Der letzte Philatelist
Volker Schögler | 10. Oktober 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 206, Fazitbegegnung
Manfred Bürscher betreibt das letzte Briefmarkenfachgeschäft in Graz. Tatsächlich ist die kleine stille, aber umso tiefere Welt der Philatelie in kaufmännischer Hinsicht überwiegend ein Versandgeschäft, das auf dem analogen Postweg abgewickelt wird, wo wiederum Briefmarken für die Frankierung verwendet werden und kein schnöder Postgebühr-bar-bezahlt-Stempel.
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Vorzugsweise natürlich besondere Marken, die auch besonders sorgfältig abgestempelt werden. Schließlich kennen Briefmarkensammler verschiedene sogenannte »Erhaltungen«: gestempelt, ungestempelt, gebraucht, ungebraucht, als Briefausschnitt, postfrisch wie verausgabt, ungebraucht mit Falz oder ungebraucht ohne Gummi – honni soit qui mal y pense, allesamt fachspezifische Ausdrücke. Der 62jährige Philatelist hat nach einer kaufmännischen Ausbildung bei Meindl bereits mit 21 Jahren einen Gewerbeschein gelöst und ist damit seit 42 Jahren im Geschäft. Aber nicht nur in der winzigen, leicht zu übersehenden »City-Philatelie« in der Stubenberggasse, direkt neben dem H&M. »Wir leben vom Postversand, im Ladengeschäft zahlen wir dazu. Aber das ist es mir wert, sonst verliere ich die Basis zu den Leuten«, so Bürscher. Deshalb hat er 1991 das Geschäftslokal angemietet. Überraschenderweise verteilen sich die 50 Quadratmeter über drei Etagen. Das Verkaufslokal selbst misst gerade einmal knappe 14 Quadratmeter. In den Neunzehnsiebzigerjahren konzipiert für einen Optiker, steht das Kleinod heute unter Denkmalschutz.
Briefmarkenhändler ist genau sein Ding. Wie viele in seiner Generation wurde Manfred Bürscher schon als Kind durch ein Geschenk mit »Briefmarkenmassenware« infiziert. Er hat kein Auto und kein Handy, für die Arbeit am Computer hat er eigene Mitarbeiter, kurz, er ist eher der analoge Typ. Starkes Übergewicht drängte ihn schon früh in eine Außenseiterrolle und erst mit Hilfe einer Freundin und der Freiheit in der Selbstständigkeit gelang es ihm ab Mitte dreißig von 140 Kilos mehr als 50 zu verlieren – durch Diät und Sport. »Ich bin ein Läufer«, so Bürscher, »jeden zweiten Tag für 2 bis 3 Stunden beziehungsweise 20 bis 25 Kilometer, meistens bergauf.« So war er schon mehrmals am Großglockner, manchmal auch mit Mitarbeitern und kennt die Strecke von Heiligen Blut bis zur Kaiser-Franz-Josefs-Höhe in- und auswendig. Auch Krafttraining steht regelmäßig auf seiner Agenda, was angesichts der bis zu 30 Kilo schweren Pakete mit gewichtigem Zubehör wie Alben und Katalogen für den Postversand nur von Vorteil sein kann. Angesprochen auf den typischen Briefmarkensammler, weiß er diesen sehr klar zu beschreiben. Der Sammler von heute müsse gewisse Charaktereigenschaften haben. »Das ist eher der häusliche, reinliche und vor allem ordnungsliebende Typ. Die Zukunft der Briefmarkensammler ist jedenfalls online. Sammler gibt es seit über 170 Jahren und es wird sie auch weiterhin geben«, meint Bürscher. Weltweit die erste Briefmarke gab es 1840 in Großbritannien (One Penny Black), in Österreich beginnt die Zeit der Marken im Jahr 1850.
Bürscher handelt in seinem Versandshop im Internet mit Briefmarken aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und Liechtenstein und umfasst somit die deutschsprachigen Gebiete. Im Geschäftslokal hingegen kann man Briefmarken und Alben aus der ganzen Welt kaufen. Die Alben beginnen bereits bei fünf Euro und können bis zu mehrere tausend Euro kosten. »Ganze Alben ersparen Geld und Zeit«, sagt der Profi. Und handelt auch danach: Ständig kommt Kundschaft, sehr oft mit ererbten Sammlungen, fragt nach dem Wert und lässt sich von ihm ein Angebot machen. Wie schnell das geht, überrascht viele: »Ich sehe aufgrund meiner Erfahrung innerhalb von ein paar Minuten was es wert ist.
Das kostet auch nichts. Und wenn ich glaube etwas verdienen zu können, biete ich einen realistischen, marktgerechten Preis an, auch weil es sonst der nächste Händler macht.« Gesammelt wurde und wird in der Regel nach Ländern oder Motiven im weiteren Sinn, wie zum Beispiel Tiere, Trachten, Neunzehnfünfzigerjahre oder Bauten. Auf die Frage, ob es nicht so sei, dass das meiste einfach nichts mehr wert ist, meint der Philatelist – der natürlich selbst auch Sammler ist – dass die Chance auf wertvolle Sammlungen in der Regel dann gegeben ist, wenn der Sammler seinerzeit jedes Monat 2000 oder 3000 Schilling in Briefmarken investiert hat. Die meisten derjenigen, die sich das tatsächlich geleistet haben, waren Besserverdiener, meint er: Apotheker, Selbstständige, Beamte, Pragmatisierte. Wenn man das 30, 40 Jahre lang macht gemacht hat, dann ist wohl auch etwas von Wert zusammengekommen. Oft fragen auch Notare bei ihm an, ob eine Sammlung wertvoll genug sei, um sie nicht dem bloßen Hausrat, sondern der Erbmasse zuzurechnen. Außerdem freut sich der Händler noch immer über die 25prozentige Umsatzsteigerung im Postversand während der Coronazeit 2020 und 2021 und darüber, dass auch das heutige Umsatzniveau über jenem von 2019 liegt.
Was auch oft gefragt wird: Dass die millionenfach aufgelegte Einschilling-Mariazell-Marke von 1957 zwischen ein und 600 Euro wert ist, steht zwar im Internet, wie aber die wertsteigernden Plattenfehler, Farbnuancen und sonstigen Unregelmäßigkeiten zu erkennen und zu spezifizieren sind, weiß nur der Experte. Manfred Bürscher: »Möglichst schwarzbraun wäre das beste.«
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Manfred Bürscher wurde am 2. Februar 1962 als einer von drei Söhnen einer Hausfrau und eines Postbeamten geboren und ging in Niederschöckl in die Volks-, in der Grazer Elisabethschule in die Hauptschule. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre im Lebensmittelhandel bei Meindl. Seit 1983 ist er Briefmarkenhändler, seit 1991 betreibt er in einem denkmalgeschützten Neunzehnsiebzigerjahregeschäft in der Stubenberggasse 5 in Graz die »City-Philatelie«.
Fazitbegegnung, Fazit 206 (Oktober 2024) – Foto: Andreas Pankarter
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