Eisige Selbstfürsorge
Carola Payer | 14. November 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 207, Serie »Erfolg braucht Führung«
Carola Payer im Gespräch mit dem Kältetrainer und »Eisbader« Bernhard Friedrich.
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Ein Meer an Informationen prasselt tagtäglich auf uns ein, ein »Change« nach dem anderen gibt sich im beruflichen Umfeld die Hand. Basissysteme des Lebens verändern sich und fordern jahrzehntelange Gewohnheiten plötzlich aufzugeben. Stress, Hektik, ständige Erreichbarkeit und Aktionismus dominieren den Alltag vieler Menschen. Gleichzeitig vermitteln die Ereignisse in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft das Bild, das keiner so genau weiß, was auf uns zukommt. Das verringert auch Optimismus und die Zuversicht in die Zukunft. Körper, Seele und Geist schreien nach Pause, Ruhe, Balance und dem Gefühl der inneren Sicherheit. Selbstfürsorge wird hier schon zur Pflicht, um noch aufmerksam und motiviert durchs Arbeits- und Berufsleben zu kommen. Selbstfürsorge heißt, sich mehr Zeit für sich selbst zu nehmen und sich darum zu kümmern, dass es einem gut geht – geistig, seelisch und körperlich. Eigene Bedürfnisse und das eigene Wohl rücken dabei ebenso in den Fokus wie der Schutz vor Belastungen und Selbstausbeutung. Bernhard Friedrich: »Die Menschen sind sehr viel mit Ihrer Wahrnehmung im Außen und nehmen sich selbst nur mehr wenig wahr. Viele versuchen etwas zu erreichen, das wenig mit ihnen selbst zu tun hat. Viele haben die Verbindung zu sich verloren.« Bernhard Friedrich sieht aber auch einen Verlust der Fähigkeit, resilient zu sein: »Wir leben in einer Komfortgesellschaft. Das ist eine große Errungenschaft. Jedoch haben wir verlernt, uns mit Schwierigkeiten auseinanderzusetzten. Ich werde immer gut in dem, was ich übe. Viele junge Menschen haben Probleme, schwierige Situationen zu bewältigen, weil es ihnen fremd ist. Sie haben keine Erfahrung darin. Da entsteht dann eine Form der Passivität, die ich kritisch sehe.«
Kaltes Wasser, klarer Kopf. Entspannung auf allen Ebenen
Eine Methode, die in den letzten Jahren an Popularität gewonnen hat, ist das Eisbaden. Bernhard Friedrich hat sich selbst und als Dienstleister für Kältetraining dieser trendigen Freizeitaktivität verschrieben. Während diese Praxis auf den ersten Blick für viele abschreckend wirken mag, erweist sich das Bad in eiskaltem Wasser für viele als kraftvolle Form der Selbstfürsorge. Eisbaden bedeutet, in kaltem Wasser zu baden – in der Regel bei Temperaturen unter zehn Grad Celsius. Oft findet es im Winter in natürlichen Gewässern statt, wenn Seen, Flüsse oder das Meer fast zugefroren sind. Bernhard Friedrich erzählt von einem beeindruckenden Eisbade-Erlebnis des heurigen Jahres: »Das war zu dritt im Jänner am zum Großteil zugefrorenen Tieberteich. Wolkenloser Himmel, null Grad Wassertemperatur. Das Eis bewegte sich mit den Wellen, die wir verursachten und machte dabei ein mystisches Geräusch.« Einige Menschen praktizieren Eisbaden in speziell vorbereiteten Eiswannen oder mit Kältebädern zu Hause. Was früher vor allem als extreme Form des Sports oder als Teil nordischer Traditionen galt, ist heute eine anerkannte Methode zur Stärkung des physischen und psychischen Wohlbefindens.
Körperliche Vorteile des Eisbadens
Bernhard Friedrich: »Viele tun es für ihre Gesundheit. Eisbaden heißt, dass ich es in einem Temperaturbereich mache, wo ich muskulär und körperlich noch immer entspannt bin, nicht verkrampfe und den Atem kontrolliere und meinen gesamten Körper wahrnehme. Atmen ist das Mittel, um Stress zu regulieren, und ich kann mit der Atmung sehr gut die innere Entspannung fördern. Das Motto hier ist: Langsam anfangen und langsam steigern, damit sich der Körper an diesen Kälteimpuls gewöhnt. Manche haben gesundheitliche Probleme, die sie zwingen, es zu machen. Es hat eine schmerzstillende Wirkung. Man sollte aber immer vorher einen Arzt konsultieren. Ungeeignet ist das Eisbaden für Menschen mit Herz-, Gefäß- und Nierenerkrankungen sowie bei akuten Infekten.«
Die wissenschaftlich erforschten Effekte des Eisbaden zeigen, dass es eine Vielzahl von körperlichen Vorteilen mit sich bringt: Stärkung des Immunsystems etwa, also wenn kaltes Wasser das Immunsystem aktiviert, was die Produktion weißer Blutkörperchen anregt. Diese sind maßgeblich daran beteiligt, den Körper gegen Infektionen und Krankheiten zu schützen. Regelmäßiges Eisbaden kann daher langfristig die Abwehrkräfte stärken. Oder verbesserte Durchblutung: Beim Eintauchen ins kalte Wasser ziehen sich die Blutgefäße zunächst zusammen, um die Wärme zu speichern. Sobald man das Wasser wieder verlässt, weiten sich die Gefäße, und die Durchblutung wird angeregt. Dies fördert nicht nur die allgemeine Herz-Kreislauf-Gesundheit, sondern kann auch bei Muskelkater oder Gelenkschmerzen Linderung verschaffen. Und Regeneration und Entzündungshemmung: Athleten schwören seit langem auf Kältebäder zur schnelleren Regeneration nach intensiven Trainingseinheiten. Kaltes Wasser hilft dabei, Entzündungen zu reduzieren und Muskelkater vorzubeugen. Auch bei chronischen Entzündungen können Kältebäder hilfreich sein. Schließlich Fettverbrennung und Stoffwechsel: Eisbaden fördert die Aktivierung des sogenannten braunen Fettgewebes, das in der Lage ist, Wärme zu erzeugen. Dadurch wird der Stoffwechsel angeregt und es werden mehr Kalorien verbrannt.
Mentale Vorteile des Eisbadens
Bernhard Friedrich: »Kälte ist immer Stress für den Körper. Die Stresshormone werden bei regelmäßiger Anwendung von Kältetraining weniger und das überträgt sich dann in alle Lebensbereiche. Man wir einfach klarer und aufmerksamer.« Neben den körperlichen Vorteilen hat Eisbaden eine starke psychische Komponente, die es zu einer effektiven Methode der Selbstfürsorge macht, etwa Stressabbau: Kaltes Wasser wirkt wie ein »Schock« auf das Nervensystem und sorgt dafür, dass der Körper Adrenalin freisetzt. Gleichzeitig werden Endorphine (»Glückshormone«) ausgeschüttet. Bernhard Friedrich: »Man ist danach euphorisch, sehr lebendig und glücklich.« Eisbaden trainiert den Körper und Geist, mit extremen Bedingungen umzugehen. Es erfordert Mut und Überwindung, sich bewusst in eine unbequeme Situation zu begeben, doch diese Erfahrung stärkt das Selbstbewusstsein und die mentale Widerstandsfähigkeit. Menschen, die regelmäßig Eisbaden, berichten oft, dass sie auch in anderen Lebensbereichen gelassener und stressresistenter geworden sind.
Beim Eisbaden gibt es keinen Platz für Ablenkungen. Die intensive Kälte zwingt einen, vollkommen im Moment zu sein und auf den eigenen Atem zu achten. Diese Achtsamkeit und Konzentration helfen dabei, den Geist zu klären und sich von Alltagssorgen zu lösen. Es ist eine Form der Meditation, bei der man ganz in seinem Körper und seiner Umgebung ankommt. Und schließlich die Überwindung von Ängsten: Für viele Menschen ist die Vorstellung, in eiskaltes Wasser zu steigen, mit Angst und Unbehagen verbunden. Doch genau diese Überwindung macht Eisbaden so wertvoll: Es bietet die Möglichkeit, seine Komfortzone zu verlassen und sich mit Ängsten zu konfrontieren. Das Gefühl der Stärke und des Stolzes nach einem Eisbade-Erlebnis kann das Selbstvertrauen erheblich steigern. Bernhard Friedrich sieht in seinen Gruppen, die er begleitet: »Eisbader sind aufgeschlossen und ein wenig abenteuerlustig. Sie haben die Erfahrung schon gemacht, an Grenzen zu gehen. Durch das Eisbaden kann ich lernen, meinen Stress besser wahrzunehmen, ich trainiere meine Selbstwahrnehmung und lerne dadurch zu wissen, ob ich ein langes oder ein kurzes Eisbad brauche oder ob ich darauf verzichten soll. Man muss sich selbst in der Kälte kennenlernen. Kälteresilienz zu entwickeln, ist Trainingssache.«
Für Anfänger gilt, langsam zu starten. Ein kaltes Bad muss nicht sofort im eisigen Wasser eines Sees stattfinden. Man kann sich mit kalten Duschen oder kurzen Abkühlungen an die niedrigen Temperaturen gewöhnen. Wer sich auf diese kalte Herausforderung einlässt, kann tiefe Einsichten über sich selbst gewinnen und gestärkt in den Alltag zurückkehren. Die Wirkung wird intensiviert bei regelmäßiger Anwendung. Bernhard Friedrich: »Ich habe Methoden entwickelt, ohne dass man leiden muss und ohne dass es schwer ist, ins kalte Wasser zu gehen. Mich treibt der gesundheitliche, emotionale und mentale Aspekt an und ich habe auch enormen Spaß dabei. Das möchte ich auch anderen Menschen vermitteln und weitergeben.«
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Dr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at
Fazit 207 (November 2024), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 74), Foto: Marija Kanizaj
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