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| 14. August 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Essay, Fazit 205

Foto: Marija KanizajEin Essay von Günter Riegler. Im Herbst wird gewählt. Man spricht von einem Superwahljahr. Niemand kann sich dem verbalen Säbelrasseln entziehen. Der Wettbewerb der besten Ideen, oder besser gesagt, der kostspieligsten Forderungen hat begonnen. Im Herbst also schon. Es ist kaum mehr Zeit bis dahin. Wer jetzt noch keine Festung hat, baut sich keine mehr …

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Dr. Günter Riegler, geboren 1966 in Graz, ist seit 2017 als Stadtrat Mitglied der Grazer Stadtregierung. Aktuell für die Ressorts Wirtschaft und Kultur.

Die Herausforderungen könnten größer nicht sein. Das ist keine leere Floskel, noch nie war ein guter Zukunftsplan so wertvoll wie heute. Denn wie wir aus den Wahlgängen in Frankreich und Großbritannien ermessen können: der Wähler hat zwar immer Recht, aber ob der Wählerwille auch für eine trag- und handlungsfähige Regierungsbildung sorgt, ist noch lange nicht gesagt. Grund genug, sich vorurteilslos die politische Ausgangslage und die größten Aufgaben der künftigen Bundesregierung anzusehen. Es ist nicht leicht, optimistisch zu bleiben, aber wie sagte schon Platon – oder war es Herbert Achternbusch? – »Du hast keine Chance, aber nütze sie.«

Die politische Ausgangslage. Das einzig Sichere ist die Schwankungsbreite
Die politische Ausgangslage ist eigentlich nicht abschätzbar. Sämtliche Wahlgänge der jüngeren Vergangenheit hatten eines gemeinsam: Es kam stets anders, als man zuvor gedacht hatte. Das einzig Sichere ist die Schwankungsbreite, der feste Boden unter den Füßen der MeinungsforscherInnen ist dem Treibsand der fluiden Meinungsbilder der Instagram-Generation gewichen. Wer Meinungsforschung betreibt, muss eine ausreichende Zahl an Wahlberechtigten finden, die am Telefon oder via Internet einer ihnen unbekannten Person gegenüber Monate vor einem Wahltermin offen über die eigenen politischen Präferenzen Auskunft erteilen möchten. Ob das zu aussagekräftigen Daten führt, die anschließend noch verlässlich hochgerechnet werden können, das möge jeder anhand der Vorhersagequalität der letzten Jahre einschätzen. Derzeit geht man von einem Kopf-an-Kopf-Rennen der drei stimmenstärksten Parteien bei den anstehenden Nationalratswahlen aus. Das Nachkriegszweiparteiensystem, in welchem die Parteichefs der beiden Großparteien sich noch an die gemeinsame KZ-Inhaftierung erinnerten, ist Geschichte, Zwei-Parteien-Koalitionen gehen sich voraussichtlich weder links noch rechts von der Mitte aus, zugleich legen sich die Parteien auf Standpunkte fest, die kaum miteinander vereinbar wären, so es zu Sondierungen und Verhandlungen kommen sollte. Am Wahrscheinlichsten gilt laut Meinungsforschung aktuell – je nach Umfrageinstitut und -datum – eine mehr oder weniger solide Führung der FPÖ, die beiden ehemaligen Großparteien ÖVP und SPÖ rittern um den zweiten Platz. Wie man an den französischen Stichwahlen studieren kann: Es kann aber auch ganz anders kommen. Dort kam es anstatt des angesagten Sieges der Le-Pen-Fraktion zu einem Linksruck – freilich geschuldet einem schwer abschätzbaren Mehrheitswahlrecht.

Die soziale Ausgangslage. Viel verteilt. Niemand dankt es
Die sozialökonomische Ausgangslage ist vor allem in den urbanen Milieus von der Überzeugung geprägt, dass die Corona-Pandemie und die Folgen des Putin-Angriffskrieges samt anschließender Teuerung zu einer landesweiten Verarmung weiter Teile der Bevölkerung geführt hätten, dem die staatlichen Hilfspakete nur unzureichend beizukommen versucht hätten. Die milliardenschweren Covid-Kurzarbeits- und Unternehmenspakete, die Energiekostenzuschüsse des Bundes für Haushalte und Betriebe, die Leistungen der Länder und der Gemeinden im Rahmen der Sozialleistungen und Energiekostenzuschüsse, die Abschaffung der kalten Progression und die Familienpakete werden entweder nicht zur Kenntnis genommen oder als schlicht zu gering kritisiert – Stellungnahmen des Fiskalrates und der Wirtschaftsforschungsinstitute belegen das Gegenteil. Die Stimmung ist dennoch schlecht. Woran liegt das? Der Wähler belohnt nicht vergangene Wohltaten sondern wählt nach Maßgabe von Erwartungen. Volkswirtschaftlich ohne Zweifel sinnvolle Hilfspakete, Steuersenkungen, Zuschüsse und Transferleistungen verlieren rascher ihre Wirkung im kollektiven Bewusstsein, als die Fiskalräte und Rechnungshöfe »Bitte nicht!« sagen können. Interessanterweise sind alle Gruppen und Milieus gleichermaßen unzufrieden: Unternehmer, weil sie der Meinung sind, es müssten besser die Steuern und Abgaben gesenkt anstatt neuer Ausgaben erfunden werden, Bürger, weil sie denken, es würden ja doch nur die Unternehmer von den Staatsausgaben profitieren, Arbeitnehmer und Gewerkschaften argumentieren, es hätte die Inflation schlicht durch staatliche Eingriffe in die Preise bekämpft werden müssen – die staatlichen Transfers seien lediglich Steuergeschenke ohne Nachhaltigkeit. Tatsache ist: Die Corona-Kurzarbeit hat insbesondere in den niedrigsten Einkommenssegmenten den Haushalten geholfen, ihre Einkommen sogar geringfügig zu steigern. Die Sparguthaben von Herrn und Frau Österreicher sind während der Corona-Krise so gewachsen wie noch nie zuvor in der Geschichte Österreichs. Der österreichische Sozialstaat hat – so Hanno Lorenz vom Thinktank Agenda Austria – die Krise souverän gemeistert. Die Ungleichheit ist gesunken. Dennoch werden Ö1-Radio und Zeitungen täglich mit Arbeiterkammergutachten geflutet, die aussagen, dass die Ungleichheit ständig zunähme und Massenarmut herrsche.

Aufgabe 1. Haushaltskonsolidierung. Wir müssen den Menschen die Geldillusion nehmen
Die nächste Regierung wird daran zu messen sein, die Ausgaben wieder an die Einnahmen anzupassen. Zuletzt war es genau umgekehrt. Für 2025 und Folgejahre werden seitens der Wirtschaftsforschungsinstitute geringe Wachstumsraten prognostiziert, die deutsche Industrie schwächelt, die Lohnstückkosten sind infolge der beiden hohen KV-Abschlüsse der Jahre 2022 und 2023 ordentlich gestiegen, die Wettbewerbsfähigkeit ist gelinde gesagt in Mitleidenschaft gezogen. Die budgetären Spielräume lassen sich an der Staatsschuldenquote ablesen: Österreich liegt laut Statistiken der Nationalbank bei rund 80 Prozent Staatsschulden bezogen auf das Bip. Das ist zwar um zehn Prozentpunkte schlechter als im Vorkrisenjahr 2019, allerdings kann Österreich noch auf vergleichsweise positive Werte verweisen. Frankreich liegt derzeit bei 112 Prozent, Italien gar bei 137 Prozent, das Vereinigte Königreich bei 104 Prozent, der EU-Schnitt liegt leicht über dem Niveau Österreichs. Man kann sagen: Österreich ist – anders als von linken und rechten Populisten behauptet – vergleichsweise noch niedrig verschuldet aus den Krisenjahren seit 2020 gekommen. Das Wunder wurde durch die Teuerung möglich: Wenn die Inflation das BIP in die Höhe treibt, sinkt die Schuldenquote. Oder anders gesagt: Die Inflation enteignet die Gläubiger. Eine sehr effektive Form der Vermögensbesteuerung, der sich niemand, der Kapital angelegt hat, entziehen konnte.

Aufgabe 2. Die Verteilungsfrage muss befriedet werden. Neid ist auch keine Lösung
Die nächste Baustelle ist die Verteilungsfrage. Die neomarxistisch auftretende Babler-SPÖ argumentiert gebetsmühlenartig, es brauche eine Vermögen- und eine Erbschaftsteuer, die Vermögenskonzentration in einigen wenigen Händen sei unerträglich, immer neue Oxfam-Studien werden präsentiert, superreiche Millionärstöchter setzen sich mit groß angelegten Bürgerparlamenten in Szene, um die Ungerechtigkeit dieser Welt anzuprangern und ihre ererbten Millionen zu verteilen. Im Ö1-Radio philosophiert ein Ökonom der Uni Wien, wie viele Wirtschaftsuniversitäten man mit dem Vermögen des reichsten Österreichers finanzieren könnte, so man auf sein Vermögen zugreifen könne. Enteignungsfantasien blühen wie die Neophyten im April. Tax the Rich, sagen die Grünen – Eat the Rich die Kommunisten. Man kann sich aussuchen, ob man den drohenden kommunistischen Pogromen durch Zustimmung zu einer Vermögenskonfiskation entgehen mag. Vermutlich wird am Ende jedenfalls gegessen – die Revolution frisst bekanntlich stets ihre Kinder. Zwei Faktenchecks dazu. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Österreich weniger groß, als es manche Statistiken vermuten lassen, sagt Branko Milanovic, Ungleichheitsforscher, nachzulesen etwa in einem Standard-Interview vom 28. Jänner 2024. Für besonders interessierte Leser der Buchtipp »Visions of Inequality, From the French Revolution to the End of the Cold War.« Österreich gehört zu den Ländern mit dem fairsten sogenannten »Gini-Koeffizienten«, einer Maßzahl, die erfunden wurde, um das Maß der Ungleichheit in der Bevölkerung zu messen. Ein Gini-Koeffizient von 1 würde bedeuten: Alle haben gleich viel. Ein Gini-Koeffizient von Null würde bedeuten: Alles ist im Eigentum einer Person. Die österreichische Gleichheit und Gerechtigkeit resultiert aus staatlichen Transferleistungen für Gesundheits-, Pensions- und Bildungswesen. Ich denke, nach der nächsten Wahl braucht es einen Grundkonsens zwischen den drei stärksten Parteien, der die Umverteilungsfrage eindeutig beantwortet: Die Umverteilung findet in Form von umfassenden Besteuerungen von Einkommen, Kapital, Lohnnebenkosten und vor allem in Form von Schulwesen, Gesundheits- und Pensionssystem bereits in höchstmöglichem Ausmaß statt. Mehr Solidarität geht einfach nicht.

Aufgabe 3. Arbeits- und Leistungsanreize setzen. Raus aus der Teilzeitfalle.
Sozialquote auf OECD-Durchschnitt bringen. Pensionssystem stabilisieren
Aktuelle OECD-Analysen bestätigen: Wer mehr als 20-30 Stunden pro Woche einer Erwerbsarbeit nachgeht, handelt unvernünftig. Teilzeit verschafft Sozialversicherungs- und Pensionsleistungen, wer von 50 Prozent auf 100 Prozent Arbeitszeit aufstockt, also das Doppelte arbeitet, bekommt netto lediglich 61 Prozent mehr aufs Konto. Österreich liegt damit am Ende der europäischen Länder (OECD-Berechnung für 2021, Agenda Austria). Zugleich träumt SPÖ-Chef Babler von der 32-Stunden-Woche. Ich habe noch keine Führungskraft, keinen Unternehmer, keinen Wirtschaftsprofessor getroffen, der die SPÖ-Forderung nach einer Reduktion der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich fachlich unterstützen würde. Keinen. Österreich ist zugleich ein Paradies an Sozialleistungen und Umlagen. Rund 30 Prozent des BIP fließen in Soziale Umverteilung. Österreich ist in diesem Ranking gemeinsam mit Frankreich und Italien an der Spitze der EU und der OECD-Länder. Im Durchschnitt der OECD-Länder liegen die Sozialleistungen bei 21 Prozent des BIP. Die Sozialausgabenquote ist seit 1990 kontinuierlich gestiegen. 1990 lag sie noch bei 26,1 Prozent. 43,5 Prozent dieser Leistungen entfallen auf Pensionen. 26,1 Prozent auf Gesundheitsversorgungsleistungen. Jegliche soziale Umverteilungsdebatten sollten unter diesem Gesichtspunkt geführt werden. Es braucht nach den Herbstwahlen einen Grundkonsens hinsichtlich des Reformbedarfes . Eine Stabilisierung des Pensionssystems ist unausweichlich. Jeder vierte Budgeteuro dient der Deckung der Pensionslasten, so der Finanzminister im Jahr 2023. Bei Gesamtauszahlungen des Budgets der Republik von rund 123,5 Milliarden Euro entfallen rund 29,5 auf die Pensionen. Das ist umso mehr bedrohlich, als bekanntlich für die Pensionen ein Versicherungssystem besteht und im Idealfall die Pensionen aus dem Versicherungskapital bedeckt werden, ohne dass es dazu eines Zuschusses aus dem Budget bedürfe. Hoffnung geben kann eine Umfrage, die zuletzt im Jahr 2023 veröffentlicht wurde, und die belegt, dass die Jugend pragmatischer wird. 48,7 Prozent der Befragten einer Studie wünschen sich ein Leben im Eigentumshaus, 25,6 Prozent zumindest in einer Eigentumswohnung. 45,6 Prozent der befragten 16- bis 29-Jährigen (Studienautor Bernd Heinzlmaier, Die Presse vom 13. 7. 2023) finden »Viel reisen« als wünschenswerten Teil der Lebensgestaltung. 60,6 Prozent finden körperliche Gesundheit als erstrebenswert. Ganz ist Österreich noch nicht verloren.

Aufgabe 4. Demografie, Sicherheit und Bildung
Die vielleicht emotionalste Baustelle ist jene, die Sicherheit, Bildung und die Frage unserer Kultur im Zusammenhang mit der massenhaften Migration betrifft. Aktuelle Daten zu Bildung und Integration besagen, dass 19,7 Prozent der in Österreich lebenden Gesamtbevölkerung eine ausländische Staatsangehörigkeit haben, dass 27,2 Prozent der Bevölkerung Migrationshintergrund haben und dass lediglich 68 Prozent derselben einer Erwerbsarbeit nachgehen. 70 Prozent der Pflichtschüler in Wien sprechen im Alltag nicht Deutsch, ein Drittel der Erstklässler kann dem Unterricht nicht folgen. Die nächste Regierung wird auch daran zu messen sein, ob es gelingt, die Zuwanderung und den Familiennachzug so zu begrenzen, dass eine stabile Schulbildung gewährleistet wird und die Formierung von Parallelgesellschaften verhindert werden kann. Laut einer Studie sind bei Zugewanderten die Ablehnung von Homosexualität und ein zweifelhaftes Frauenbild weit verbreitet. Fachleute fordern eine Bildungsoffensive (Der Standard, 27. 4. 2023). Laut einer Kurier-OGM-Umfrage vom 3. Juli 2024 wünschen sich 40 Prozent der Österreicher strengere Regeln für Asylberechtigte und Abschiebungen und ein nicht unbeträchtlicher Teil der Befragten (24 Prozent der Neos-Wähler, 19 Prozent der SPÖ-Wähler) kleinere Klassen und mehr Personal für Schulen.

Das Fazit für die nächsten Jahre
Unsere Gesellschaft leidet unter einer gewissen Saturiertheit. Die Generation der aktuellen 16-bis 29-Jährigen kann auf Erbschaften hoffen, das Arbeitsangebot und das Bedürfnis nach Vorsorge sind dementsprechend rückläufig, die Erwartungen an den Staat, was die Deckung der sozialen Bedürfnisse betrifft, ist eher im Zunehmen. Eine Schere zwischen Erwartungen und Finanzierbarkeit tut sich auf – linke Populisten wecken die Hoffnung, das alles sei durch Umverteilung bedeckbar. Die Rechnung wird ohne den Markt gemacht – der Industrie- und Wirtschaftsstandort manövriert sich über den Anstieg der Stückkosten aus selbigem, die Klimapolitik, von der hier noch gar keine Rede war, muss auf ein realistisches Tempo adaptiert werden. Es bleibt zu hoffen, dass nach den Herbstwahlen wieder Vernunft einkehrt. Das bekannte Häupl-Zitat erspare ich Ihnen.

Essay, Fazit 205 (August 2024), Foto: Marija Kanizaj

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