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Liebe! Und kein Hass

| 14. August 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 205, Kunst und Kultur

Die Gedenkstätte Bretstein im steirischen Bezirk Murtal, errichtet auf den Überresten eines »Nebenlagers« des Konzentrationslager Mauthausen, erinnert heute an die grausamen Schicksale und die Ermordung der hier in der Zeit des Nationalsozialismus inhaftierten Menschen, überwiegend Spanier und Zeugen Jehovas.

Im Jahr 2002 legte der Religionslehrer Franz Stuhlpfarrer mit Schülern der HLW-Fohnsdorf die Lagerstrukturen wieder frei, die im Lauf der Jahrzehnte von Erde bedeckt worden waren. Sie rekonstruierten die Fundamente und Teile des Lagers. Am 12. April 2003 wurde der Ort mit der Einweihung der Gedenktafeln der Öffentlichkeit präsentiert. Seit damals widmet sich der »Verein KZ-Nebenlager Bretstein« unter seinem Obmann Stefan Stradner dessen Pflege und Erhaltung. Der Verein veranstaltet hier regelmäßig Gedenkfeiern wider das Vergessen, wie jene heuer am 29. Juni, bei der August Schmölzer eine beachtliche Rede hielt.

Wir dürfen sie hier im Wortlaut abdrucken:

 

»Nicht Hass, sondern Liebe,
Nicht Unrecht, sondern Gerechtigkeit,
Nicht Schwäche, sondern edler Charakter,
sind die ewigen Fundamente
einer gesitteten Menschheit.«

Das sind Worte der ersten Gedenktafel über dem SS-Huldigungsstein hier in Bretstein, die uns daran erinnern, was die Fundamente einer menschenwürdigen Gesellschaft sind. Wenn Sie heute in das Tal eingefahren sind, haben Sie eine herrlich blühende Landschaft erlebt. Den Blick auf den Schrattnerkogel und andere Erhebungen, auf denen sogar noch Schnee liegt. Die fruchtbaren Wiesen und den Bretsteinbach. So viel Schönes hat es hier auch zur Zeit, als in diesem Lager Menschen durch Menschen Unvorstellbares ertragen mussten, gegeben. Das verbrecherische Regime der Nationalsozialisten hat den wirtschaftlichen Niedergang der 1920iger Jahre genutzt und Menschen die Möglichkeit geboten, alles zu vergessen, was sie zu Menschen mit Herzensbildung macht. Wie Erich Kästner sagt: »Es regierten Mörder, Hehler waren Polizei, Lumpen sprachen Recht und das Gewissen saß auf der Anklagebank.«

Eine auf Krieg ausgerichtete Wirtschaftspolitik füllte nicht nur die leeren Taschen vieler Menschen, sondern auch das leere Stolz-Reservoir der Bevölkerung. Sie schaffte falsche Begeisterung, suggerierte vermeintliche Größe und bot die Möglichkeit, eigene Unzulänglichkeiten, Faulheit, Feigheit und Schwächen zu verdrängen, indem Sündenböcke geschaffen wurden. Jedwedes humane Denken, das Schöne, alles, was unter Herzensbildung zu verstehen ist, wurde im Handstreich verraten und durch die Beteiligung vieler Menschen am NS-Regime außer Kraft gesetzt.

Seit ich mich erinnere, versuche ich das zu verstehen, aber jede Antwort, die ich finde, ist nur ein Teil der Ursache, die zu dieser unglaublichen Katastrophe geführt hat. Es gibt unzählige Erklärungen für die Mechanismen, vieles daran ist für mich Schönung wie bei der Weinherstellung. Wir verklären oft nur allzu gerne die Vergangenheit, übergehen Trübungen und Schleier.

Die einen sagen: Es muss doch endlich einmal damit Schluss sein! Andere versteigen sich mit ihren Erklärungen oft in ein gefälliges Verstehen, das sich gut anhört, aber kaum etwas klärt, geschweige denn bewirkt. Wie gehen wir 80 Jahre nach den Nazi-Gräueln mit der Wahrheit um? Wir brauchen aber die Wahrheit über gestern, um heute eine bessere Basis für das Morgen zu schaffen. Wenn wir nicht endlich alle lernen, dies – ohne Schaum vor dem Mund, aber auch ohne intellektuelle Verschwurbelungen – auf Basis einer offenen, humanen, ethischen und demokratischen Auseinandersetzung zu behandeln, sehe ich nicht nur unser aller Zukunft, sondern vor allem das Morgen unserer Jugend in Gefahr.

Wir sollten uns endlich der Tatsache stellen, dass unter gewissen Umständen alles wieder passieren kann, vielleicht in anderen Kleidern, aber wenn das Klima passt, wird es wieder so sein, denn das Myzel lebt und nicht nur in Europa, sondern weltweit formieren sich momentan wieder Kräfte, die unseres klaren Widerspruchs bedürfen. Es ist geschehen, also kann es folglich wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben. Der italienische Holocaustüberlebende Primo Levi bringt es mit diesem Satz auf den Punkt. Der Unterschied aber wird sein, das wir dann nicht mehr sagen können, wir hätten es nicht geahnt, nicht gewusst. Diese Ausflucht ist dann versperrt.

Wir Menschen sind fähig, einmalige Kunstwerke zu schaffen, Größtes zu erdenken und ungeheuren Fortschritt zu erbringen, aber wenn uns wirtschaftlich das Wasser wieder bis an den Hals steht und eine politische Macht gesetzlichen Freiraum bietet, sind wir auch wieder zu jeder Unmenschlichkeit bereit?

Wir haben alles in uns, das Gute und das Böse. Das müssen wir annehmen und lernen, damit als mündige Bürger umzugehen. Um im richtigen Moment ein Gegengewicht zu schaffen, müssen unsere Herzen, Hirne, Seelen und Sinne frei und hellwach bereit sein, um sich nicht egoistisch davon zu schleichen, sondern sich mit Mut gemeinsam den Vereinfachern und Rattenfängern entgegen zu stellen.

Dazu braucht es kognitive Bildung, aber vor allem Herzensbildung. Was ist Herzensbildung? Liebe, Respekt, Mitgefühl? Herzensbildung ist durch Erziehung und Vorbild erworbener Besitz. Sie zeigt sich in einer reichen und differenzierten Gefühls- und Empfindungsfähigkeit. Die zweite Lebensbildungsstufe eines Kindes ist nach der Mutter die Familie. Heute ruft man nach Heruntersetzung der Strafmündigkeit Jugendlicher. Aber was ist mit den Ursachen? Was ist mit der Vorbildpflicht der Eltern und der Gesellschaft? Was ist mit Kindergärten, Schulen, Universitäten?

Wir rüsten unser Heer für Milliarden auf, investieren aber nicht in notwendige Bildung unserer Jugend und damit ist nicht nur Geld gemeint. »Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern«, sagte Nelson Mandela, der erste freigewählte Präsident Südafrikas, So überlassen wir die Jugend, unser wertvollstes Gut, leichtfertig den Verführungen der sozialen Medien, den Vereinfachern, Populisten und kapitalistischen Rattenfängern.

Warum können junge Menschen heutzutage mit Glaubensangeboten so wenig anfangen? Was fehlt Kirchen und Glaubensgemeinschaften? Selbstreflexion, die Fähigkeit zum Diskurs? Zur Dialektik? Fehlt Herzensbildung? Auf jeden Fall fehlt es an Seelsorge. So ist es kein Wunder, dass Gesellschaften nicht nur europaweit immer weiter nach rechts driften. Und das Schlimmste daran ist: Junge Menschen halten vieler Art Extreme immer öfter für coole Gesellschaftskritik. Es sei ganz klar gesagt: Eine gut gebildete, aufgeklärte Jugend ist unsere einzige Chance.

Umso wertvoller ist es, dass junge Menschen der HWL Fohnsdorf unter Religionslehrer Franz Stuhlpfarrer – mit Unterstützung vieler aus der Bevölkerung und wenigen Ausnahmen – sich der Erinnerungskultur angenommen und hier in Bretstein Wunderbares geleistet haben. Dies Projekt sei genannt als eines von vielen. 24 junge Menschen haben mit dem Slogan »Schule ohne Rassismus« tatkräftig bewiesen, was Jugend kann, wenn ihre ungeheuren Talente gefordert, gefördert und sie ernst genommen werden.

Um zu lernen, müssen wir uns dem Unvorstellbaren stellen. Tief in uns erkennen, zu welchen Unmenschlichkeiten vielleicht auch ich, Du, Sie unter gewissen Umständen fähig wären. Gleichzeitig auch in Herz und Seele nachspüren: Wie wäre es mir ergangen, wenn ich, meine Kinder, meine Frau, meine Eltern und Freunde in dieser Zeit gelebt und solche Gräuel erlitten hätten? Und wie hätte ich gehandelt? Erst wenn wir das tief in unseren Herzen und Seelen ehrlich verhandeln, werden wir vielleicht in Zukunft mutiger sein, aufstehen und sagen: Nein, nicht mit mir, nicht mit uns!

»Alles, was geschieht, geschieht aus Angst vor Schmerz«, sagt Franz Werfel. Das ist für mich der Schlüssel. Es ist die Angst vor unserem Talent zum Bösen, um das wir wissen und das wir verdrängen. Die Angst, das Böse als Teil von uns zu akzeptieren und damit lernend frei umzugehen.

»Sapere aude«, hat Kant schon vor dreihundert Jahren Horaz konkretisiert. Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Aber alles ist nichts, wenn das Herz dazu den Schlag verwehrt.

Spüren Sie den leichten Wind? Hören Sie die Vögel singen, das Rauschen des Bretsteinbaches? Spüren Sie die Wärme der Sonne und die Frische der Natur? Aber vor allem … spüren Sie die große Kraft hier, heute und jetzt, unseres gemeinsamen Bestrebens? Fangen wir, jeder von uns mutig an, uns in unserer Gesamtheit anzunehmen und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Wir Menschen mögen die Krone der Schöpfung sein, aber nicht weil wir perfekt wären, sondern weil wir uns unseres Daseins denkend bewusst lernen und frei entscheiden können.

Es gibt keinen besseren Beweis dafür, dass es das Gute in uns Menschen gibt, als die Sehnsucht danach. Ein Mensch ist ein Mensch und über allem die Liebe.

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