Ölquellen der Zukunft
Josef Schiffer | 14. November 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 207, Fazitportrait
Das steirische Familienunternehmen Münzer Bioindustrie produziert aus Altspeisefetten und -ölen den Löwenanteil des Biodiesels, der zur Beimischung im Dieselkraftstoff dient. Das in Sinabelkirchen ansässige Unternehmen wurde 1991 von Ewald Münzer gegründet und wird heute von den Söhnen Ewald-Marco und Michael geführt. Neben Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft steht die weitere Internationalisierung über Europa hinaus auf ihrer Agenda.
::: Hier im Printlayout online lesen
Heute kaum mehr vorstellbar: Noch Anfang der Neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bestand ein nur geringes Bewusstsein hinsichtlich der Entsorgung von flüssigen Abfällen, die eine enorme Gefahr für Trinkwasser und Umwelt darstellen. Die Trennung von festen Wertstoffen war schon längst etabliert, als man einsehen musste, dass man auch Altspeiseöle und ähnliche Substanzen nicht weiterhin in überforderte Kläranlagen oder gar auf Mülldeponien entsorgen konnte. Ewald Münzer senior erkannte im Jahr 1991 die Zeichen der Zeit und gründete in Gleisdorf sein vorerst noch kleines Unternehmen, das sich auf die Marktlücke der Entsorgung von Altspeisefetten sowie Kanalreinigung spezialisierte. Durch die verpflichtende Installation von Fettabscheidern in Gastronomie und anderen Großküchen wurde die Sammlung von Altspeiseölen grundlegend vereinfacht und automatisiert.
Pionier der Biodieselherstellung
In nur wenigen Jahren ging Ewald Münzer den innovativen Schritt weiter von der Entsorgung hin zur Verwertung und stieg 1999 in den Geschäftsbereich der Produktion von abfallbasierten Biokraftstoffen ein. Er leistete Pionierarbeit bei der Umsetzung der bis heute angewendeten Technologie in die Praxis, die am Institut für Organische Chemie an der Karl-Franzens-Universität Graz im Lauf der Neunzehnachtzigerjahre erforscht wurde, um aus Altspeisefetten und -ölen einen alternativen Energieträger herzustellen. Dieser Herstellungsprozess wurde im Laufe der Neunzehnneunzigerjahre unter anderem von »BDI BioEnergy International« zur Industriereife geführt. Im Jahr 2004 wurde im Rahmen der Unternehmensgruppe die Biodiesel Vienna GmbH gegründet und im Wiener Ölhafen Lobau 2006 die größte Biodieselproduktionsanlage Österreichs in Betrieb genommen. Dort werden jährlich rund 140.000 Tonnen Biodiesel, rund zwei Drittel der Produktionskapazität des Konzerns, erzeugt.
Stolz auf Standort Steiermark
Im Jahr 2014 kam mit dem Erwerb des Standorts Gaishorn im Paltental eine zweite Erzeugungsanlage zum Unternehmen, die jährlich rund 70.000 Tonnen Biodiesel produziert. Hier wurden von Münzer Bioindustrie in den vergangenen zehn Jahren rund 10 Mio. Euro investiert. Für die Identität als in der Steiermark verwurzeltes Unternehmen spielt der Standort eine wichtige Rolle, erklärt CEO Ewald-Marco Münzer nicht ohne Stolz. Ein Vorteil des Standortes ist auch, dass die Abfallenergie des Nachbarunternehmens Cycleenergy in Form von Wärme und Dampf als Primärenergie für die Biodieselproduktion genutzt werden kann. Als Nebenprodukte fallen an beiden Standorten Kaliumsulfat, der als Dünger dient, sowie pharmazeutisches Glycerin an, das in der Medizintechnik sowie für Frostschutzmittel breite Anwendung findet und unter anderem zur Herstellung von Desinfektionsmitteln verwendet wird. Heute betreibt Münzer mit rund 530 Mitarbeitern weltweit 15 Standorte in neun Ländern: neben Österreich, Deutschland und anderen Ländern Europa seit einiger Zeit auch in Indien, Bangladesch und Kenia. Mit einem Gesamtumsatz von 475 Mio. Euro hat sich das Unternehmen in den Top 20 der steirischen Unternehmen etabliert. Beim Wirtschaftswettbewerb des Landes – Austria’s Leading Companies – im Oktober 2023 wurde Münzer Bioindustrie mit dem 2. Platz in der Kategorie Großbetriebe in der Steiermark ausgezeichnet, um nur einen der vielen inzwischen eingeheimsten Preise anzuführen.
Von der Fritteuse in den Tank
Wie wird nun aus altem Speiseöl für die Verwendung in Kraftfahrzeugen geeigneter Biodiesel? Der erste Schritt besteht in der umweltgerechten Sammlung von Altspeisefetten. Das geschieht auf mehreren Wegen sowohl für Großkunden als auch für Privathaushalte. »Den Kunden in Gastronomie und Hotellerie bieten wir einen umfassenden Rundumservice, der die einfache und saubere Sammlung, die verlässliche Abholung sowie die fachgerechte und vorschriftskonforme Entsorgung von Altspeiseölen garantiert«, erklärt Ewald-Marco Münzer. Der Anspruch dabei ist es, verlässliche und saubere Lösungen anzubieten, die praktikabel und vor allem hygienisch sind. Für die Sammlung von Ölabfällen aus Haushalten wurde eine eigene Münzer-Altspeiseöltonne konzipiert, die an öffentlichen Sammelstellen zu finden ist. Aus einem Liter Altspeisefett entsteht in den Produktionsanlagen von Münzer etwa ein Liter Biodiesel, technisch gesprochen Fettsäuremethylester, mit dessen Verwendung sich im Vergleich zu fossilem Diesel circa drei Kilogramm Kohlendioxid einsparen lassen. Dieser als Umesterung bezeichnete Prozess geschieht unter Zugabe von Methanol und Kaliumhydroxid zur Grundmasse, die neben Altspeisefett auch technische Öle, wie Raps- oder Sojaöl enthält, die für den menschlichen Verzehr nicht geeignet sind. Rund die Hälfte des fertigen Biodiesels wird per Pipeline an die OMV weitergeleitet, die andere Hälfte per Lkw und Zug möglichst klimaneutral zu anderen Raffinerien transportiert.
Konzernzentrale in Sinabelkirchen
Bereits wenige Jahre nach dem Erwerb der Biodieselanlage in Wien/Lobau wurde klar, dass der ursprüngliche Firmenstandort in Gleisdorf den neuen Anforderungen weder platzmäßig noch von der technischen Seite mehr genügen konnte. Die Wahl des Standortes für die neue Firmenzentrale fiel auf das Gewerbegebiet Untergroßau, das – an der Autobahnauffahrt Sinabelkirchen gelegen – eine ideale Verkehrsanbindung bietet. Das im Jahr 2010 errichtete Headquarter beinhaltet nicht nur die Bürogebäude für Konzernleitung und -verwaltung, sondern auch Lagerhallen für Sammelbehälter sowie moderne Infrastruktur für die Logistik. In den vergangenen Jahren wurden und auch zurzeit werden die vorhandenen Strukturen weiter ausgebaut, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Für Ewald-Marco Münzer ist es ein Anliegen, sich trotz der voranschreitenden Internationalisierung weiterhin als genuin steirisches Familienunternehmen zu verstehen. Ein Markenzeichen für das Unternehmen ist die Gestaltung der Firmen-Lkw mit der markanten weißen Grundfarbe, die schon beim ersten Fuhrpark des Firmengründers zur Anwendung gekommen ist. Damit verbindet sich, erklärt Münzer, ein sichtbares Statement, die höchsten Ansprüche an Sauberkeit und Sicherheit für die Mitarbeiter zu erfüllen. Dazu gehört auch die Bereitstellung von regelmäßig gereinigten Sammelbehältern bei den Kunden und Abfallverbänden.
Erhöhte Beimengung erwünscht
Seit 2003 gibt es eine EU-Richtlinie, die den vermehrten Einsatz von Biokraftstoffen im Verkehr umsetzen soll. Die Verwendung solcher Biokraftstoffe zur Reduktion der Kohlendioxidemissionen erfolgt in Österreich seit Oktober 2005 in erster Linie durch die Beimischung von Biodiesel zu Diesel bzw. von Bioethanol zu Benzin. Mit Jänner 2009 wurde die Möglichkeit der Beimischung von Biodiesel auf maximal sieben Prozent erhöht. Die Umstellung erfolgte weitgehend problemlos und führt nur in seltenen Fällen bei älteren Fahrzeugen mitunter zu Problemen. Ewald-Marco Münzer sieht es daher als überfällig, dass hier über eine weitere Erhöhung des Biodieselanteils auch seitens der Politik nachgedacht wird und endlich neue Rahmenbedingungen geschaffen werden. »Wir sprechen hier von enormen Potenzialen für die weitere Reduktion von Kohlendioxidemissionen. Allein im Jahr 2022 wurden durch Biokraftstoffe in Österreich rund 1,32 Mio. Tonnen Kohlendioxid eingespart. Eine Erhöhung des Biodieselanteils von derzeit noch B7 auf B10 könnte zusätzlich über eine Million Tonnen einsparen. Die Argumentation dafür ist bestechend, denn so könnte man auf relativ einfachem Weg rund 25 Prozent der Pariser Klimaziele erfüllen«, so Münzer.
Internationalisierung macht gesund
Schon längst wächst das Unternehmen nicht mehr nur in Österreich. Seit kurzem rollt Münzer Bioindustrie ihr bewährtes Sammelsystem auch in Deutschland aus. Damit leistet das österreichische Familienunternehmen Pionierarbeit, denn als erster privater Dienstleister nimmt man sich der Sammlung des vermeintlichen Abfallstoffes in unserem Nachbarland systematisch an. Aber auch weit über Europa hinaus ist das Knowhow der steirischen Biodieselpioniere weltweit gefragt. Eine Anekdote, wie es dazu durch einen kuriosen Anlass gekommen ist, hat sich laut Münzer vor einigen Jahren zugetragen, als der indische Erdölminister mit seiner Delegation Österreich besuchte. Zum Erstaunen von Münzer interessierte er sich auch sehr für die Biodieselerzeugung. Der Grund dafür stellte sich im Gespräch mit ihm rasch heraus: Wie in vielen Ländern des Südens ist es auch in Indien verbreitete Praxis, dass Speiseöl in fast endlosen Schleifen vom gehobenen Hotel bis zur kleinen Straßenküche weiterverwendet wird. Die wiederholte Erhitzung der Fette führt bei den Konsumenten zu einer erhöhten Dioxinbelastung, die sich in hohen Herzinfarktraten bei unter 30-Jährigen niederschlägt. Darum sind die Regierungen dieser Länder bestrebt, die Verwendung von gebrauchten Ölen durch Sammlung einzudämmen. Inzwischen sammelt Münzer an 24 Standorten in Europa, Asien – darunter Indien und Bangladesch – sowie Kenia Altspeisefette und nutzt diese zur Energieerzeugung. Damit leistet das Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zur gesundheitlichen Situation in diesen Regionen sowie zum Klima- und Umweltschutz.
Zukunftspläne für eigene Biogasanlage
Zukünftig plant das Unternehmen, auch die in der Produktion abfallenden festen Bioabfälle, etwa Lebensmittelreste, selbst weiter zu verwerten und in eigenen Anlagen in Biogas zu verwandeln, weil sich das ideal mit dem Kerngeschäft verbinden lässt. Mit dem im EU-Ministerrat beschlossenen »Erneuerbares-Gas-Gesetz« wäre die Voraussetzung geschaffen, Biogas direkt in Gaspipelines einzuspeisen. Es konnte vor Ablauf dieser Legislaturperiode seitens der Politik in Österreich nicht mehr beschlossen werden, womit Münzer jedoch für die kommende Regierungsperiode rechnet. Zunächst gelte es noch abwarten und sich auf längerfristiges Projekt einzustellen, aber die Pläne für die Errichtung einer firmeneigenen Biogasanlage im Norden von Wien sind bereits fortgeschritten. Sobald der Genehmigungsprozess für das 40-Millioneneuroprojekt abgeschlossen ist, kann gebaut werden; der Start der Produktion ist angesichts der Gesetzeslage noch offen. Bis heute ist jedenfalls nur ein kleiner Teil der in Österreich existierenden Anlagen technisch in der Lage, Biogas in der Qualität von Erdgas zu erzeugen, das direkt ins Gasnetz eingespeist werden kann. »Derzeit werden auch Verfahren entwickelt, um Biomethan auf mittlere Sicht als synthetischen Kraftstoff zu nutzen, wenn sich die Überzeugung durchsetzt, dass Technologieoffenheit der bessere Weg für die Mobilität der Zukunft ist«, prophezeit Ewald-Marco Münzer.
Münzer Bioindustrie GmbH
8261 Sinabelkirchen, Untergroßau 207
Telefon +43 (0) 50180
muenzer.at
Fazitportrait, Fazit 207 (November 2024) – Fotos: Heimo Binder
Kommentare
Antworten