordnung Kaiser Josephs II. abgetragen oder in späteren Zeiten durch landwirtschaftliche Nutzung oder Bebauung zerstört. Die Richtstätte im Birkachwald befindet sich auf weitgehend von solchen Eingriffe verschonten Weideland und bot daher ideale Voraussetzungen für eine archäologische Erschließung. Bei drei Grabungskampagnen in den Jahren von 2012 bis 2014 konnte durch den von Gerfried Kaser gegründeten Verein »Archäologie Pölstal« insgesamt zwölf in seichten Gruben verscharrte Individuen geborgen werden. Die forensisch-anthropologische Auswertung der Knochenfunde wies als Hinrichtungsarten Hängen, Enthaupten und bei einem Delinquenten Rädern nach. Letztere brutale Methode ist zwar durch zahlreiche schriftliche und bildliche Quellen belegt, konnte aber hier zum ersten Mal in Österreich an einem Skelett nachgewiesen werden. Zahlreiche an dem Ort gefundene Münzen und Kleinfunde wie Kruzifixe belegen, dass von Seiten der Bevölkerung offenbar großes Interesse an den öffentlichen Hinrichtungen herrschte, die nach Beschreibung von Zeitgenossen regelrechten Volksfestcharakter annehmen konnten.

Wiederaufnahme der Erforschung
In den Jahren nach 2014 wurden vorerst an der Richtstätte keine weiteren Grabungen durchgeführt, weil die finanziellen Förderungen bzw. personellen Ressourcen dafür nicht vorhanden waren, berichtet Peter Koch. Gestützt auf die umfangreichen Ergebnisse der archäologischen Befunde erschienen in der Folge jedoch zahlreiche Publikationen von Historikern wie Ingo Mirsch, Ulrike Kaier, Silvia Renhart und Gerfried Kaser, die umfangreiche Erkenntnisse zum Umgang mit dem zur Todesstrafe Verurteilten und deren Herkunft und weiteres Schicksal erschlossen haben. Grundlage des Rechtssystems war die Ausübung der Gerichtsbarkeit durch die Grundherrschaften, die im Laufe der Zeit als Landgerichte auch die »Hohe Gerichtsbarkeit«, also über Leib und Leben, übertragen bekamen. Die Landgerichtsbeschreibungen und Kriminalakten der grundherrschaftlichen Gerichte bilden nicht nur wichtige Quellen für die Lokalisierung von Richtstätten, sondern geben auch Auskunft über deren Errichtung, bauliche Gestaltung und Erhaltung. In den Archiven der ehemaligen Schwarzenbergʼschen Grundherrschaft wurden inzwischen rund 600 Prozessakten mit Bezug zum damaligen Landgericht Reifenstein und der Richtstätte im Birkachwald gefunden. Die Vernehmungsprotokolle und Gerichtsakten, die heute in Murau und Krumau (Cesky Krumlov) aufbewahrt werden, werden digitalisiert, harren aber noch großteils der ausführlichen Auswertung durch Frühneuzeithistoriker.

Den Toten wieder einen Namen geben
Peter Koch und Gerfried Kaser haben im vergangenen Jahr mit dem Projekt »Die Namenlosen von Birkachwald« ein Team von Forschern aus verschiedenen Disziplinen gebildet, das sich neben anderen Zielen in der Rekonstruktion der Identität der großteils anonymen Opfer im Gräberfeld der Richtstätte eine Verpflichtung sieht. Dazu widmet sich die Gerichtsmedizinerin Sarah Heinze an der Medizinischen Universität Graz mit den Einsatz modernster wissenschaftlicher Methoden der Analyse der Skelett- und Knochenfunde, um faktenbezogene Daten zu den Merkmalen, die Folterungen und Tötungen der Delinquenten hinterlassen haben, zu gewinnen. In Verbindung mit den erwähnten Prozessakten können so Fragen zur Identität der Namenlosen beantwortet werden, auch wenn es bis dahin noch ein weiter Weg ist.

Forschung für die Wissenschaft und auch die Region
Am 27. Mai 2024 hat die »GeoSphere Austria« mit einem Bodenradar eine ausführliche Erfassung des Geländes erstellt, erklärt Peter Koch: »Auf dem rund 1,6 Hektar großen Gelände wurden dabei mindestens 20 Grabgruben entdeckt, die eine oder auch mehrere menschliche Überreste beinhalten können.« Weitere Grabungen stehen derzeit noch nicht auf der Agenda, da diese mit dem Bundesdenkmalamt und dem Archäologischen Institut Graz akkordiert werden müssen. Der Projektinitiator Peter Koch legt jedoch Wert darauf, festzuhalten: »Wir machen unsere Forschungen als Verein nicht nur für die reine Wissenschaft, sondern auch für die Bevölkerung vor Ort sowie als Grundlage für eine touristische Nutzung in Form von Ausstellungen oder multimedialen Präsentationen für die breite Öffentlichkeit.«

Alles Kultur, Fazit 205 (August 2024), Foto: AGGA

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