Politicks November 2024
Johannes Tandl | 14. November 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 207, Politicks
Warum stützt der Bundespräsident Kickls Märtyrererzählung?
Die Weigerung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Herbert Kickl einen eindeutigen Regierungsbildungsauftrag zu erteilen, hat nicht nur in der FPÖ für Unmut gesorgt. Sie dürfte tatsächlich eher der grünen Vergangenheit unseres Staatsoberhauptes geschuldet sein als den Geboten von Demokratie, rationaler Vernunft oder gar von Fairness. Denn dass die FPÖ bei der Nationalratswahl mit 28,85 Prozent stimmenstärkste Partei wurde, ist nun einmal eine Tatsache. Und selbst wenn es nicht in der Verfassung steht, galt bis vor wenigen Tagen das ungeschriebene Gesetz, dass der Bundespräsident den Chef der stärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragt. Dieser Auftrag hätte nichts damit zu tun gehabt, dass Herbert Kickl tatsächlich die Bildung einer Regierung gelingt. Denn dafür braucht man in Österreich nun einmal das Placet von mehr als der Hälfte der 183 Nationalratsabgeordneten und nicht von nur 28,85 Prozent der Wählerinnen und Wähler. Schade, dass der Bundespräsident dem Wahlsieger, also dem FPÖ-Chef einen eindeutigen Regierungsbildungsauftrag verweigert hat. Damit unterstützt er die von der FPÖ in ihren Social-Media-Kanälen und auf Parteiveranstaltungen gepflegte Erzählung vom Sie sind gegen uns, weil wir für euch sind.
Nach der Wahl ist bekanntlich vor der Wahl. Mit der ungerechten Behandlung durch den Bundespräsidenten wurde der FPÖ ein weiteres Thema serviert, mit dem sie ihre steirischen Wählerinnen und Wähler bei der Nationalratswahl auch für die steirische Landtagswahl am 24. November mobilisieren wird. Das FPÖ-Hauptthema bleibt natürlich die illegale Massenmigration der letzten 10 Jahre und deren Folgen auf das Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystem. Dass die Mehrheit der Steirerinnen und Steirer mit der Arbeit der schwarz-roten steirischen Landesregierung durchaus zufrieden ist, wird in diesem aufgeheizten Klima wohl zu wenig wahrgenommen werden.
Was wird jetzt aus dem selbsternannten Volkskanzler?
ÖVP-Chef Karl Nehammer lehnt die Mitarbeit der ÖVP in einer von FPÖ-Chef Herbert Kickl geführten Bundesregierung auch nach der Wahl strikt ab. Nach einem vom Bundespräsidenten angeordneten Gespräch mit dem FPÖ-Chef sagte er in einer Pressekonferenz, er werde niemals den Steigbügelhalter für Herbert Kickl machen. Er halte das für seine historische Verantwortung und fühle sich jenen mehr als 70 Prozent verpflichtet, die Herbert Kickl nicht gewählt haben. Nehammers Einschätzung von Herbert Kickl habe sich seit der Nationalratswahl nicht geändert. Er bezeichnete Kickls Demokratieverständnis abermals als fragwürdig. Außerdem sei der FPÖ-Chef eine Gefahr für die innere Sicherheit. Kickl schüre aus parteitaktischen Motiven Ängste in der Bevölkerung und verbreite Verschwörungstheorien wie jene, dass die WHO die Weltherrschaft anstrebe. Die ÖVP-Absage an die Person Herbert Kickl sei nicht verhandelbar. Sie dürfe aber nicht als Absage an die FPÖ und erst recht nicht als Zusage zu Schwarz-Rot-Pink verstanden werden.
Kickl hingegen sieht in der Nehammer-Absage die Weigerung des ÖVP-Chefs, staatspolitische Verantwortung zu übernehmen. Das Gespräch mit Nehammer sei gut gewesen, Nehammer könne aber wohl aus parteitaktischen Gründen nicht über seinen Schatten springen. Die Frage, ob er zugunsten eines anderen FPÖ-Funktionärs auf die Nummer eins verzichten würde, stelle sich aus FPÖ-Sicht überhaupt nicht.
Nehammer werde sich wohl tatsächlich an den Versuch heranwagen, eine Verliererkoalition mit ihm an der Spitze zu formen. Die ÖVP bewege sich damit aber auch inhaltlich in Richtung der Babler-SPÖ. Aus seiner Sicht habe sich Nehammer dem linkslinken SPÖ-Chef Andreas Babler ohne Not ausgeliefert.
Damit würden sowohl die 32-Stunden-Woche als auch Vermögenssteuern zum Programm von Schwarz-Rot-Pink gehören. Daher bleibe abzuwarten, wie der VP-Wirtschaftsflügel auf die Nehammer-Absage an die FPÖ reagieren werde. Kickls Hand bleibe jedenfalls ausgestreckt, und die Chancen auf eine FPÖ-ÖVP-Zusammenarbeit mit ihm als Bundeskanzler seien daher durchaus intakt.
Tatsächlich wäre eine FP-VP-Koalition vor allem in Hinblick auf die Wettbewerbsbedingungen auf dem angeschlagenen Wirtschaftsstandort, aber wohl auch aus Sicht der ÖVP-Bauern durchaus attraktiv. Schließlich gibt es zahlreiche wirtschaftspolitische Übereinstimmungen der beiden Parteien. Kickl zeigte sich am Tag nach der Nehammer-Absage durchaus zuversichtlich, doch noch Bundeskanzler zu werden. Und falls nicht, sei das vor allem in Hinblick auf die steirische Landtagswahl auch kein Beinbruch. Denn vielen ÖVP-Wählern sei klar, dass eine Zusammenarbeit der ÖVP mit einer deutlichen nach links gerückten SPÖ niemals in ihrem Sinne sein könne. Tatsächlich sehen die meisten innenpolitischen Analysten durch Nehammers Kickl-Absage die Verhandlungsposition von Andreas Babler deutlich gestärkt.
Landtagswahl: Starker Gegenwind für die ÖVP, noch stärkerer für die SPÖ
Viel mehr Gegenwind aus Wien, wie ihn der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler und LH-Vize Anton Lang derzeit verspüren, ist eigentlich fast nicht denkbar. Die FPÖ hat bei der Nationalratswahl in der Steiermark mit 32,5 Prozent noch wesentlich besser abgeschnitten als österreichweit mit 28,8 Prozent. Damit liegt die FPÖ in der Steiermark um mehr als fünf Prozentpunkte vor der ÖVP und um unglaubliche 14 Punkte vor der SPÖ. Das macht die steirische FPÖ mit Mario Kunasek an der Spitze auch für die Landtagswahl zum Favoriten. Dabei lag Anton Lang noch vor wenigen Monaten Kopf an Kopf mit FPÖ und ÖVP. Als Juniorpartner in einer schwarz-roten Regierungskoalition ist es für ihn deutlich schwieriger, den negativen Bundestrend abzuschütteln, als für Landeshauptmann Christopher Drexler. Inhaltlich ist die SPÖ mit ihrem Programm Neu Land umfassend aufgestellt. Im Mittelpunkt stehen Gerechte Bildungschancen, Sozial gerecht und gesund, Gleichgestellte Steiermark, Leistbare Steiermark, Zukunftsfitte Steiermark und Starke Regionen.
Lang sieht sich trotz der für die SPÖ schlechten Nationalratswahl immer noch im Kampf um den LH-Sessel. Um den bundespolitischen Gegenwind einzudämmen, fordert er von der SPÖ, sich im Koalitionspoker entweder durchzusetzen oder in der Opposition zu bleiben. Im Vergleich zur Nationalratswahl muss die SPÖ bei der Landtagswahl zulegen. Sonst geht sich womöglich weder mit der ÖVP noch mit der FPÖ eine Zweierkoalition aus. Die SPÖ hat bei der Nationalratswahl in Graz zwar den ersten Platz erreicht. Bei der Landtagswahl ist jedoch gerade in der Landeshauptstadt mit einer starken KPÖ zu rechnen, die wohl wieder mit mehreren Mandaten in den Landtag einziehen wird. Auch das macht es für Anton Lang nicht einfacher.
Drexler erwartet ein Duell um den ersten Platz
Landeshauptmann Christopher Drexler will mit der ÖVP natürlich unbedingt Erster bleiben. Ob das möglich ist, hängt davon ab, wie gut er den Wählerinnen und Wählern vermitteln kann, dass es bei der Landtagswahl um die Richtung, die die Steiermark in den nächsten Jahren nehmen wird, geht, und nicht um irgendwelche Denkzettel wegen der europäischen Asylpolitik oder wegen der Corona-Maßnahmen. Mit den Worten: Ich lade die Steirerinnen und Steirer ein, uns ihre Stimme zu geben oder auch nur zu leihen, lässt der Landeshauptmann im Wahlkampf derzeit keine Gelegenheit aus, um ein Duell mit der FPÖ um den ersten Platz auszurufen. Gleichzeitig betont er das gute Klima der Zusammenarbeit mit dem Regierungspartner, aber auch mit den Oppositionsparteien.
Die Steiermark ist wie selten zuvor auf eine professionell und klug handelnde Landesregierung angewiesen. Das Land befindet sich mit seinem starken Automotive-Bereich und seiner mächtigen Exportindustrie im Zentrum der aktuellen wirtschaftlichen Verwerfungen. Die heimische Wirtschaft kann nur dann so erfolgreich wie in der Vergangenheit bleiben, wenn sie es sowohl in Bezug auf die Qualität ihrer Produkte als auch auf die Kosten schafft, besser bzw. günstiger als die Konkurrenz in China, den USA oder im restlichen Europa anzubieten. Um den Standort und, was gerne vergessen wird, den Sozialstaat zu erhalten, muss die nächste Landesregierung daher für ein investitionsfreundliches Klima mit besten Rahmenbedingungen für die innovativen Unternehmen sorgen. Nur wenn das gelingt, bleiben die Spitzenunternehmen dazu in der Lage, hier statt im wesentlich kostengünstigeren Ausland zu investieren.
In Bezug auf die anstehenden Infrastrukturprojekte ist die Steiermark auch auf die kommende Bundesregierung angewiesen. Daher hat Drexler eine Reihe von Forderungen postuliert, die von der ÖVP unbedingt im nächsten Koalitionspakt untergebracht werden müssen. Was die zukünftige steirische Regierungskoalition angeht, würde Drexler am liebsten die Zusammenarbeit mit der SPÖ fortsetzen. Als möglichen Koalitionspartner hat er aber nur die KPÖ ausgeschlossen. Klar ist auch, dass Drexler der nächsten Landesregierung nur als Landeshauptmann angehören wird.
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