Einladung zum Nachdenken
Redaktion | 14. November 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 207, Kunst und Kultur
Das Erstlingswerk des steirisch-oberösterreichischen Autors Robert Eichenauer lädt zum Nachdenken über Tiefen und Untiefen des menschlichen Charakters ein.
::: Text von Reinhard Marczik
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Bardo« – ein Begriff aus der buddhistischen Lehre, der einen krisenhaften Zwischenzustand mit dem Ziel beschreibt, uns vom gewöhnlichen Geisteszustand mit all seinen Verblendungen zu befreien. Und gleich vorweg: Dieses Ziel erreicht der steirische Autor Robert Eichenauer (die oberösterreichischen Wurzeln können inzwischen als leidlich überwunden gelten) jedenfalls.
Sechs Kurzgeschichten
Wer nach dem Lesen jeder einzelnen der sechs Novellen im Erzählband »Bardo« nicht ins Grübeln über die Menschen oder besser den Menschen an sich oder gar sich selbst und stellenweise auch die Gesellschaft kommt, hat das Denken wohl an die Pferde ausgelagert, weil die größere Köpfe haben. Eine Einladung zum Nachdenken also, der man sich kaum entziehen kann, als vollwertiger Ersatz für intellektuell-philosophische Diskussionsnachmittage (oder -nächte) im Freundeskreis.
Eichenauer nutzt die fiktiven, aber plausiblen Krisen der Protagonistinnen und Protagonisten seiner Geschichten, um uns nicht nur einen Spiegel vorzuhalten, vielmehr leuchtet er mit einem Suchscheinwerfer die Tiefen und Untiefen aus, die wohl in jedem Charakter verborgen sind. Lustvoll reflektiert er beim Erzählen seine literarischen Vorbilder von Thomas Bernhard (eindeutig) bis Hermann Hesse (vielleicht), auf Dostojewski und andere lässt er seine Figuren gerne selbst Bezug nehmen.
Klar erzählt
Von der strengen Klarheit in der Erzählung über Anna, ein Bauernmädchen das zuerst die Erniedrigungen eines Lebens als Magd erfahren muss, bis sie als Schriftstellerin zu sich selbst findet, aber es nicht mehr schafft, die Leibesfrucht der als Magd erlittenen Vergewaltigung zu lieben, über die Ambivalenz einer verwöhnten jungen Frau, die die im buddhistischen Kloster gewonnenen Einsichten als Argumente ihrer Abgrenzung nützt, und auch die Auseinandersetzung zwischen jugendlicher Tatkraft und erwachsener Abgebrühtheit im Umgang mit der Radikalisierung unserer Gesellschaft, reicht der Bogen der ersten drei Geschichten. In der zweiten Hälfte spielt der Autor mit dem Thema »Gelassenheit«, zeigt auf, wie Boulevardjournalismus der Gesellschaft schaden kann, und scheut auch nicht vor der Auseinandersetzung mit der Ignoranz gegenüber der eigenen Gesundheit zurück.
Fazit: Bardo bietet Nudging zum Nachdenken meist außerhalb jener Krisen, die uns ohnehin tagtäglich beschäftigen, eine Entführung in schönere Welten zum Abschalten will es nicht sein.
Bardo von Robert Eichenauer
Taschenbuch, 208 Seiten, Österreich 2023
Eigenverlag, ca. 20 Euro
Alles Kultur, Fazit 207 (November 2024), Foto: Faksimile
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