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Mit Laib und Seele

| 10. Oktober 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 206, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Nicht umsonst wurde die Bäckerei Jechart im weststeirischen Edelschrott dreimal hintereinander von Falstaff-Lesern zum beliebtesten Bäcker der Steiermark gewählt. Der mehr als 90 Jahre alte Betrieb ist einer der letzten Bäcker in der Region. Für die Zukunft stellt sich daher die Frage, wer will heute noch Bäcker werden?

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Wenn es stimmt, dass Erfolg einem recht gibt, muss man damit rechnen, regelmäßig nach dem Geheimnis des Erfolges befragt zu werden. Oder nach dem Rezept, was bei einem Bäcker die naheliegendere Frage wäre. – Die die bekannte Philosophentruppe Monty Python wohl mit »ganz einfach: Arbeit und Natursauerteig« beantwortet hätte, um sich in der Folge aufgrund der Komplexität der Frage heilvoll zu verheddern. Die mutigste Art einer Antwort. Denn »Antworten werden überschätzt«, wie der Autor Thomas Glavinic einen Akteur in einem seiner Bücher sagen läßt. Zumindest werden sie überbewertet, denn der Trick mit den Fragen ist, nicht immer gleich eine schnelle Antwort zu erwarten, sondern sich vielmehr mit ihrer Hilfe eine Erkenntnis zu erarbeiten.

Das Geheimnis der Reife
Um beim Thema zu bleiben: Die Erkenntnis, Roggenbrot mit Natursauerteig herzustellen, war zumindest in nichtländlichen Gebieten bis zu den neunzehnsiebziger Jahren weitgehend verlorengegangen. Wovon in erster Linie die Backmittelhilfsindustrie profitierte, allerdings sprichwörtlich auf Kosten des guten Geschmacks. Dieser blieb dem selbstgebackenen Brot der Bauern vorbehalten. Erst der langsam wachsende Einfluss von Reformhäusern und der Öko- und Biobewegung schaffte wieder mehr Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Gesundheit und Wohlbefinden. Wenn auch mit vielen Ab- und Umwegen, aber das ist auch heute noch so und typisch für die Wege zu Erkenntnissen. Franz Jecharts Weg war diesbezüglich ein leichterer. Weder er, noch sein Vater oder sein Großvater – der die Bäckerei 1932 gegründet hat – haben jemals auf den natürlichen Sauerteig als Triebmittel und Säureschutz verzichtet, geschweige denn vergessen: »Wir haben diese Teigsäuerungsmittel in Pulverform nie verwendet.« Man erkennt: Ein erarbeiteter und langfristig gepflegter guter Ruf ist ein fundamentaler Teil des Erfolgsgeheimnisses. Auch Reife mag dazugehören, hier im doppelten Wortsinn. Abgesehen von Schillers überzeugender Aussage über Einfachheit (»Simplicität ist das Resultat der Reife«), weiß ein Franz Jechart über Reifungsprozesse von Teigen Bescheid. Er zeigt uns einen grossen Kessel, dessen Inhalt mit einer Plane abgedeckt ist. Darin lagert und arbeitet seit rund 40 Jahren sein Sauerteig. Er wiegt gute 45 Kilogramm. Die Abdeckung sorgt dafür, »dass er nicht hautig wird und schön gehen kann«. »Eigentlich kann jede Hausfrau einen Sauerteig einfach selbst herstellen«, so der Bäckermeister. Das Rezept: Wasser und Roggenmehl werden vermischt, 24 Stunden stehengelassen und dann wieder vermehrt. Das heißt, wenn zum Beispiel ein Kilogramm aus dem Kessel entnommen wird, wird dieser wieder mit Wasser und Mehl vermischt, um einen neuen Sauerteig heranreifen zu lassen. So bleibt die Sauerteigmenge stets erhalten. Jechart: »Zwölf Stunden nach der Vermischung riecht man schon die Säure. Nach weiteren zwölf Stunden ist der Sauerteig fertig.«

Alpenbrot und Lipizzanerbrot
Die beiden Leitprodukte, für die die Bäckerei Jechart berühmt ist, heißen Alpenbrot und Lipizzanerbrot, beides Roggenbrote. Beim Alpenbrot offenbart sich ein weiteres Geheimnis. Auch die Form bestimmt den Geschmack: Der Laib schmeckt anders als der Wecken. Obwohl für beide Brote der gleiche Teig verwendet wird, schmecken sie unterschiedlich. Meister Jechart zeigt uns, wie er den Teig knetet: »Der Teig für den Laib wird rundgewirkt, während der Wecken noch einmal eingeschlagen wird. Allein dadurch schmeckt es schon anders.« Außerdem kommt der Wecken in eine Form, was verhindert, dass etwa die Rinde so knusprig ausfällt wie beim »freigeschossenen« Laib, wie es im Bäckerjargon heißt. Das Lipizzanerbrot hingegen schmeckt schon deshalb anders, weil dem Teig Kümmel, Fenchel und Kürbiskerne beigemischt werden. Alles in Handarbeit natürlich. »Ich mache es aus dem gleichen Roggenteig, aus dem ich das Alpenbrot mache, es kommt in keine Form und es wird nicht eingeschlagen, sondern nur auf Holzbretter gelegt. So wird es nach der Gärzeit in den Ofen eingeschossen und hat dann auch eine komplett andere Konsistenz als die anderen Brote. Auch hier spielt die Formgebung des Teigs eine wichtige Rolle für den Geschmack.« Entstanden ist das Lipizzaner-Brot mit dem eingeprägten Pferdekopf auf Anregung der regionalen Dachmarke »Lipizzanerheimat«, erfunden und kreiert hat es aber Franz Jechart selbst. Für das rustikale Alpenbrot mit der knusprigen Rinde hingegen ist die Bäckerei schon seit vier Jahrzehnten über die Region hinaus bekannt, weil es bereits vom Vater Erwin vor 40 Jahren erstmals präsentiert wurde. Es entsteht bei einer Anfangstemperatur von 260 bis 270 Grad, die dann auf 190 Grad reduziert wird. Die Backzeit für den Einkilolaib beträgt zwischen 70 und 75 Minuten. Dann folgt die Klopfprobe: »Es muss hohl klingen«, erfahren wir. Der Kilolaib des Alpenbrots kostet 4,50 Euro. Besonders gut zeigen sich die Unterschiede im Geschmack auch beim Weißgebäck. »Ein Panino wird aus demselben Teig gemacht wie eine Semmel, schmeckt aber bekanntlich völlig anders – ebenfalls nur wegen der Form und der Struktur«, erklärt uns Bäckermeister Jechart.

In seiner Bäckerei werden täglich 300 Kilo verschiedene Brotsorten sowie 2000 Maschinensemmeln produziert, das Stück zu 45 Cent, und 30 bis 40 handgemachte Semmeln, das Stück zu 80 Cent. Insgesamt stehen rund 200 Bäckereiprodukte auf der Preisliste: Von den exklusiven Jechart-Spezialitäten Lipizzanerrad und Abazia, vom Buttercroissant und Brioche, über Kipferl und Kirschenstrudel, Krapfen und Kürbiskernbrot, über Reindling und Rosinenweckerl bis zu Zimtschnecke und Zwetschkenstrudel.

Was ist Arbeit?
Damit wären wir beim eingangs erwähnten zweiten Erfolgsgeheimnis, der Arbeit. Ein Bäckereimitarbeiter hat zwar eine Vierzigstundenwoche, zugleich aber eine Sechstagewoche. Franz Jechart hat als Chef eine Siebentagewoche und ist mehr oder minder 24 Stunden am Tag erreichbar. Freizeittechnisch gesehen bedeutet das, seit Jahren keinen Urlaub gehabt zu haben; bestenfalls gehen sich zwei sonntägliche Stunden zum Schifahren am Salzstiegl aus, wo er vor 40 Jahren auch seine Frau Heidelinde am Lift kennengenernt hat. Die übrigens just am Tag unseres Besuchs ihre Pension als – nunmehr ehemalige – Gymnasiallehrerin antrat. So hoffen die beiden ehemaligen Alfisti nun zumindest einen der beiden Porsche 911 öfter nutzen zu können. Der 71jährige Bäckermeister weiß selbst um seine »Achtzig- bis Neunzigstundenwoche«, meint aber gelassen, dass sich Arbeit, die man gern macht, nicht als solche anfühle. »Meine Firmenphilosophie ist es, auf erstklassige Qualität zu setzen, einen guten Preis dafür zu erzielen und sich nicht dem Handel auszuliefern. Man muss heute als Unternehmer sehr flexibel, verlässlich, pünktlich und positiv denkend sein und sich immer weiterbilden.« Diese Worte setzt er auch konsequent um. Die Arbeit eines Bäckers beginnt nach wie vor sehr zeitlich, nämlich um 1 Uhr 30 in der Früh. »Ein bisschen hat es sich in den Tag hinein verschoben, weil man wegen der Kühlungsmöglichkeit für Teige am Vormittag arbeiten kann, aber Brot braucht seine Zeit. Das geht nicht anders. Wenn man Kunden beliefert, muss man spätestens gegen 5 Uhr 30 oder 6 Uhr vor Ort sein.«

Zeit, zu Investieren
Der seinerzeitige Juniorchef hat 1996 mit 43 Jahren den Betrieb vom Vater übernommen. Aber wie so oft in Familienunternehmen hatte der Senior andere Vorstellungen und das letzte Wort: »Da gab es schon eine gewisse Hemmung.« Erst nach dem Tod des Vaters im Jahr 2003 – Franz war 50 Jahre alt – eröffneten sich neue Möglichkeiten. »2004 hat die Therme Nova eröffnet und die wollte ich von Anfang an beliefern.« Als Wirtschaftkammerfunktionär war er immer gut informiert und schaffte es, zunächst gemeinsam mit der Grazer Bäckerei Sorger, Lieferant zu werden. Nach einem Wechsel in der Geschäftsführung wurde mehr Wert auf regionale Zulieferer gelegt, so wurde er vor genau 20 Jahren alleiniger »Haus- und Hofbäcker« der Therme. »Da wusste ich, jetzt musst du investieren.« Und so geschah es auch. 2004 waren es 120.000 Euro für eine neue Kühlung und einen Stikkenofen, später ein zweiter Stikkenofen, vor einigen Jahren noch einmal eine große Kühlfläche um 100.000 Euro und 2022 ein Etagenbackofen mit Beschickung sowie eine Verstärkung und Erweiterung der Stromanlage – inklusive Baumeisterarbeiten eine Investition von rund 200.000 Euro, alles ohne Fremdmittel. Ausnahme war nur der Mehrere-100.000-Euroumbau des angeschlossenen Kaffeehauses, das er von seiner Tante 2010 erwarb und so wie zu seines Großvaters Zeiten der Bäckerei anschloss. In dieser Café-Konditorei mit vier bis sechs Mitarbeitern findet auch der Verkauf der Backwaren statt. Obwohl die meisten der weiteren sechs Mitarbeiter in der Bäckerei verwandt sind, ist die Nachfolgefrage im Familienbetrieb noch offen. Der Betrieb mit einem Umsatz von rund 900.000 Euro verfügt über einen gesunden Mix aus Groß- und Privatkunden. Neben der Therme und dem Kurhotel Nova werden etwa auch der Sparmarkt in Rosental sowie Spar und Billa in Köflach beliefert oder auch das »Moasterhaus« und das Salzstieglhaus in Hirschegg. Auch das sogenannte Wacht- oder Bestattungsbrot, eine weststeirische Besonderheit, die dem Osterbrot ähnelt, wird bei den meisten Sterbefällen im Einzugsgebiet bei der Bäckerei Jechart geordert. Und nach wie vor wird »ins Gai« gefahren. So heißt das hier, wenn der Bäckerwagen kommt und durch Hupen signalisiert, dass direkt aus dem Auto verkauft wird. Stolz ist Franz Jechart auf eine Firmenbewertung, die er vorausschauend in Auftrag gegeben hat: »Der Sachverständige hat gesagt, dass wir bei unserer Betriebsgröße österreichweit ganz vorne sind.« Der außergewöhnlich jugendlich wirkende Unternehmer konstatiert für sich selbst, ebenfalls überrascht zu sein, noch immer über so viel Energie zu verfügen und führt dies auf seine sportliche Vergangenheit, die erworbenen guten Erbanlagen von seiner heute 89jährigen Mutter sowie den Umstand zurück, dass er wenig isst. Seine einzigen Bedenken nach dem 90. Firmenjubiläum vor zwei Jahren: »Zum hundertsten Jubiläum in acht Jahren wäre ich 79 – das möchte ich mir nicht antun.« Da ist sie wieder, die Nachfolgefrage.

Alpenbrot Bäckerei Jechart GmbH
8583 Edelschrott, Packer Straße 4
Telefon +43 3145 294
alpenbrot.at

Fazitportrait, Fazit 206 (Oktober 2024) – Fotos: Heimo Binder

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